Politik

„Enttäuscht, weil es nicht gelungen ist, die EU besser darzustellen“: Der scheidende bayerische Europaabgeordnete Wolfgang Kreissl-Dörfler (SPD). (Foto: dpa)

25.04.2014

"Konservative und Linke müssen stärker kooperieren"

Der scheidende SPD-Europaabgeordnete Wolfgang Kreissl-Dörfler über das schlechte Image der EU, Brüsseler Bürokratiefrust und Gründe, trotzdem zur Europawahl zu gehen

Er saß 20 Jahre im Europaparlament, hat in seiner Zeit als Europaabgeordneter die Partei gewechselt (von Grün zu Rot) und den Imageverfall der EU-Gremien aus nächster Nähe erlebt. Bei der Europawahl am 25. Mai wird der 63-jährige Landwirt und Sozialpädagoge nicht mehr kandidieren. Im BSZ-Interview zieht er Bilanz und erklärt, warum es trotz aller Kritik keine Alternative zur EU gibt. BSZ: Herr Kreissl-Dörfler, während Ihrer 20 Jahre im Europaparlament ist das Image der EU immer schlechter geworden. Sind Sie frustriert?
Kreissl-Dörfler: Ich bin enttäuscht, weil es nicht gelungen ist, die EU besser darzustellen. Aber auch deshalb, weil die Bürger häufig nicht bereit sind, sich mit EU-Themen auseinanderzusetzen. Natürlich ist die Europäische Union eine komplexe Sache, aber man baut sie fälschlicherweise zum bürokratischen Monster auf. Unnötige Vorschriften und unsinnige Gesetze werden aber auch in Deutschland erlassen. Deshalb sagt dennoch keiner, ich verlasse jetzt Deutschland.

BSZ: Vieles ist aber tatsächlich schlecht gelaufen in Europa.
Kreissl-Dörfler: Sicher. Das Ansehen der EU ist auch deshalb gesunken, weil die Probleme in Europa zugenommen haben und es nicht immer die richtigen Lösungen gab. Zum Beispiel beim Bankencrash: Das wurde schlecht gemanagt. Und dann gab es von der Brüsseler Kommission immer wieder ärgerliche Querschüsse, welche die Menschen zu Recht verdrießen. Denken Sie an dieses blöde Ölkännchen-Verbot für Restaurants, das wochenlang diskutiert wurde, ehe man es dann doch gelassen hat.

BSZ: Was muss sich ändern, damit sich die Menschen wieder – oder überhaupt – für Europa begeistern?
Kreissl-Dörfler: Die Politiker dürfen nicht wider besseres Wissen für alles, was in den Ländern schlecht läuft, die EU verantwortlich machen. Da machen es sich viele zu einfach. Und die Entscheidungen in den europäischen Gremien müssen transparenter werden. Die Leute sollen verstehen, wer was wann warum beschließt. Und es müssen Kompetenzen von der europäischen Ebene an die Mitgliedsländer und Regionen zurückgegeben werden.

"Gemeinsam gegen die Ultrarechten kämpfen"

BSZ: Das entspricht dem, was auch die CSU will: mehr Subsidiarität, mehr Zuständigkeiten vor Ort.
Kreissl-Dörfler: Moment, das ist keine Erfindung der CSU, das haben auch wir Sozialdemokraten immer gefordert! Im Übrigen geht mit der CSU thematisch natürlich auch was zusammen. Und in der neuen Legislatur werden die Konservativen in der EVP-Fraktion und die Sozialdemokratischen in der SPE-Fraktion ohnehin stärker kooperieren müssen. Weil die Nationalisten voraussichtlich deutlich stärker vertreten sein werden als bisher. Gegen die ultrarechten Europagegner müssen wir gemeinsam kämpfen.

BSZ: Wie lief die Zusammenarbeit mit der CSU-Europagruppe in der Vergangenheit?
Kreissl-Dörfler: Sehr kollegial. Wir waren an der Sache orientiert und haben geschaut, wie wir auch mal gemeinsam Dinge voranbringen. Auf europäischer Ebene muss man sich ja ständig Mehrheiten suchen, wenn man ein Anliegen durchbringen will. Das hat mit der CSU oft geklappt. Der Vorsitzende der CSU-Europagruppe, Markus Ferber, der EVP-Vizechef Manfred Weber, die Abgeordneten Angelika Niebler, Bernd Posselt oder Albert Deß – die waren immer fair und hatten in Debatten nie Schaum vorm Mund. Ich würde mir auch im Landtag mehr Konsens zwischen den Fraktionen wünschen.

