Politik

Ein Recht auf Drogen wie Cannabis wird es in Bayern auch künftig nicht geben – dafür die Möglichkeit, Cannabis für medizinische Zwecke anzubauen oder das Opiat-Gegenmittel Naloxon zu erhalten. Das Bild zeigt einen Pro-Cannabis-Demonstranten in München. (Foto: dpa)

25.08.2017

Neue Wege in der bayerischen Suchtpolitik

In Bayern gibt es mehr Drogentote als in jedem anderen Bundesland – die CSU will das ändern: mit dem Opiat-Gegenmittel Naloxon oder einem Ausbau der Methadon-Ersatztherapie

321 Menschen sind vergangenes Jahr in Bayern an den Folgen ihrer Drogensucht gestorben – mehr als in jedem anderen deutschen Flächenland. Die Oppositionsforderung nach Drogenkonsumräumen, in denen es saubere Spritzen und rasche Hilfe in Notfällen gibt, verhallte ungehört. Jetzt bringt die CSU ein Modellprojekt auf den Weg, das den Einsatz des Medikaments Naloxon bei Überdosierungen testen soll. Außerdem geplant: eine repräsentative Erhebung zum Drogenkonsum bei Schülern. Reicht das? In den USA ist das Opiat-Gegenmittel Naloxon schon länger im Einsatz: So kann etwa in New York City jeder Bürger kostenfrei und ohne Rezept Naloxon bekommen – egal, ob er das Medikament für sich selbst oder jemand anderen braucht. Naloxon wirkt innerhalb weniger Minuten, indem es den Atemstillstand als tödliche Nebenwirkung einer Opiat-Überdosierung aufhebt. Naloxon kann als Nasenspray oder Injektionslösung eingesetzt werden, nicht aber in Tablettenform; der Wirkstoff wird über den Magen-Darm-Trakt nicht aufgenommen.

In Deutschland ist Naloxon bislang nur als Injektionslösung erhältlich. Es wird von Ärzten im Fall von Überdosierungen intravenös verabreicht. Deshalb war es bisher nicht möglich, das lebensrettende Medikament an medizinische Laien zu verteilen, an Drogenhilfeeinrichtungen etwa oder an Angehörige von Suchtkranken. Zudem ist Naloxon in Deutschland rezeptpflichtig und darf nur in Apotheken ausgegeben werden. All dies hat bisher verhindert, dass das Mittel im großen Stil angewendet werden konnte.
Das soll sich jetzt ändern. Als erstes Bundesland hat Bayern ein Modellprojekt auf den Weg gebracht, das den Naloxon-Einsatz vereinfachen soll. Die CSU-Landtagsfraktion, die das Projekt initiiert hat, preist den Freistaat deshalb als „Vorreiter“.

Cannabisanbau in Bayern: für Medizinzwecke  künftig erlaubt


Tatsächlich besteht in Bayern dringender Handlungsbedarf bei der Drogenpolitik. Denn in keinem anderen deutschen Bundesland sterben jedes Jahr mehr Menschen an den Folgen ihrer Drogensucht.
Das jetzt angekündigte Naloxon-Projekt soll Anfang 2018 starten. Wissenschaftlich begleitet wird es von den Universitäten Regensburg, Bamberg und München, die Projektleitung liegt bei dem Regensburger Professor Norbert Wodarz. In jeder der vier Städte soll Naloxon an jeweils 100 medizinische Laien gegeben werden – Angehörige oder Mitarbeiter von Drogenhilfeeinrichtungen. Das Projekt ist auf zwei Jahre befristet. Der Landtag soll dafür im Nachtragshaushalt 330 000 Euro zur Verfügung stellen.

Das Geld wird dann unter anderem dafür verwendet, die medizinischen Laien darin zu schulen, Naloxon richtig anzuwenden. Dabei kann man zwar, sagt Suchtexperte Wodarz der Staatszeitung, „die ersten drei Minuten wenig falsch machen“, danach aber schon. Naloxon wirkt als Spray nach etwa drei Minuten und holt den Patienten aus der Überdosierung. Doch danach, sagt Wodarz, wird’s für den Süchtigen „maximal unangenehm“. Denn Naloxon hebt sämtliche Wirkungen von Heroin oder anderen Opiaten auf, der Süchtige befindet sich also blitzartig im kalten Entzug – mit allen Symptomen. Wie verhält man sich dann? „Dafür muss man die Leute schulen“, erläutert Wodarz. „Man kann das Mittel nicht einfach großflächig verteilen.“ So müsse man auch wissen, dass die Wirkung von Naloxon nach 30 Minuten nachlässt, man dürfe den Patienten also nicht einfach sich selbst überlassen. „Man muss immer einen Notarzt rufen“, betont der Professor.

