Politik

Kardinal Reinhard Marx ist Vorsitzender der Bischofskonferenz: Diese will das Arbeitsrecht liberalisieren. (Foto: dpa)

30.04.2015

Nicht von dieser Welt

Dass das kirchliche Arbeitsrecht nicht mehr zeitgemäß ist, sieht selbst die Kirche ein – wie mutig ist sie dabei?

Bewegt sich jetzt tatsächlich was? Wenn ja, es käme es einer Sensation gleich. Am Montag haben sich die katholischen Bischofe mehrheitlich für ein liberaleres kirchliches Arbeitsrecht ausgesprochen. Mehr als zwei Drittel der 27 Bischöfe haben im Rahmen der Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands in Würzburg für Änderungen der kirchlichen Grundordnung gestimmt. Über Einzelheiten indes schweigt man sich bislang aus. „Jetzt werden noch einige Modi in den Text eingearbeitet. Das Dokument wird in den nächsten Tagen veröffentlicht“, kündigt Matthias Kopp, Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz, an.
Tatsache ist: Die katholische Kirche hat ein Imageproblem. Selbst viele Gläubige zeigen Unverständnis darüber, wie rigoros kirchliche Träger ihre Privilegien in Sachen Arbeitsrecht bisweilen durchsetzen. Vergangene Woche erst sorgte ein solcher Fall für Aufruhr: Eine homosexuelle Hortleiterin verliert beim katholischen Sozialverband Caritas in Holzkirchen ihren Job als Erzieherin, weil sie ihre Freundin heiraten will. „Ich finde, das ist ein Unding, das geht gar nicht mehr in der heutigen Zeit“, polterte Ulrike Gote, religionspolitische Sprecherin der Landtags-Grünen.
Aber: Für die Kirchen in Deutschland gelten eben eigene Regeln. Das Grundgesetz gewährt ihnen in Artikel 140 ein Selbstbestimmungsrecht: „Jede Religionsgemeinschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbstständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“, heißt es da. Die Kirchen haben daraus ein eigenes Arbeitsrecht entwickelt, das ihrem Selbstverständnis entspricht. Eine zweite Ehe nach Scheidung oder homosexuelle Lebensgemeinschaften gehören nicht dazu. Weil sie ein Verstoß gegen die Loyalitätspflichten darstellen, können arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung folgen. Von Kirchenmitarbeitern wird eben grundsätzlich eine Übereinstimmung mit den katholischen Glaubens- und Moralvorstellungen auch im Privatleben erwartet.
Grundlegend ändern dürfte sich das nicht. Es wäre bereits ein Fortschritt, wenn sich die Kirche zumindest ein bisschen bewegt, sich ein Stück weit öffnet. „Muss man denn christliches Handeln an der katholischen Sexualmoral festmachen“, fragt die SPD-Landtagsabgeordnete Kathi Petersen. Auch Joachim Unterländer, religionspolitischer Sprecher der Landtags-CSU, wünscht sich eine zeitgemäße Weiterentwicklung der Regeln, auch wenn er grundsätzlich hinter der arbeitsrechtlichen Sonderstellung der Kirchen steht. Der Freie-Wähler-Abgeordnete Florian Streibl hält das kirchliche Arbeitsrecht ebenfalls „in manchen Zügen für grotesk“ – gerade was das Verbot der Wiederverheiratung betrifft. Er gibt aber mit Blick auf den Holzkirchner Fall auch zu bedenken: „Manche Eltern geben ihre Kinder doch wohl gerade deshalb in kirchliche Einrichtungen, damit ihnen dort bestimmte Werte vermittelt werden.“

