Politik

Leidiges Missverhältnis an den Unis: zu wenig Professoren, viele schlecht bezahlte Dozenten, sehr viele Studenten. (Foto: dpa)

27.03.2015

Minilösung für ein Maxiproblem

Jahrelang befristet arbeiten mit Kettenverträgen: An Unis ist das erlaubt – daran ändert auch eine neue Vereinbarung wenig

In privaten Unternehmen wäre das undenkbar: zwölf Jahre lang einen Mitarbeiter immer wieder mit befristeten Verträgen abzuspeisen – oft mit einer Laufzeit von unter einem Jahr. An staatlichen Hochschulen aber ist das gängige Praxis: Der berufliche Aufstieg gleicht dort oft einer Zitterpartie, die in vielen Fällen in einer Sackgasse endet. Denn gerade einmal vier Prozent der Doktoranden schaffen es auf eine feste Stelle oder Professur. Im Schnitt sind Wissenschaftler/innen 41 Jahre alt, wenn sie das erste Mal im Leben Planungssicherheit haben. Insgesamt haben über 70 Prozent der Wissenschaftler an bayerischen Hochschulen einen befristeten Vertrag – im akademischen Mittelbau sind es sogar rund 90 Prozent.
Doch endlich bewegt sich was – vor allem auf Druck der Politik. Der Landtag hat in der Vergangenheit immer wieder die prekären Beschäftigungsverhältnisse an bayerischen Unis angeprangert – fraktionsübergreifend. Ein starkes Zeichen, das man auch im Wissenschaftsministerium nicht ignorieren konnte. Dort wurde eine freiwillige Selbstverpflichtung erarbeitet, zu deren Grundsätzen sich die staatlichen Unis – wenngleich mit Abstrichen – nun bekennen. Unter anderem sollen neue befristete Verträge mindestens ein Jahr gelten, und Doktoranden und angehende Professoren für zwei bis vier beziehungsweise vier bis sechs Jahre beschäftigt werden. Die Beschäftigungsdauer im Rahmen von Drittmittelprojekten soll der Projektlaufzeit entsprechen. Lob dafür kommt von ungewöhnlicher Seite: „Das muss ich neidlos anerkennen: Gerade Bayern ist in diesem Beritt Vorreiter“, betonte jetzt die SPD-Bundespolitikerin Simone Raatz.
Im Landtag herrscht verhaltene Freude: „Er ist ein Schritt in die richtige Richtung“, sagt Michael Piazolo (Freie Wähler), Vorsitzender des Hochschulausschusses. „Der kleinstmögliche Schritt“, präzisiert SPD-Hochschulpolitikerin Isabell Zacharias. Was ihnen wie auch der Grünen Verena Osgyan fehlt: Verbindlichkeit. Und die Eröffnung von Karriereperspektiven unterhalb der Professur. Ausschussvize Oliver Jörg (CSU) dagegen betont: „Die Selbstverpflichtung ist ein gutes Instrument.“ In drei Jahren soll evaluiert werden. „Sind wir dann nicht weiter, kann man noch mal verschärfter herangehen.“

Wettbewerb um die Besten

Mehr Schärfe hätte sich Andreas Keller, Vize-Vorsitzender der Bildungsgewerkschaft GEW, bereits jetzt gewünscht. Er lobt zwar, dass „Hochschulen endlich Verantwortung übernehmen“. Kritisiert aber, dass Kettenverträge weiterhin möglich sind. Bernhard Emmer, Sprecher des Landesverbands der Wissenschaftler in Bayern dagegen glaubt: „Die Vertragsdauerzeiten werden signifikant steigen.“ Emmer, der an der Ausarbeitung des Kodex als Vertreter des akademischen Mittelbaus beteiligt war, betont aber auch: Das Papier sei nicht darauf angelegt, die Zahl der Befristungen zu senken. Das würde die Flexibilität der Unis gefährden, meinen nämlich die Hochschulpräsidenten. Zudem sei es unmöglich, Stellen, die aus Drittmitteln finanziert und an bestimmte Projekte gebunden sind, zu entfristen. Deren Zahl wächst. Wolle man an der Planungsunsicherheit für Mitarbeiter etwas ändern, betont Bernd Huber, Präsident der Münchner LMU, müssten die Unis mehr Fördermittel erhalten.
Trotz der jetzt beschlossenen Selbstverpflichtung bleibt jedenfalls misslich, dass drei Mal so viele Uni-Mitarbeiter auf eine Professur vorbereitet werden, wie Stellen vorhanden sind. Die es nicht schaffen, sind für die freie Wirtschaft dann überqualifiziert oder schlicht zu alt. Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, klagt: Während die Studierendenzahl explodiere, habe sich die Zahl der Professuren kaum erhöht. Münch ist wie Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle Mitglied im Wissenschaftsrat, dem wichtigsten wissenschaftspolitischen Beratungsgremium in Deutschland. Im vergangenen Jahr hat dieser empfohlen, die Zahl der Professorenstellen signifikant zu erhöhen und sogenannte Tenure- Track-Stellen an den Unis schaffen: In einem zeitlich befristeten Vertrag werden Zielvorgaben vereinbart, bewährt sich ein Wissenschaftler, bekommt er eine unbefristete Stelle – ein gängiges Verfahren in den USA. An LMU und TU München gibt es dazu bereits erste Modelle.
Auch Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) hat gerade angekündigt, mit den Ländern ein Programm zur Schaffung zusätzlicher Tenure-Track-Stellen zu erarbeiten. Wie viel Geld es dafür geben soll, ist offen. Mehr Professorenstellen und bessere Zukunftsperspektiven durch Tenure Tracks – das verlangt auch Bayerns Opposition. Und mehr Geld vom Staat. Doch CSU und Spaenle winken ab: Der Freistaat habe die Mittel bereits erhöht. Mag ja sein, meint FW-Politiker Piazolo. Fakt bleibe: Auch im bayerischen Hochschulsystem sei zu vieles auf Kante genäht: „So kann man den Wettbewerb um die besten Köpfe nicht gewinnen.“ (Angelika Kahl)

Kommentare (2)

  1. Roland am 01.04.2015
    Das ist in privaten Unternehmen genau so wie im öffentlichen Dienst der Normalfall.
    Der Bericht ist falsch und stimmt so nicht!
  2. Zitrone am 30.03.2015
    Wir sind in Bayern, laut Herrn Seehofer die Vorstufe zum Paradies. Ob das die Menschen genauso sehn, die immer wieder bangen müssen, ob der Vertrag verlängert wird. Oder die befristet angestellten Lehrkräfte, die in den großen Ferien in die Arbetislosigkeit geschickt werden.? Oder die Kindergärtnerinnen, die erst im Spätsommer erfahren, ob sie und wieviel weiterbeschäftigt werden.? Abgeordnete und Minister sollten einmal ein Jahr lang von Hartz IV leben müssen, das würde den christlichen Blick weiten. Aber CSU Abgeordneter in Bayern ist ja viel besser als Lebenszeitbeamter.
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