"Den Euro einzuführen war nicht falsch"


BSZ: Loben Sie den CSU-Ehrenvorsitzenden Waigel ebenfalls? Für die Einführung des Euro?
Kreissl-Dörfler: Theo Waigel hat da ein paar große Fehler gemacht. Zum Beispiel hätte er schon damals eine Bankenunion initiieren oder über eine Finanztransaktionssteuer nachdenken sollen. Aber den Euro einzuführen war nicht falsch.

BSZ:Die CSU geht mit der Forderung in den Wahlkampf, die 28-köpfige EU-Kommission zu halbieren. Ist das realistisch?
Kreissl-Dörfler: Die Verkleinerung der Kommission ist bereits im Lissabon-Vertrag als Ziel festgehalten. Aber man hat das bis heute nicht in Angriff genommen, und die Zeit, das noch zu schaffen, bevor die neue Kommission im Oktober vereidigt wird, ist zu knapp. Entscheidend bei dieser Frage ist doch: Welches Land stellt in einer verkleinerten Kommission noch einen Kommissar, welches kriegt keinen mehr. Das zu klären ist ein heikles Unterfangen und wird erst mit der übernächsten Europawahl in fünf Jahren zu schaffen sein.

BSZ: Thema Bürokratieabbau: Der ehrenamtliche EU-Entbürokrator Edmund Stoiber hört im Oktober auf und fordert einen Ombudsmann für Bürokratiebekämpfung. CSU-Europagruppenchef Ferber will sogar einen Antibürokratie-Kommissar. Und Sie?
Kreissl-Dörfler: So einen Kommissar kann man schon berufen. Ich bin offen dafür, wie das konkret ausgestaltet wird. Das kann auch in Form einer Task Force sein, die bei der Kommission angesiedelt ist und die darauf achtet, dass nicht immer neue unnötige Vorschriften erlassen werden. Klar ist, dass man sich um den Bürokratieabbau kümmern muss.

Kommissionspräsidenten, die den Staatschefs nicht wehtun

BSZ: Wenn Sie nach 20 Jahren Bilanz ziehen: Worüber freuen Sie sich als Europapolitiker am meisten?
Kreissl-Dörfler: Dass wir im Jahr 2003 die Osterweiterung geschafft haben. Das bringt nicht nur wirtschaftliche Vorteile, sondern ist auch eine friedenssichernde Maßnahme. Auch die Agrarreform von 2013 werte ich als erfolgreiches EU-Projekt. Denn damit wurde die Förderpolitik im Bereich Landwirtschaft verändert: Die Mitgliedsländer können seither EU-Zuschüsse auch selber verteilen. So kann man regionale Besonderheiten berücksichtigen und zum Beispiel dafür sorgen, dass auch kleinere Bauern überleben. Ich freue mich außerdem darüber, dass ich 1998 helfen konnte, das geplante multilaterale Investitionsabkommen zu kippen. Über dieses Vertragswerk zwischen transnationalen Konzernen, den OECD-Staaten und der EU wurde damals zunächst klammheimlich verhandelt. Ziel war, in den Unterzeichnerstaaten Auslandsinvestitionen zu fördern. Doch dazu hätten die Rechte internationaler Investoren innerhalb der EU massiv gestärkt werden sollen. Als das aufkam, gab es eine weltweite Bewegung dagegen – zu Recht.

BSZ: Und worüber haben Sie sich am meisten geärgert?
Kreissl-Dörfler: Dass sich die Staats- und Regierungschefs regelmäßig schwache Kommissionspräsidenten ausgesucht haben, die ihnen nicht wehtun! Zuletzt war das José Manuel Barroso.

BSZ: Welche großen Themen muss die EU in der nächsten Zeit in Angriff nehmen?
Kreissl-Dörfler: Auf sozialer Ebene: die Arbeitnehmerrechte stärken. Da gibt’s zurzeit noch zu große Unterschiede innerhalb der EU. Großbritannien zum Beispiel zeigt beim Kündigungsrecht ein Hire-and-Fire-Gebaren wie die USA. Und wir müssen es schaffen, eine gemeinsame Energiepolitik hinzukriegen.

BSZ: Warum sollen die EU-Bürger am 25. Mai zur Wahl gehen?
Kreissl-Dörfler: Weil wir in einer globalisierten Welt nur vereint als EU mit Ländern wie den USA und China mithalten können; Nationalstaaten allein können da vieles nicht mehr lösen. Gerade wir Deutsche profitieren ja wirtschaftlich enorm vom Binnenmarkt. Und außerdem: Die EU ist das Friedensprojekt schlechthin.
(Interview: Waltraud Taschner)

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