Politik

Gehört der Islam zu Bayern? „Es gibt viele Muslime, die heute selbstverständlich zu Bayern gehören“, sagt dazu Innenminister Joachim Herrmann. (Foto: dpa)

16.01.2015

"Muslime müssen den Kontakt zur Gesellschaft suchen"

Innenminister Joachim Herrmann über Anschlagsgefahr und Sicherheitsmaßnahmen in Bayern und warum Pegida im Freistaat keine Chance hat

Nach dem Anschlag in Paris kann es das nächste Mal auch München treffen, glaubt Innenminister Herrmann. Diese Woche hat er ein Fünf-Punkte-Programm gegen Terror vorgestellt. In einem bleibt er beharrlich: Die Vorratsdatenspeicherung muss kommen. Und er erklärt, warum die CSU im Gegensatz zur Opposition nicht für die Anti-Pegida-Kundgebungen im Freistaat wirbt. BSZ: Herr Herrmann, wie groß ist die Anschlagsgefahr für Bayern?
Joachim Herrmann: Wir haben auf Anschlagspläne keine konkreten Hinweise. Das abstrakte Risiko schätze ich aber als sehr hoch ein. Mit den Anschlägen auf den Boston-Marathon, die Synagoge in Marseille, das Jüdische Museum in Brüssel, das Parlament in Kanada und jetzt die Morde in Paris in der Redaktion von Charlie Hebdo, in einem koscheren Supermarkt und auf offener Straße, wo eine Polizistin hinterrücks erschossen wurde, waren die unterschiedlichsten Orte in Europa und Nordamerika betroffen. Da ist es völlig klar, dass der nächste Anschlag auch in London, Rom, Berlin oder München stattfinden kann.

BSZ: Gäbe es konkrete Anschlagspläne, würden Sie diese denn überhaupt publik machen?
Herrmann: Das käme auf die Umstände des Einzelfalles an. Denken Sie an den Fall der Sauerland-Gruppe, hier war es geboten und verantwortbar, dass die Sicherheitsbehörden zunächst im Verborgenen ermittelt haben. Als es im Herbst 2009 Anschlagsdrohungen auf das Oktoberfest gab, haben wir die Öffentlichkeit sofort informiert und dort zusätzliche Maßnahmen für die Sicherheit ergriffen.

BSZ: Sind seit der vergangenen Woche in Bayern bereits konkrete Maßnahmen zur Terrorabwehr angelaufen?
Herrmann: Wir haben sofort alle uns als gefährlich bekannten Personen noch einmal in den Blick genommen. Aufenthaltsorte wurden ermittelt und Daten der Telekommunikationsüberwachung noch einmal genauer angeschaut.

BSZ: Wie viele Personen sind das?
Herrmann: 50 plus minus ein kleines X ...

"Die französischen Attentäter waren dem Staat ja bereits als gefährlich bekannt, wurden aber nicht mehr überwacht"

BSZ: Das Kabinett hat am Dienstag ein Fünf-Punkte-Programm gegen internationalen Terror beschlossen. Unter anderem sollen Islamisten an der Ausreise gehindert werden mittels Entzug des Personalausweises. Und bereits der Plan, nach Syrien ausreisen zu wollen, um dort an Kampfhandlungen teilzunehmen, soll bestraft werden können. Wie wollen Sie den Leuten denn eine Absicht nachweisen?
Herrmann: Wichtig ist zunächst einmal, dass das Verhalten überhaupt strafbewehrt ist, weil die Sicherheitsbehörden ansonsten keine Handhabe haben. Dann gilt es, sich im Einzelfall bietende Ermittlungsansätze zu nutzen. Manche Personen brüsten sich mit ihrer Absicht öffentlich. Andere kommunizieren sie per E-Mail oder im Internet.

BSZ: Jemand, der sich damit öffentlich gebrüstet hat, war der Allgäuer Salafist Erhan A., den hat Bayern abgeschoben. Wie passt das zusammen damit, dass man Islamisten darin hindern will, in den Dschihad zu ziehen?
Herrmann: Wir schauen uns jeden Einzelfall genau an. Eine UN-Resolution verpflichtet uns, dass wir niemanden in das Kriegsgebiet ausreisen lassen. Und dazu stehen wir auch. In diesem konkreten Fall haben wir aber einen türkischen Staatsangehörigen in die Türkei befördert, worüber die türkischen Sicherheitsbehörden natürlich unterrichtet waren. Er hatte gedroht, seine eigene in Deutschland lebende Familie zu ermorden, wenn sie sich gegen den Islamischen Staat stellen würde.

BSZ: Sie wollen die Vorratsdatenspeicherung wieder einführen. In Paris hat sie keine Anschläge verhindert. Und eine Studie des Bundeskriminalamts kommt zu dem Schluss, dass sie die Aufklärungsquote um nur 0,006 Prozent erhöhen würde. Warum halten sie so vehement an der Forderung fest?
Herrmann: Sie können auch dem FC Bayern vorhalten, er habe nur 0,00000001 Prozent aller in der letzten Spielzeit in ganz Deutschland erzielten Tore geschossen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Möglichkeiten für die Auswertung der Telekommunikationsdaten zu Recht stark begrenzt auf Gott sei Dank sehr selten anzutreffende Delikte wie Mord und Totschlag – ob im terroristischen Bereich oder in dem der organisierten Kriminalität. Genau dort macht sie Sinn und erhöht auch die Aufklärungsquote wesentlich. Wir wissen zum Beispiel aufgrund der Tatsache, dass die Franzosen die Handydaten der Attentäter auswerten konnten, dass es in den letzten Monaten keinerlei Telefonverbindungen nach Deutschland gab. Ich denke, das ist doch eine sehr wichtige Erkenntnis. Und im anderen Fall wäre es umso wichtiger gewesen, zu wissen, mit wem die französischen Attentäter in Kontakt gestanden haben, um diese Personen genauer unter die Lupe nehmen zu können.