Bis das Projekt startet, muss noch geklärt werden, woher Bayern Naloxon in Sprayform beziehen kann. Möglich ist ein Import aus den USA, wo das Präparat allerdings mit rund 200 Euro sehr teuer ist. Laut Norbert Wodarz haben zwei europäische Pharmaunternehmen eine Zulassung von Naloxon in Sprayform beantragt. Wodarz hofft, dass das Medikament bald auf dem Markt ist. Denn wenn man das Medikament in Europa kaufen kann, „hat das erhebliche Kostenvorteile“, so der Suchtexperte.

Allerdings: Nur rund zwei Drittel aller Drogentoten sterben an den Folgen einer Überdosierung. Was aber will Bayern gegen die Todesfälle unternehmen, die beispielsweise aufgrund verunreinigter Spritzen oder gefährlicher Ausweichdrogen entstehen? Nach übereinstimmender Meinung von Suchtexperten könnten hier Drogenkonsumräume helfen. Klaus Fuhrmann vom Münchner Suchthilfeverein Condrobs erklärt, dass nirgendwo sonst in Deutschland so häufig auf Ausweichdrogen zurückgegriffen werde wie in Bayern. Diese Stoffe – etwa Fentanyl – seien teilweise gefährlicher als Heroin. „Hier wäre die Einrichtung von Drogenkonsumräumen hilfreich“, sagt Fuhrmann. Er plädiert außerdem für die kontrollierte Abgabe von Cannabis. „Denn die Todesfälle durch den Konsum von synthetischem Cannabis häufen sich“, erläutert Fuhrmann.


Auch CSU-Mann Mederer will Drogenkonsumräume -
damit steht er in seiner Partei ziemlich allein da


Doch Drogenkonsumräume, in denen Süchtige saubere Spritzen erhalten und in denen geschultes Personal in Notfällen rasch helfen kann, sind für die CSU seit jeher Teufelszeug. Deren Einrichtung widerspricht der harten bayerischen Linie. Dabei setzen inzwischen viele deutschen Großstädte auf Drogenkonsumräume: Hamburg etwa, Berlin, Hannover, Köln oder Bochum.

Wobei der Christsoziale Josef Mederer, Präsident des Bayerischen Bezirketags, das völlig anders sieht als der CSU-Mainstream. Er forderte bereits im vergangenen Jahr, Drogenkonsumräume in München und Nürnberg einzurichten: „Solche Räume sind wichtig, weil sie Drogenabhängige von der Straße bringen und ihnen einen überwachten und sauberen Konsum ermöglichen“, so Mederer.

Der CSU-Gesundheitsexperte Bernhard Seidenath argumentiert indes, „dass die Nachteile von Drogenkonsumräumen deren angebliche Vorteile bei Weitem überwiegen.“ Wenn unter staatlicher Aufsicht der Konsum illegaler Drogen möglich sei, werde ein falsches Signal ausgesendet, sagt Seidenath: „Dadurch werden Drogen verharmlost.“ Statt zu dulden, dass sich Abhängige in Konsumräumen harte Drogen spritzen, setze die CSU darauf, Süchtige von Heroin und Ähnlichem wegzubringen.

Immerhin: Die CSU-Fraktion hat sich dazu durchgerungen, die Behandlung Heroinsüchtiger mit der Ersatzdroge Methadon zu erleichtern. Behandelnde Ärzte bewegten sich hier bislang in einer rechtlichen Grauzone, weshalb immer weniger Mediziner bereit waren, eine Methadontherapie durchzuführen. Eine Gesetzesänderung vom Mai hat hier nun Klarheit geschaffen. Nun wolle man dafür sorgen, dass die „weißen Flecken auf der Landkarte“ bei der Methadonsubstitution beseitigt würden, kündigt Seidenath an.

Um einen Überblick darüber zu erhalten, wie verbreitet welche Drogen bei jungen Leuten sind, setzt die CSU auf eine anonyme Befragung, die im neuen Schuljahr starten soll. Dafür sollen insgesamt 75 000 Schüler in Bayern im Alter von 14 bis 17 Jahren erreicht werden. Durchgeführt wird das Ganze von einem Hamburger Institut, die Kosten betragen 70 000 Euro.

Neu ist auch, dass in Bayern künftig Cannabis angebaut werden darf; natürlich nicht zum Konsum für jedermann. Sondern für medizinische Zwecke – das Mittel wird unter anderem in der Schmerzmedizin eingesetzt.
(Waltraud Taschner)

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