Politik

Flüchtlingskindern wird erst einmal in Übergangsklassen Deutsch beigebracht. (Foto: dpa)

18.09.2015

Lernbegierige Flüchtlingskinder: Lehrkräfte loben die Motivation

Lehrkräfte loben die Motivation der neu in Bayern angekommenen Schüler, warnen aber vor Personalengpässen

Seit Dienstag drücken viele Flüchtlingskinder aus Syrien oder dem Irak die Schulbank. Die bayerischen Schulen nehmen sie in Übergangsklassen auf und versuchen, die Kinder schnell zu integrieren und ihnen Deutsch beizubringen. Das kann gut funktionieren – so wie bei Lava Taha:

Sie war fünf Jahre alt, als ihre Eltern mit ihr 1996 aus dem Irak nach Deutschland flüchteten – damals noch vor dem Saddam-Hussein-Regime. Lava kam in einem Land an, in dem sie kein Wort verstand. Ein Jahr besuchte sie den Kindergarten. Dann wurde sie in in einer Nürnberger Übergangsklasse eingeschult. Nachmittags besuchte sie zusätzlich einen Deutschkurs.

Das Schicksal von Lava teilen heute viele Schüler in Bayern. An der Nürnberger Adalbert-Stifter-Mittelschule gibt es zum neuen Schuljahr zehn Übergangsklassen. Eine davon unterrichtet Lutz Otto. Er unterrichtet Deutsch, Mathe, Sachunterricht. „Ich mache nicht 45 Minuten Deutsch mit ihnen und dann 45 Minuten Mathe. Sondern ich mache, was nötig ist. Wenn die Kinder beim Rechnen nicht verstehen, warum man im Deutschen bei der Zahl 23 erst drei und dann zwanzig sagt, muss ich das erklären. Auch wenn es eher Deutsch als Mathe ist.“

An der Adalbert-Stifter-Schule waren es letztes Schuljahr genauso viele Ü-Klassen. „Wir sind heute bis unters Dach voll. Wir haben 150 Schüler für die Übergangsklassen. Mir wird Angst, wenn es noch mehr werden“, meint Rektor Reinhard Rombs.

"Die Kleinen sind oft sehr eingeschüchtert"

Der bayerische Kultusminister Ludwig Spaenle weiß: „Wir müssen die dynamische Entwicklung der Zahl junger Asylbewerber aufmerksam beobachten und entsprechend handeln.“ Schulpflichtig sind die Flüchtlingskinder nach einem dreimonatigen Aufenthalt in Deutschland. Damit sie gefördert werden können, hat das Kultusministerium zusätzliche Ressourcen bereitgestellt.

Das reicht nicht, glaubt die Präsidentin des Bayerischen Lehrerinnen und Lehrerverbands (BLLV), Simone Fleischmann: „Die Aufgaben sind immens, und es wird längerfristig zu Problemen kommen. Lehrer und Fachpersonal fehlen an allen Ecken und Enden.“ Martin Güll, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion sagt: „Für einen sinnvollen Spracherwerb sollten Lehrkräfte die Qualifikation Deutsch als Zweitsprache haben. Hier gibt es viel zu wenige Lehrkräfte, viele stehen auch mit dieser Qualifikation als arbeitslose Lehrkräfte auf der Straße.“

Lava kann sich noch heute gut an ihre Zeit in Ü-Klasse und Deutschförderunterricht erinnern. „Meine Deutschlehrerin hat mir sehr geholfen. Wir waren eine kleine Gruppe, an die sechs Schüler. Sie hat sich viel Zeit für mich genommen.“ Schon bald ist Lava im Lesen und Schreiben viel besser geworden.

Der eine ist gymnasialgeeignet, der andere kann nicht mal bis zehn zählen

Christiane Strom ist überzeugt, dass kleine Ü-Klassen wichtig sind. Sie ist Rektorin an der Elias-Holl-Grundschule in Augsburg, die mit fünf Ü-Klassen ins neue Schuljahr gestartet ist. Offiziell sind 20 Kinder die Obergrenze. „Das sind zu viele! Der Lehrer muss jedes Kind anders behandeln“, sagt Strom. Rektor Rombs sieht das genauso. Die Kinder der Ü-Klassen können zwar alle kein Deutsch, aber abgesehen davon haben sie wenig gemeinsam. „Es gibt Schüler, die können in ihrer Muttersprache nur bis neun zählen, weil sie zuvor neun Schafe gehütet haben. Und dann gibt es Kinder, die sind gymnasialgeeignet, aber tun sich mit Deutsch schwer“, so Rombs.

Christiane Strom betont, dass es für alle Kinder schwer ist, sich in einem neuen Land mit fremder Sprache zurechtzufinden. „Das sind kleine Kinder, die sind oft eingeschüchtert, wenn sie an eine neue Schule kommen und sich kaum verständigen können.“ Strom wünscht sich neben mehr Personal auch bessere Lehrmaterialien wie Bildkarten oder spezielle Bücher zum Deutschlernen.

Strom bewundert die Kinder: „Sie lernen so schnell! In der ersten Woche sehe ich Kinder, die kaum ein Wort sprechen. Ein bisschen später begegne ich ihnen im Sekretariat wieder und bin erstaunt, wie gut sie sich ausdrücken können.“ Auch Lehrer Lutz Otto aus Nürnberg liebt seinen Job in der Ü-Klasse. „Es ist schön zu sehen, wie motiviert die Kinder sind. Die spüren, dass die Sprache der Schlüssel zur Integration ist, und sie wollen lernen.“ Kaum ein Schüler sitze desinteressiert oder gelangweilt im Klassenzimmer.

Großer Bildungshunger bei Flüchtlingen

Viel Motivation brachte damals auch Lava mit. „Mein größtes Ziel war es, möglichst schnell in eine Regelklasse zu wechseln. Ich wusste, da würde es schwieriger sein, mitzukommen. Aber ich wollte dazugehören“, erinnert sich Lava. Die Schulen wollen den Kindern den Übergang in die Regelklassen leicht machen: „Wenn wir merken, dass ein Kind sich in der Übergangsklasse sehr gut macht, kann es sofort in eine Regelklasse wechseln.“ Otto erklärt, dass die Schüler maximal zwei Jahre in einer Übergangsklasse blieben – aber auch an der Adalbert-Stifter-Schule wechselten viele schon früher in den normalen Unterricht.

Das schaffte auch Lava: Nach nur ein paar Monaten durfte sie in die Regelklasse wechseln. Später besuchte sie erst die Hauptschule. Doch das war ihr nicht genug. Sie wechselte dank guter Noten auf die Realschule und von dort aufs Gymnasium.

Rektor Rombs beobachtet einen großen Bildungshunger sowohl bei Flüchtlingskindern als auch Kindern mit EU-Migrationshintergrund. Viele davon machen an seiner Schule den Quali mit sehr guten Noten – und danach mit Erfolg die mittlere Reife. „Die Lernbereitschaft ist bei ihnen sehr hoch.“

Lava ist heute 24 Jahre alt und hat die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie hat ein Einser-Abi gemacht und studiert Medizin an der Uni Erlangen. Bald will sie als Ärztin anderen Menschen helfen. „Wenn sich Leute entscheiden, aus ihrem Heimatland zu fliehen, dann meistens, weil sie ihren Kindern eine bessere Zukunft bieten wollen.“ Deshalb, sagt Lava „ist den Familien Bildung sehr wichtig.“ (Jennifer Hertlein)

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