"Es gibt Islam-Gemeinden, die sich abkapseln"

BSZ: Für die Observation von Verdächtigen will man 100 zusätzliche Stellen bei den bayerischen Sicherheitsbehörden schaffen. Sehr viele Verdächtige können diese aber auch nicht rund um die Uhr überwachen, oder?
Herrmann: Der Personalaufwand für eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung liegt normalerweise bei 10 bis 15 Leuten. Wir haben ja bereits zahlreiche Observationstrupps bei Polizei und Verfassungsschutz und sind gut aufgestellt. Aber wir wollen noch besser werden. Die französischen Attentäter waren dem Staat ja bereits als gefährlich bekannt, wurden aber nicht mehr überwacht.

BSZ: Der letzte Punkt in Ihrem Fünf-Punkte-Programm beinhaltet Dialog, Aufklärung und Prävention. Spiegelt das die Priorität wider, die Sie diesen Maßnahmen zuordnen?
Herrmann: Aus der Reihung der Einzelpunkte spricht keine Wertung. Bei den Stellen und den gesetzgeberischen Maßnahmen geht es um eine unmittelbare und kurzfristige Verbesserung der Sicherheitssituation für unsere Bürger. Aber natürlich braucht es auch die verstärkte Anregung eines Dialogs zwischen Menschen der unterschiedlichen Religionen. Denn wird der gegenseitige Respekt tatsächlich gelebt, werden damit auch gewalttätige Auseinandersetzungen vermieden.

BSZ: Viele Muslime in Bayern haben die Sorge, nach den Pariser Anschlägen einem Generalverdacht ausgesetzt zu werden. Wie schätzen Sie das ein?
Herrmann: Ich sehe einen solchen Generalverdacht nicht. Schon gar nicht bei den bayerischen Sicherheitsbehörden. Die ganz überwältigende Mehrheit der Muslime in Bayern ist natürlich terroristischer Umtriebe völlig unverdächtig. Gerade deshalb gilt es immer wieder klarzumachen: Nicht der aufgeklärte Islam und die ihn praktizierenden Menschen müssen unseren Argwohn erwecken, sondern Terroristen und Schwerkriminelle, die den Islam dazu missbrauchen, um ihr schändliches Treiben vermeintlich zu legitimieren.

BSZ: Haben Sie Forderungen an islamische Gemeinden in Bayern?
Herrmann: Sie sind aufgerufen, ihre Positionen gegen Terror und Gewalt unmissverständlich deutlich zu machen. Und den Weg von sich aus in die Öffentlichkeit und den Kontakt zu den Kirchen und staatlichen Vertretern zu suchen. Das machen einige bereits heute. Aber es gibt auch islamische Gemeinden, die sich eher abkapseln. Ihnen kann ich nur dringend zu einem stärkeren Kontakt zu den anderen Teilen unserer Gesellschaft raten. BSZ: Wird auch der Staat auf diese Gemeinden zugehen?
Herrmann: Wir werden in den nächsten Wochen darüber beraten, wie wir den Dialog mit den islamischen Gemeinden insgesamt in Deutschland verstärken können.

"Natürlich waren unter den 20 000 Demonstranten am vergangenen Montag in München auch CSUler"

BSZ: Gehört der Islam zu Bayern?
Herrmann: Es gibt viele Muslime, die heute selbstverständlich zu Bayern gehören. Und ich glaube, dass das von den allermeisten Menschen in Bayern auch genauso respektiert wird.

BSZ: Eine klare Antwort ist das zwar nicht. Aber selbst das werden die Pediga-Anhänger wohl anders sehen.
Herrmann: Aber solche Demonstrationen wie in Dresden gibt es bei uns in Bayern doch gar nicht. Daran sieht man, dass wir ein gutes Zusammenleben haben. Und das hängt, glaube ich, auch mit der guten Integration in Bayern zusammen. Sie ist bei uns erfolgreicher als in manch anderen Ländern.

BSZ: Aber ist die Forderung der CSU nach strengeren Einwanderungsgesetzen nicht auch eine Reaktion auf Pegida und AfD?
Herrmann: Niemand redet bei uns von strengeren Einwanderungsgesetzen. Wir haben die Möglichkeiten zur Gewinnung guter Arbeitskräfte vielmehr deutlich erleichtert. Und wir haben in den letzten Jahren auch die Lebensbedingungen der Asylbewerber kontinuierlich verbessert. Aber es muss auch klar sein, dass derjenige, der einen Ablehnungsbescheid vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bekommt, wieder heimkehren muss.

BSZ: Die CSU ruft – im Gegensatz zu allen anderen Parteien im Freistaat – nicht zur Teilnahme an den Kundgebungen gegen Pegida auf. Warum nicht?
Herrmann: Unter den 20 000 Menschen waren am Montag natürlich auch eine Reihe CSUler. Aber das kann doch jeder Bürger für sich entscheiden. Ich denke, die Stimmung in Bayern ist ganz klar positiv. Und bürgerliches Engagement ist in Bayern so unstrittig und selbstverständlich, dass wir das nicht täglich demonstrieren müssen.  (Interview: Angelika Kahl)

Kommentare (1)

  1. Zitrone am 19.01.2015
    Einverstanden Herr Minister, alle Menschen, die zu uns kommen, sind aufgefordert, den Kontakt zur Gesellschaft zu suchen, aber nicht nur die Muslime. Wenn lt. einer Umfrage weniger als 20% einen persönlichen Kontakt zu einem Zuwanderer haben, stellt sich die Frage, ob nicht auch wir auf diese Menschen mehr zugehen müssen.
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