Politik

War was? Seehofer hat die Turbulenzen nach seiner Lästerattacke gegen Söder schon wieder ausgeblendet. (Foto: dpa)

21.12.2012

Kursschwenks und andere Kapriolen

Das abgelaufene Jahr bescherte der CSU einiges „Drehhofer“-Leid, wovon die anderen Parteien aber nicht profitieren können

Dass die CSU Ende des Jahres 2012, zumindest in Umfragen, die absolute Mehrheit vor Augen hat, erscheint auch manch eingefleischten CSU-Leuten ungerecht. Auf 49 Prozent taxierte das Demoskopie-Institut GMS die Christsozialen in der ersten Dezemberwoche – allerdings in einer von der CSU selbst in Auftrag gegebenen Befragung. Für Irritationen sorgten bei den Schwarzen rund ums Jahr die Seehoferschen Wendemanöver – der SPD-Sottise vom unberechenbaren „Drehhofer“ applaudieren im Stillen auch CSU-Leute. Seehofers markanteste Wendemanöver 2012: Das plötzliche Einlenken bei den Griechenland-Hilfen, das Nein zu Studiengebühren, das Ja zur zweiten S-Bahn-Stammstrecke in München und der Plan vom schuldenfreien Haushalt 2030. Das Versprechen, alle Staatsschulden zu tilgen, darf sogar als kühnster Seehofer-Coup gelten. Denn noch vor Jahresfrist hatte der Regierungschef den Präsidenten des Obersten Rechnungshofes rüde abgebürstet, weil der monierte, der Freistaat könne beim Schuldentilgen „mehr Ehrgeiz“ an den Tag legen. Vier Wochen später bog Seehofer dann mit der Idee des schuldenfreien Etats um die Ecke – und verblüffte damit selbst seinen Finanzminister Markus Söder.
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Alle wissen, dass Markus Söder nicht unbedingt etwas dagegen hätte, würde ihn demnächst der Landtag zum Ministerpräsidenten wählen. Horst Seehofer hält das ganz richtig für Ehrgeiz und fühlt sich verständlicherweise betroffen. „Von Ehrgeiz zerfressen“ ist bewährtes Umgangsdeutsch, wirft allerdings die Frage auf, was der Regierungschef von einem aus welchen Gründen auch immer zerfressenen und überdies charakterschwachen Finanzminister hat. Alle in der CSU, die Söder nicht mochten, mögen ihn jetzt, angeblich aus Solidarität, besser gesagt aus Angst, dass Seehofer eines Tages auch ihnen weiß der Kuckuck welche „Schmutzeleien“ vorwerfen könnte. Vielleicht lernt Seehofer aus dieser massenpsychologischen Kehrtwende. Ließe es sich arrangieren, dass einmal Angela Merkel ihn mehr oder minder wahrheitsgemäß beleidigte, ginge die gesamte CSU für ihn durchs Feuer.
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Die Frage nach Seehofers Motiven beschäftigt CSU und FDP gleichermaßen. Warum der Chef immer wieder seine Mannschaft desavouiert? „Das ist kalkuliert“, sagt ein CSU-Insider. Seehofer könne es nicht leiden, wenn Mitstreiter aufmüpfig werden und seine eigene Bedeutung geschmälert wird. FDP-Fraktionschef Thomas Hacker attestiert dem Ministerpräsidenten deshalb „tyrannische Züge“: Seehofer agiere „wie Iwan der Schreckliche“, lästert der Liberale: Jeder, der nicht auf einer Linie mit ihm liege, „muss damit rechnen, dass er einen Kopf kürzer gemacht wird“.
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Dass die FDP nicht von Seehofers rasanten Wendemanövern profitiert, verdrießt die Liberalen durchaus. Tapfer hält der kleinere Koalitionspartner gleichwohl an der Parole fest, dass Umfragen erstens Schall und Rauch seien. Tatsächlich war es so, dass die CSU eine Woche vor der Landtagswahl 2008 bei 49 Prozent gelegen hatte – um dann am Wahltag auf 43 Prozent abzustürzen. Zum anderen ergehen sich FDP-Leute wie Vizeministerpräsident Martin Zeil in der Hoffnung, die Wähler würden die Verdienste der Liberalen am Ende schon zu würdigen wissen. Es stimmt ja: Die FDP hat in der Bildungs-, Gesellschafts- und Innenpolitik Akzente gesetzt. Die FDP hat sich daneben, im Gegensatz zur Drehhofer-CSU, keinerlei Kursschwenks geleistet. Wahr ist aber auch, dass die Bürger davon offenbar unbeeindruckt blieben – jedenfalls gemessen an den Umfragewerten, deren bester kürzlich bei 5 Prozent lag.
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Bayerns SPD hat sich von ihrem Spitzenkandidaten Christian Ude kapern lassen: Alles blickt gespannt auf ihn, alles ist auf ihn ausgerichtet. Ude rackert, ist viel im Land unterwegs, so richtig vorwärts kommt er trotzdem nicht. Seehofer nimmt ihm auch konsequent jedes Thema aus der Hand, mit dem er sich profilieren könnte. Eine Wechselstimmung ist deshalb im Land noch nicht aufgekommen. Bester Umfragewert der SPD in diesem Jahr: 23 Prozent. Udes angekündigtes Crescendo zur Landtagswahl hat viele Piano-Phasen – mit Rückwirkung auf seine Partei. Die hatte zum Jahresende auch noch mit Querschüssen aus den eigenen Reihen gegen den Vorsitzenden Florian Pronold zu kämpfen. Im Jahreszeugnis der SPD für 2012 könnte folglich stehen: Der Kandidat bemüht sich, seine Partei müht sich ab.
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Auch die Grünen vermochten es nicht, sich nennenswert aufzurappeln. Ebenso wie die SPD leiden die Grünen offenbar unter der Abneigung der Wähler gegen ein mögliches Dreier-Bündnis aus Rot-Grün und Freien Wähler. Ein solches Trio, räumt Grünen-Landeschefin Theresa Schopper ein, „hat keinen besonderen Sex-Appeal“. Zu allem Übel kam der selbsternannten Premium-Opposition das Premium-Thema abhanden: Die Energiewende hat sich jetzt die Union unter den Nagel gerissen – da nützte der Öko-Partei der Verweis aufs Copyright fürs AKW-Aus nur wenig. Seit Mitte des Jahres verharren Bayerns Grüne bei Werten um 10 Prozent. Und der tüchtigen Spitzenkandidatin Margarete Bause fehlt zwar nicht die Scharfzüngigkeit, wohl aber der Sympathiefaktor des verstorbenen Vorzeige-Grünen Sepp Daxenberger.
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Als feste landespolitische Kraft etabliert haben sich die Freien Wähler. Umfragen sehen sie konstant über 5 Prozent. Ob das trotz oder wegen ihres Vorsitzenden Hubert Aiwanger so ist, wurde nicht abgefragt. Aiwanger hat sich vor allem mit seiner populistischen Kampagne gegen die Euro-Rettung zum Schrecken seiner potenziellen Koalitionspartner SPD und Grüne entwickelt. Zu ihrem Glück haben die FW aber auch Leute wie Michael Piazolo. Der hat gegen alle politischen und juristischen Widerstände die Zulassung des Volksbegehrens zur Abschaffung der Studiengebühren durchgeboxt und damit aus Sicht der Opposition für den Coup des Jahres und eine veritable Regierungskrise in der CSU/FDP-Koalition gesorgt.
(Waltraud Taschner, Jürgen Umlauft, Roswin Finkenzeller)

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