Politik

8,50 Euro: Warum sollen etwa Rentner das nícht bekommen? Eine der offenen Fragen beim Mindestlohn. (Foto: dpa)

17.01.2014

Mindestlohn für alle? Von wegen

Das politische Gerangel um Ausnahmen bei der vereinbarten Lohnuntergrenze ist voll entbrannt

Wie groß war doch der Jubel der Sozialdemokraten über die Einigung auf einen flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn: 8,50 Euro, so steht es im Koalitionsvertrag. Nicht wenigen SPD-Mitgliedern hat dieser Erfolg die Zustimmung zur wenig geliebten Großen Koalition erleichtert. Für Ernüchterung sorgte CSU-Chef Horst Seehofer prompt. Er will etliche Ausnahmen beim Mindestlohn – etwa für Rentner und Saisonarbeiter. Wütend empfahl SPD-Chef Sigmar Gabriel Seehofer sogleich, doch mal den Koalitionsvertrag zu lesen.
Bislang erklärt die SPD: Mit ihnen werde es keine weiteren Ausnahmen geben. Dass der Mindestlohn für Ehrenamtliche, Schülerpraktikanten und Auszubildende nicht gelten soll, ist bereits Konsens. Doch was am Ende tatsächlich im Gesetz stehen wird, ist höchst ungewiss. Denn bereits der Koalitionsvertrag hält ein großes Schlupfloch bereit: „Wir werden (...) mögliche Probleme, z. B. bei der Saisonarbeit, bei der Umsetzung berücksichtigen“, steht auf Seite 68.
Das politische Gerangel um die Auslegung ist voll entbrannt. Für Bayerns Arbeitsministerin Emilia Müller (CSU) steht fest: Für Schüler und Studenten, Saisonarbeitnehmer, Praktikanten, Rentner oder geringfügig Beschäftigte sind Ausnahmen „unumgänglich“. Produktivität und Lohnhöhe müssten auch weiterhin in einem angemessenen Verhältnis stehen, sagt sie der Staatszeitung.


Erwin Huber unterstützt den DGB Bayern


Ganze Branchen, in denen keine Stundenlöhne gezahlt werden, stehen bereits zur Disposition – Taxifahrer oder Zeitungsausträger etwa. Unterstützung kommt nicht nur von Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden, die einen gesetzlichen Mindestlohn von jeher ablehnten. Die bayerische Wirtschaft setze auf diese Ausnahmen, sagt etwa Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw). Auch aus der Unions-Fraktion im Bundestag heißt es auf Nachfrage, man liege hier mit der CSU ganz klar auf einer Linie.
Wackelt also der vereinbarte Mindestlohn bereits? Die geplante Lohnuntergrenze werde durch die von der CSU vorgeschlagenen Ausnahmeregelungen durchlöchert wie ein Schweizer Käse, schrieb SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher Seehofer zu Jahresbeginn. „Die Forderungen der CSU sind paradox“, sagt auch die arbeitspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Angelika Weikert. Der gesetzliche Mindestlohn sei vor dem Hintergrund eines wachsenden Niedriglohnsektors in Deutschland und in Bayern von der SPD durchgesetzt worden. „Dieses Ziel darf nicht aufgegeben werden.“
Im Jahr 2011 arbeiteten in Bayern 550 000 sozialversicherte Beschäftigte zu Stundenlöhnen unter 8,50 Euro brutto. Dazu kommen 780 000 Minijobverhältnisse mit weniger als 8,50 Euro, so eine Studie von ver.di und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Konkrete Zahlen nach Branchen gibt es nicht. Besonders betroffen sind laut Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) Bayern Beschäftigte in der Gastronomie, dem Hotelgewerbe, aber auch Taxifahrer. Die Zahl der bayerischen Geringverdiener, die von den Ausnahmeregelungen betroffen wäre, wäre enorm, schätzt man bei der Gewerkschaft. DGB-Bayern-Chef Matthias Jena macht vor allem die geforderte Ausnahme für Rentner wütend: „Eine Zumutung“, klagt er.
In Bayern haben fast 140 000 Menschen über 65 Jahren einen Minijob. Tendenz steigend. „Rentner gehen arbeiten, wenn ihre Rente nicht zum Leben reicht, obwohl sie ein Leben lang gearbeitet haben. Wenn sie neben der Rente noch für einen Hungerlohn schuften müssen, werden sie zum zweiten Mal betrogen.“
Unterstützt wird Jena hier ausgerechnet von der CSU. „Das kann man mit Rentnern nicht machen“, sagt Erwin Huber, Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im Landtag. „Das wäre Diskriminierung, ein Rentner arbeitet schließlich so gut wie jeder andere.“ Auch einzelne Berufsgruppen möchte Huber nicht ausschließen, eine Ausnahme für Saisonkräfte fordert jedoch auch er.
Die Opposition im bayerischen Landtag hält indes nichts von Ausnahmen. „Zentraler Punkt des flächendeckenden Mindestlohns ist für uns, dass er auch wirklich flächendeckend ist“, sagt die Grüne Kerstin Celina. Auch bei den Freien Wählern, die sich eine regionale Ausdifferenzierung des Mindestlohns gewünscht hätten, ist man besorgt. „Man hätte den Koalitionsvertrag viel konkreter ausformulieren müssen“, so Gabi Schmidt, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion. „So sind die Vereinbarungen nichts anderes als ein löchriger Eimer, mit dem man versucht, Nudeln abzugießen. Am Ende bleiben kaum mehr welche übrig.“
(Angelika Kahl)

