Ilse Aigner hat sich Zeit gelassen, um den Wirtschaftspolitikern im Landtag ihre Pläne für die kommenden Monate und Jahre vorzustellen. Gut über 100 Tage ist sie nun schon Staatsministerin für Wirtschaft, Medien, Energie und Technologie. Doch erst war sie bei den Berliner Koalitionsgesprächen gebunden, dann fuhr ihr der Chef bei ihren Versuchen, Profil zu gewinnen, regelmäßig in die Parade. Aigner mag auf dem Papier die Zuständigkeit für die Energiepolitik im Freistaat haben, deren Richtung bestimmt aber Horst Seehofer. Und sonst niemand. Trotzdem beginnt Aigner ihre „kleine“ Regierungserklärung im Wirtschaftsausschuss mit der Frage der künftigen Stromversorgung in Bayern. „Da sind wir gerade in einer spannenden Phase“, sagt sie. Eigentlich eine gute Zeit für neue Minister, sich mal in Szene zu setzen.
Aber Aigner setzt keine Akzente. Zwar nimmt die Energiewende etwa die Hälfte ihrer Redezeit ein, doch wiederholt sie dabei nur, was Seehofer tags zuvor bereits in und vor dem Plenarsaal verkündet hatte (Seite 7). Der wirklich entscheidenden Frage, wie die Stromlücke nach dem Abschalten der bayerischen Kernkraftwerke geschlossen werden soll, weicht auch sie unter Verweis auf die ausstehende Rahmengesetzgebung des Bundes aus. Entsprechend sind die Kommentare der Opposition. „Beim Thema Energie bekommen nicht nur wir, sondern inzwischen auch die Wirtschaft einen dicken Hals“, bekundet Annette Karl (SPD). Wenn Aigner nicht bald ein Konzept vorlege, drohe Bayern wirtschaftlich zurückzufallen. „Energiewende in Bayern, das ist Ministerpräsident mal Chaos im Quadrat“, formuliert sie das Einsteinsche E=mc2 um. Wenn sich das nicht bald ändere, ergänzt der Grüne Martin Stümpfig, dann können wir unsere Wachstumsprognosen „in den Schornstein schieben“.
In der Wirtschaftspolitik setzt Aigner zwei Schwerpunkte. Sie will der in Bayern erlahmenden Gründerdynamik neuen Schub verleihen, und sie plant die „Cluster-Offensive 2.0“. Noch stehe Bayern bei den Unternehmensneugründungen bundesweit an der Spitze, berichtet Aigner, „aber die anderen schlafen nicht“. Vor allem der Großraum Berlin hole auf. Mit „Startup-Bayern“ will Aigner eine „neue Gründerwelle“ anstoßen mit verbesserten Rahmenbedingungen für den Einsatz vom Wagniskapital, einer modifizierten staatlichen Förderung für Unternehmensgründer und einer intensiveren Beratung im Vorfeld der Gründung. Zudem plant sie in der Metropolregion München ein internationales Gründerzentrum für Internet und Medien, das in alle Landesteile ausstrahlen soll. Und als Mammutaufgabe hat sie sich vorgenommen, die bald 20 Jahre alte Cluster-Initiative auf den Prüfstand zu stellen und stärker an den Bedürfnissen der Unternehmen zu orientieren.
Wo ist die Strategie?
Als Aigner die bayerischen Wirtschaftsdaten rühmt und für die nächste Zeit eine konstante Aufwärtsentwicklung prophezeit, will die Opposition mit Lob nicht hintanstehen. Die sich aber auch ein bisschen mehr Strategie wünscht: „Wirtschaftspolitik muss mehr sein, als einem erfolgreichen Land diverse Etiketten aufzukleben“, mahnt Annette Karl. Sie verweist auf die nach wie vor gravierenden regionalen Unterschiede im Freistaat, vermisst Initiativen zur Förderung kleiner mittelständischer Unternehmen und wundert sich, dass Aigner über den allseits beklagten Fachkräftemangel kein Wort verloren hat.
Tatsächlich hatte Aigner das Wort „Mittelstand“ nicht einmal in den Mund genommen. So sieht sich die CSU-Abgeordnete Ulrike Scharf genötigt, ein zehnminütiges Zusatzreferat zum Thema zu halten, in dem sie alle Problemfelder vom Strompreis über den Mindestlohn bis hin zum Bürokratiewahn unterbringt.
Vor allem Letzteres ist Jutta Widmann (FW) ein besonderes Ärgernis. Sie fordert für Mittelständler eine „bürokratieberuhigte Zone“. Schließlich könne sich kein Handwerksbetrieb einen eigenen Juristen für Arbeits-, Steuer- oder Sozialrecht leisten.
Aigner schreibt eifrig mit, die Fragen und Anregungen der Abgeordneten summieren sich am Ende zu einigen Dutzend. Sollte Aigner bisher nicht gewusst haben, wie breit gefächert das Feld der Wirtschaftspolitik ist, nach ihrem Premierenbesuch im zuständigen Fachausschuss des Landtags müsste sie davon nun zumindest eine Ahnung haben.
(Jürgen Umlauft)
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