Arbeitsrechtler beanstanden Diskriminierung der Kirchen

Volker Rieble, Arbeitsrechtsprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) widerspricht: „Dass Kunden eine bestimmte Erwartungshaltung haben, rechtfertigt keine Diskriminierung.“ Dass Führungskräfte einer Einrichtung deren Werte vermitteln sollen, aber unter Umständen schon, räumt Rieble ein. Doch selbst das ist umstritten. Denn Entlassungen werden immer wieder vor Gericht angefochten – mitunter erfolgreich. „Es gibt in der Rechtsprechung keine klare Linie, weil hier zwei Positionen aufeinanderprallen“, erklärt Rieble: das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und das Diskriminierungsverbot.
Auffällig dabei ist: Während die Arbeitsgerichte häufig im Sinne des klagenden Arbeitnehmers entscheiden, steht das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in der Regel auf der Seite der Kirchen. So hob das BVerfG im Oktober 2014 das Urteil des Bundesarbeitsgerichts auf, das die Kündigung eines Chefarztes, der in zweiter Ehe lebt, für unwirksam erklärt hatte. Dass in Einzelfallentscheidungen Rechtsregeln geschaffen werden, hält Arbeitsrechtler Rieble für problematisch. Auf die habe der Gesetzgeber dann keinen nennenswerten Einfluss mehr, betont er. „Das reizt unsere Demokratie aus: Richter, die von Bürgern nicht abgewählt werden können, machen die Gesetze.“
Umso erfreulicher wäre es, die Kirchen würden überholte Regelungen endlich selbst überarbeiten. Das betrifft übrigens nicht nur die Frage, inwieweit die katholische Kirche ins Privatleben ihrer Mitarbeiter hineinregieren darf. Auf den Prüfstand gehört auch das Streikverbot und die Möglichkeit von Gewerkschaftsbeteiligungen. Und hier ist auch die evangelische Kirche gefragt.
In seinem Gutachten für die Hans-Böckler-Stiftung kommt Hartmut Kreß, Professor an der evangelisch-theologischen Fakultät der Uni Bonn, zu dem Ergebnis, dass der Sonderweg der Kirchen ethisch und theologisch nicht mehr zu rechtfertigen sei. Es habe sich eine Nebenrechtsordnung entwickelt – mit Konsequenzen für zahlreiche Beschäftigte.
Zusammengenommen sind die Kirchen heute der zweitgrößte Arbeitgeber nach dem Staat. Rund 1,3 Millionen Menschen sind in ihren Kitas, Schulen oder Krankenhäusern beschäftigt. Fast 600 000 Menschen arbeiten allein bei der Caritas. Medizinische, erzieherische oder pflegerische Tätigkeiten aber seien weltliche Aufgaben, urteilt Theologieprofessor Kreß. Dazu kommt: Bei den kirchlichen Trägern gibt es auch Beschäftigte, die gar nicht in der Kirche sind. Angesichts der wachsenden Konkurrenz um Erzieherinnen und Pflegekräfte ist das unumgänglich.
Die Grüne Gote fordert, der Staat solle nur noch kirchliche Einrichtungen fördern, die auch diskriminierungsfrei arbeiten. Eine Idee, die im bayerischen Kultusministerium, zuständig für die Beziehungen zu den Kirchen, auf taube Ohren stößt. „Das Bundesverfassungsgericht hat die Regelungen im kirchlichen Arbeitsrecht als verfassungskonform eingestuft“, sagt ein Sprecher. „Uns steht es nicht zu, Entscheidungen des Verfassungsgerichts in Frage zu stellen.“ Auch von den anderen Parteien im Landtag kommt keine Unterstützung für Gotes Wunsch – sie verweisen auf die BVerfG-Urteile.
SPD-Frau Petersen allerdings stellt eine interessante Frage: „Welche Möglichkeiten müssten wir eigentlich auch allen anderen Religionsgemeinschaften einräumen?“ Auch für sie gilt schließlich der Artikel 140 Grundgesetz. (Angelika Kahl)

Kommentare (1)

  1. Kurt Meusetal am 02.05.2015
    Es ist eine große Errungenschaft der Aufklärung, dass es übergreifende Normen u. a. für das soziale und wirtschaftliche Zusammenleben gibt, und es eben KEINE willkürlichen Privilegien für Personen oder Institutionen gibt. Darum ist es höchst befremdlich und ein unbegreiflicher Anachronismus, dass die Kirche (egal welcher Religion, welcher Konfession) oder auch irgendeine andere Institution Privilegien genießt.

    Hinfort damit!

    Überhaupt verwunderlich, wie und warum sich so etwas wie ein privilegiertes Arbeitsrecht halten konnten beim ganzen aufgeblasenen Justizapparat unsere Zivilisation... Oder gerade deswegen?

    Übrigens, nein, es sind keine Einzelfälle: In meinem Bekanntenkreis mussten private Angelegenheiten vor dem kirchlichen Arbeitgeber geheim gehalten werden, weil sonst eine Entlassung gefolgt wäre.
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