Kommentare (4)

  1. Karl am 20.01.2014
    Das Landesbankdesaster betreitet die Regierung mit "Nichtwissen"!
  2. Manu am 20.01.2014
    Das war doch zu erwarten. Bis jetzt hat noch kein Politiker sein Versprechen gehalten. Dieses "Schlupfloch" wurde auch ganz bewusst so gemacht. Dass sich alle darüber aufregen kann ich verstehen, aber so lange wie alle weiter CSU und CDU wählen wird sich nichts daran ändern. Wer echt daran geglaubt hat, dass das mit dem Mindestlohn funktioniert, lebt in einer Scheinwelt, oder hat sich noch nie mit Politik beschäftigt.
  3. Zitrone am 17.01.2014
    Laut Herrn Seehofer ist Bayern die Vorstufe zum Paradies. Im Buch "Arm in einem reichen Land" hat Herr Thomas Beyer, Landesvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt zusammengetragen, wie diese Vorstufe für viele, viel zu viele aussieht. Danach sind mit 19% der über 65jährigen mehr ältere Menschen als anderswo von Armut betroffen. 1,6 Millonen galten 2010 in Bayern mit einem Einkommen von unter 900 € als armutsgefährdet, mehr als 100.000 Kinder unter 15 Jahren erhalten dauerhaft Hartz IV Bezüge.

    Diese Zahlen finden sich natürlich nicht in der Erfolgsbilanz der CSU nach 60 Jahren Herrschaft.

    Hat schon mal jemand ausgerechnet, wieviel Menschen mit den Milliarden für das Landesbankdesaster ein menschenwürdiges Leben ermöglicht werden könnte? Auch die armen Teufel aus Südosteuropa könnten davon unterstützt werden, ohne dass eine Villa am Starnberger See versteigert werden müsste.

    Die Staatspartei entpuppt sich halt nach der Wahl wieder einmal, was sie schon lange ist, eine Capitalistische Spezlvereinigung und sollte sich deshalb konsequenterweise auch so nennen.
  4. Karl am 17.01.2014
    Ja, genau für Rentner, die eh schon an der Pfändungsgrenze dahin vegetieren!
    Aus den vollmundigen Wahlversprechen wird´s wohl nix.
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