Politik

30.07.2020

Menschenrechte in der Wirtschaft: Braucht Deutschland ein Lieferkettengesetz?

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wollen Großunternehmen gesetzlich verpflichten, für die Einhaltung der Menschenrechte entlang ihrer Lieferketten zu sorgen. Auch der SPD-Landtagsabgeordnete Markus Rinderspacher setzt sich vehement für ein entsprechendes Lieferkettengesetz ein. Franz Josef Pschierer, Vorsitzender der Mittelstands-Union (MU) in der CSU, lehnt das Vorhaben der Bundesminister dagegen strikt ab

JA

Markus Rinderspacher, Vizepräsident des Bayerischen Landtags und europapolitischer Sprecher der Landtags-SPD

Arbeitsteilung über Grenzen hinweg ist in der globalisierten Wirtschaft eine Selbstverständlichkeit. Um ein Herrenhemd herzustellen und zu vertreiben, müssen sich etwa 140 Akteure aus den verschiedensten Ländern beteiligen: Baumwollbauern aus Indien, Näherinnen in Kambodscha, vietnamesische Matrosen auf den Containerschiffen, Designer in Frankreich, Verkäuferinnen in München.

Auch in Maschinen, Autos oder Chemieprodukten stecken Vorleistungen aus dem Ausland. Gegen diese Arbeitsteilung ist nichts einzuwenden, solange überall Sozial- und Umwelt-standards beachtet und Menschenrechte eingehalten werden.
Doch deprimierende Hungerlöhne, elend lange Arbeitstage und null Freizeit, ungeschützter Umgang mit Chemikalien und fehlende Brandschutzbestimmungen sind Probleme in vielen internationalen Industriezweigen. Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) betrifft Kinderarbeit noch rund jedes zehnte Kind weltweit.

Ich bin sicher: Die Menschen in Bayern wollen eine Globalisierung, die nachhaltig und gerecht ist. In einer globalen Wirtschaft endet die Verantwortung der Industriestaaten für gute Arbeit nicht an nationalen Grenzen.

Die Erfahrungen zeigen, dass freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen nicht ausreichen, um Arbeitnehmer-, Umwelt- und Menschenrechte in globalen Lieferketten sicherzustellen. Deshalb müssen die Unternehmen gesetzlich verpflichtet werden, ihren menschenrechtlichen „Fußabdruck“ zu untersuchen, darüber öffentlich Rechenschaft abzulegen und offensichtliche Missstände zu beheben.

Im Übrigen: Bayern könnte als Vorbild vorangehen. Der Freistaat könnte menschenrechtliche, ökologische und soziale Kriterien in seinem Vergaberecht, im Bereich der öffentlichen Beschaffung sowie bei seinen eigenen Unternehmensbeteiligungen verbindlich festschreiben. Auch fair gehandelte Produkte müssten in öffentlichen Kantinen Bayerns längst Standard sein.

NEIN

Franz Josef Pschierer (CSU), MdL und Landesvorsitzender der Mittelstands-Union (MU) Bayern

Den vom Bundesarbeitsministerium und vom Entwicklungsministerium vorgelegten Entwurf eines Eckpunktepapiers zur Stärkung der unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in globalen Wertschöpfungsketten kann man in der derzeit vorliegenden Form nur ablehnen.

Grundsätzlich ist die Bedeutung einer verantwortungsvollen Gestaltung von Liefer- und Wertschöpfungsketten anzuerkennen. Menschenrechtsverletzungen dürfen nicht geduldet werden. Mit den derzeitigen Planungen laufen wir aber Gefahr, dass Unternehmen überfordert werden, weil sie die Lieferketten oftmals nicht bis ins kleinste Detail prüfen können. Unternehmer sind doch keine globalen Hilfscheriffs. Um die Einhaltung der Sorgfaltspflichten zu gewährleisten, müssten letztlich kleinbetriebliche Strukturen in Drittländern zerschlagen und größere Wirtschaftseinheiten geschaffen werden. Im Ergebnis wäre dieses Gesetzesvorhaben deshalb kontraproduktiv für viele Menschen in den Ursprungsländern, weil es dort viele familiäre Existenzen und Einkommen ruinieren würde. Im Übrigen schließen Regeln der Vereinten Nationen und der OECD eine Haftung für Dritte allein wegen der „Existenz von Geschäftsbeziehungen“ ausdrücklich aus.

Insbesondere eine rein nationale Lösung ist abzulehnen. Diese ginge eindeutig zulasten der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Firmen, was die ohnehin schwierige Erholung der Wirtschaft aufgrund der Corona-Krise noch mehr verzögern würde. Während wir unseren Unternehmen immer mehr abverlangen, freut sich die Konkurrenz im Ausland. Die Unternehmen sollten sich in nächster Zeit voll und ganz auf ihr operatives Geschäft konzentrieren können und nicht durch zusätzlichen bürokratischen Aufwand vom Kerngeschäft abgehalten werden. Nationale Alleingänge und gesetzgeberische Schnellschüsse bringen uns hier nicht weiter. Ich erwarte, dass die Wirtschaft bei diesem Thema stärker als bislang in die politische Debatte miteingebunden wird.

Kommentare (1)

  1. Demokratischer Widerstand am 03.08.2020
    Natürlich braucht D ein Lieferkettengesetz! Die deutsche Wirtschaft muss sich sehr wohl Gedanken machen mit wem sie Geschäfte macht. Es kann nicht sein, dass die dtsch. Wirtschaft Potentaten unterstützt, die Menschenrechtsverletzungen begehen, Beispiele China, Brasilien, Mexico, USA, Rußland, Indien, Pakistan, ... Mich erinnern die Einlassungen von Herrn Pschierer an die Diskussionen über den aus Kinderhand gefertigten Grabsteinen. Wie sah/sieht die Lösung in diesem Fall aus, der dtsch. Steinmetz bescheinigt, dass die Ware nicht aus Kinderhand gefertigt wurde. Hier sieht man den Wert solcher Bescheinigung, diese sind nichts wert! Aus diesem Grund muss die dtsch. Wirtschaft straff kontrolliert werden und Unternehmen, die Geschäfte mit Menschenrechtsverletzern machen bestraft werden, in der Form, dass sie ihre Waren in D nicht absetzen dürfen. Wir wollen uns doch nicht als ausbeuterische Neoliberalisten betätigen - oder?
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