Ab 1. Januar 2015 gilt in Deutschland der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Für Angelika Weikert (SPD) „eine der größten sozialpolitischen Reformen unserer Zeit“. Damit dies auch jeder betroffene Arbeitnehmer mitbekommt, soll die Staatsregierung verstärkt öffentlich darauf hinweisen und in Behörden Broschüren auslegen, forderte die Landtagsabgeordnete jüngst im Plenum.
Bereits im Bilde sind hingegen die Verleger. Martin Balle, Herausgeber des Straubinger Tagblatts und der Münchner Abendzeitung, fühlte sich diese Woche im Stich gelassen: „Die Unionsspitze hat uns Verleger belogen. Sie hat behauptet, sie hätte sich für eine bessere Lösung eingesetzt. In Wirklichkeit hat sich nur die SPD für uns eingesetzt.“ Die Sozialdemokraten hätten eine Ausnahmeregelung für die gemeinhin gering bezahlten Zeitungszusteller vorgeschlagen, den die Union verhindert habe. Jetzt gilt zwar eine Sonderregelung für Zeitungszusteller. Ihr Lohn darf 2015 noch 25 Prozent unter dem Mindestlohn liegen, 2016 noch 15 Prozent. Aber wenn die Austräger neben Zeitungen auch Prospekte und Briefe verteilen, und das ist bei den meisten der Fall, gilt die Ausnahme nicht. „Ein Millionenschaden“, sagt Balle.
Analysten warnen vor Exportverlusten
Weitere Ausnahmen hat die Bundesregierung für Langzeitarbeitslose vorgesehen. In den ersten sechs Monaten einer Anstellung darf der Arbeitgeber vom Mindestlohn abweichen. Auch für unter 18-Jährige ohne Berufsabschluss sowie für Auszubildende gilt der gesetzliche Mindestlohn nicht. Zu spüren bekommen den Mindestlohn auch Praktikanten. Waren in der Vergangenheit häufig sogar unbezahlte Praktika üblich, gilt der Mindestlohn nun für jedes freiwillige Praktikum, das länger als drei Monate dauert. Pflichtpraktika in Schule oder Studium sind vom Mindestlohn ausgenommen.
Was zunächst wie eine Belastung für die Unternehmen aussieht, lässt sich indes auch anders interpretieren. „Ein angemessen bezahlter Praktikant ist doch gleich ganz anders motiviert“, sagt der Münchner Wirtschaftswissenschaftler Uwe Kirst, der sich auf die Beratung von Wachstumsunternehmen spezialisiert hat. Entscheidender als Lohnkosten sei jedenfalls für den deutschen Mittelstand, in Kontakt mit gut ausgebildetem engagierten Personal zu kommen. „Jeder vernünftige Arbeitgeber sucht Praktikanten, die mehr wollen, als nur eine Aufgabe zu erledigen. Das Praktikum ist auch ein sehr intelligenter Weg der Mitarbeiter-Akquise.“
Eine weitere Neuerung ab 2015 ist das Elterngeld Plus. Konnten Eltern bislang 12 Monate Elternzeit zwischen dem dritten und achten Geburtstag ihres Kindes nehmen, sind es ab Mitte 2015 zwei Jahre. Und arbeitet man in der Elternzeit Teilzeit, wird das Elterngeld zwar um die Hälfte gekürzt, aber doppelt so lange gezahlt.
Was bewegt die deutsche Wirtschaft jenseits der gesetzlichen Änderungen zum Jahreswechsel? „2015 wird ein schwieriges Jahr für Unternehmen, da die Grenzen zwischen Märkten, die vorher recht eindeutig als sicher oder risikoreich eingestuft werden konnten, verschwimmen“, sagt der Berliner Risikoanalyst Hans Jürgen Stephan, Geschäftsführer Deutschland beim internationalen Risikoanalyse-Unternehmen Control Risks. Er sieht vor allem im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland eine dauerhafte Herausforderung. 2013 hatten deutsche Unternehmen noch Maschinen, Fahrzeuge und chemische Produkte im Wert von 36,1 Milliarden Euro nach Russland exportiert. Diese Zahl wird wohl nicht nur 2014, sondern auch im kommenden Jahr deutlich niedriger ausfallen.
Um die Verluste zu kompensieren, wird es für Unternehmen umso wichtiger, neue Absatzmärkte zu erschließen. Viele hoffen auf TTIP, das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Mitte 2015 sollen die Verhandlungen abgeschlossen sein. Gerade in Deutschland regt sich jedoch Protest. Ängste vor zu großer Macht für die Unternehmen und sinkende Kontrollmöglichkeiten der Staaten hält Unternehmerberater Kirst dabei für unbegründet: „Nationale Möglichkeiten, seine eigenen Werte zu bewahren, sind vorhanden.“ Im Übrigen müssten die Deutschen aufpassen, wegen ihrer Blockade nicht irgendwann im Abseits zu stehen: „Wenn man zu lange darüber diskutiert, welches Geschirr auf dem Tisch stehen soll, kann es sein, dass die Speisekarte gar nicht mehr kommt.“ (Jan Dermietzel)
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