Wie groß war doch der Jubel der Sozialdemokraten über die Einigung auf einen flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn: 8,50 Euro, so steht es im Koalitionsvertrag. Nicht wenigen SPD-Mitgliedern hat dieser Erfolg die Zustimmung zur wenig geliebten Großen Koalition erleichtert. Für Ernüchterung sorgte CSU-Chef Horst Seehofer prompt. Er will etliche Ausnahmen beim Mindestlohn – etwa für Rentner und Saisonarbeiter. Wütend empfahl SPD-Chef Sigmar Gabriel Seehofer sogleich, doch mal den Koalitionsvertrag zu lesen.
Bislang erklärt die SPD: Mit ihnen werde es keine weiteren Ausnahmen geben. Dass der Mindestlohn für Ehrenamtliche, Schülerpraktikanten und Auszubildende nicht gelten soll, ist bereits Konsens. Doch was am Ende tatsächlich im Gesetz stehen wird, ist höchst ungewiss. Denn bereits der Koalitionsvertrag hält ein großes Schlupfloch bereit: „Wir werden (...) mögliche Probleme, z. B. bei der Saisonarbeit, bei der Umsetzung berücksichtigen“, steht auf Seite 68.
Das politische Gerangel um die Auslegung ist voll entbrannt. Für Bayerns Arbeitsministerin Emilia Müller (CSU) steht fest: Für Schüler und Studenten, Saisonarbeitnehmer, Praktikanten, Rentner oder geringfügig Beschäftigte sind Ausnahmen „unumgänglich“. Produktivität und Lohnhöhe müssten auch weiterhin in einem angemessenen Verhältnis stehen, sagt sie der Staatszeitung.
Erwin Huber unterstützt den DGB Bayern
Ganze Branchen, in denen keine Stundenlöhne gezahlt werden, stehen bereits zur Disposition – Taxifahrer oder Zeitungsausträger etwa. Unterstützung kommt nicht nur von Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden, die einen gesetzlichen Mindestlohn von jeher ablehnten. Die bayerische Wirtschaft setze auf diese Ausnahmen, sagt etwa Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw). Auch aus der Unions-Fraktion im Bundestag heißt es auf Nachfrage, man liege hier mit der CSU ganz klar auf einer Linie.
Wackelt also der vereinbarte Mindestlohn bereits? Die geplante Lohnuntergrenze werde durch die von der CSU vorgeschlagenen Ausnahmeregelungen durchlöchert wie ein Schweizer Käse, schrieb SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher Seehofer zu Jahresbeginn. „Die Forderungen der CSU sind paradox“, sagt auch die arbeitspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Angelika Weikert. Der gesetzliche Mindestlohn sei vor dem Hintergrund eines wachsenden Niedriglohnsektors in Deutschland und in Bayern von der SPD durchgesetzt worden. „Dieses Ziel darf nicht aufgegeben werden.“
Im Jahr 2011 arbeiteten in Bayern 550 000 sozialversicherte Beschäftigte zu Stundenlöhnen unter 8,50 Euro brutto. Dazu kommen 780 000 Minijobverhältnisse mit weniger als 8,50 Euro, so eine Studie von ver.di und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Konkrete Zahlen nach Branchen gibt es nicht. Besonders betroffen sind laut Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) Bayern Beschäftigte in der Gastronomie, dem Hotelgewerbe, aber auch Taxifahrer. Die Zahl der bayerischen Geringverdiener, die von den Ausnahmeregelungen betroffen wäre, wäre enorm, schätzt man bei der Gewerkschaft. DGB-Bayern-Chef Matthias Jena macht vor allem die geforderte Ausnahme für Rentner wütend: „Eine Zumutung“, klagt er.
In Bayern haben fast 140 000 Menschen über 65 Jahren einen Minijob. Tendenz steigend. „Rentner gehen arbeiten, wenn ihre Rente nicht zum Leben reicht, obwohl sie ein Leben lang gearbeitet haben. Wenn sie neben der Rente noch für einen Hungerlohn schuften müssen, werden sie zum zweiten Mal betrogen.“
Unterstützt wird Jena hier ausgerechnet von der CSU. „Das kann man mit Rentnern nicht machen“, sagt Erwin Huber, Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im Landtag. „Das wäre Diskriminierung, ein Rentner arbeitet schließlich so gut wie jeder andere.“ Auch einzelne Berufsgruppen möchte Huber nicht ausschließen, eine Ausnahme für Saisonkräfte fordert jedoch auch er.
Die Opposition im bayerischen Landtag hält indes nichts von Ausnahmen. „Zentraler Punkt des flächendeckenden Mindestlohns ist für uns, dass er auch wirklich flächendeckend ist“, sagt die Grüne Kerstin Celina. Auch bei den Freien Wählern, die sich eine regionale Ausdifferenzierung des Mindestlohns gewünscht hätten, ist man besorgt. „Man hätte den Koalitionsvertrag viel konkreter ausformulieren müssen“, so Gabi Schmidt, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion. „So sind die Vereinbarungen nichts anderes als ein löchriger Eimer, mit dem man versucht, Nudeln abzugießen. Am Ende bleiben kaum mehr welche übrig.“
(Angelika Kahl)
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