Politik

Beim Bayerischen Landes-Sportverband (BLSV) sind aktuell 1,03 Millionen Kinder aktiv – 17.150 weniger als 2007. (Foto: dpa)

12.01.2018

Mitgliederflaute in Vereinen

Immer weniger Jugendliche wollen sich an regelmäßige Trainingzeiten binden – wie kann man gegensteuern?

Seit ihrer Kindheit ging Natalia regelmäßig ins Training. Jetzt hat sie keinen Bock mehr auf ihren Sportverein: „Ich bin 14 und will lieber mehr mit meinen Freundinnen unternehmen anstatt dreimal die Woche ein Spiel, Training oder Turnier zu haben“, erzählt sie. So wie Natalia wollen sich viele Jugendliche nicht mehr an regelmäßige Trainingszeiten oder Versammlungen binden. Das Ergebnis: Etliche Vereine klagen über Nachwuchsmangel – auch in Bayern.

Der Anteil der Jugendlichen im Bayerischen Blasmusikerverband ist seit 2007 um knapp 5000 auf 46 000 gesunken. Die Jugendfeuerwehren in Bayern haben nach Angaben des Landes-Feuerwehrverbands (LFV) im selben Zeitraum mehr als 3000 Mitglieder verloren. „Die Freiwilligen Feuerwehren haben leider im ländlichen Bereich immer mehr Nachwuchssorgen“, erzählt eine LFV-Sprecherin. Sinkende Mitgliederzahlen bedeuten auch sinkende Einnahmen. Gerade kleinere Vereine müssen dann Trainingseinheiten streichen, weil sonst die Raummiete zu teuer wird.

Selbst die traditionell starken Sportverbände verzeichnen Mitgliederverluste. Beim Bayerischen Landes-Sportverband (BLSV) sind aktuell 1,03 Millionen Kinder aktiv – 17 150 weniger als 2007. Bei den Jugendlichen bis 18 Jahren sank die Mitgliederquote im selben Zeitraum um drei Prozent auf 385 931. „Vor allem im Bereich der Kinder und Jugendlichen ist die Herausforderung aufgrund sich ändernder Rahmenbedingungen groß“, sagt ein BLSV-Sprecher.

Als Gründe für den Mitgliederschwund nennen Verbände die langen Schulzeiten und vielen Hausaufgaben. Allerdings seien diese Gründe auch schon vor 20 Jahren genannt worden, räumt Blasmusikverbands-Chef Andreas Horber ein. Wichtiger ist: „Viele Jugendliche erleben Vereine oft in einer fast kleingeistigen Art, da viele ältere Mitglieder noch nicht gesehen haben, dass sich die Welt verändert hat“, sagt der Münchner Sozialpsychologe Dieter Frey. Nicht zuletzt aufgrund der patriarchalischen Führung prallten unterschiedliche Wertvorstellungen aufeinander.

Die Verbände konzentrieren sich jetzt verstärkt auf die Nachwuchsarbeit. So fördert der BLSV zum Beispiel mit dem Projekt „BAERchen“ die Zusammenarbeit mit Kindergärten. Bei einem anderen Projekt werden Kindertagesstätten ausgezeichnet, die sich für Bewegungsförderung einsetzen. Außerdem versuchen Vereine, verstärkt in das schulische Ganztagsangebot integriert zu werden. Die innere Erneuerung bleibt oft aus.

Zuwachs bei ehrenamtlichen Asylhelfern

Neben der Mitgliedschaft ist auch das freiwillige Engagement in Sportvereinen von Jugendlichen zwischen 14 und 24 Jahren zurückgegangen, beispielsweise als Trainer. Laut Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) sank die Quote von 14,8 Prozent im Jahr 1999 auf 12,2 Prozent im Jahr 2009. Aktuellere Zahlen werden erst 2020 wieder erhoben. Besonders groß war der Rückgang bei Studierenden und jungen Frauen. Eine wesentliche Rolle spielt auch das Bildungsniveau – je niedriger der (angestrebte) Abschluss, desto geringer das Engagement. „Teilhabechancen sind offenbar auch im Sport immer ungleicher zuungunsten bildungsferner Milieus verteilt“, heißt es in der BISp-Studie.

Besser sieht es hingegen beim freiwilligen Engagement von Jugendlichen außerhalb des Sportbereichs aus. Während laut des jüngsten Deutschen Freiwilligensurvey 1999 nur 19,6 Prozent der 14- bis 17-Jährigen in einem Verein oder Verband engagiert waren, waren es 2014 bereits 25,4 Prozent. „Aus der Engagementlandschaft, beispielsweise von Vereinen oder Verbänden, wird aber über Schwierigkeiten berichtet, freiwillig Engagierte und vor allem junge Menschen für eine freiwillige Tätigkeit zu gewinnen“, sagt eine Sprecherin des Bundesjugendministeriums.

Experten führen diesen Widerspruch darauf zurück, dass zum einen die Zahl der Vereine schneller gestiegen ist als die der Engagierten. Tatsächlich hat sich die Zahl der Vereine in Bayern seit 1990 fast verdoppelt. Zum anderen hat das Engagement in individuell organisierten Gruppen stark zugenommen, beispielsweise in Asylhelferkreisen. Jugendverbände fordern daher schon länger, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen. „Stundenpläne müssen so gestaltet sein, dass Schüler in der Regel ab 16 Uhr alle schulischen Verpflichtungen erledigt haben“, verlangt der Bayerische Jugendring (BJR).

Studierende sollten in den vorlesungsfreien Zeiten keine Prüfungen schreiben müssen, damit sie als Betreuer auf Ferienfreizeiten fahren können, lautet eine Forderung aus Berlin. Und Hochschulen sollten ehrenamtliche Arbeit durch Wartesemester oder eine Verlängerung der Regelstudienzeit honorieren. Nicht zuletzt sollten Angestellte für ihre ehrenamtliche Tätigkeit häufiger vom Arbeitgeber freigestellt werden.

Doch auch die Verbände müssen umdenken. Der BJR rät, Engagement nicht wie bisher nach mehr als zehn Jahren mit einem Ehrenzeichen zu würdigen. Eine alternative Form der Wertschätzung könnten zum Beispiel Jugendleiter-Treffen mit Kinobesuch und anschließendem Büfett sein, schlägt BJR-Referent Martin Holzner vor. „Um geeignete Formen zu finden, sollten Jugendorganisationen gemeinsam mit ihren Ehrenamtlichen attraktive Ideen finden und umsetzen.“

Ideen kommen auch aus der Politik. So fordern die Freien Wähler schon seit Jahren, bürokratische Hürden abzubauen, um Jugendlichen die Vereinsgründung zu vereinfachen. Außerdem sollte das Projekt „Service Learning“ endlich flächendeckend an bayerischen Schulen etabliert werden. Dabei übernehmen Schüler im Rahmen des Lehrplans Verantwortung für die Gesellschaft, beispielsweise durch Handykurse für Senioren. „So kann die Jugend besser an bürgerschaftliches Engagement herangeführt werden“, ist der FW-Landtagsabgeordnete Hans Jürgen Fahn überzeugt.

Natalias Eltern sind zwar enttäuscht, dass ihre Tochter keinen Sport mehr machen will. Doch sie versuchen, es positiv zu sehen. Eine Langzeitstudie der Universität Potsdam ergab: Jugendliche, die nicht im Sportverein sind, trinken weniger Alkohol als ihre Altersgenossen. (David Lohmann)

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