Politik

Impfen oder nicht: Das entscheiden die Eltern – noch zumindest. (Foto: dpa/Jürgen Effner)

26.04.2019

Nur ein kleiner Pieks?

Die Rufe nach einer Impfpflicht werden immer lauter – doch es gibt auch Experten, die sie für unsinnig halten

Impfen bewahrt vor schweren, oft tödlichen Krankheiten. „Trotzdem hat die Impf-Skepsis in den letzten eineinhalb Jahren zugenommen, auch wenn wir insgesamt Fortschritte erzielt haben“, sagt der Landesvorsitzende der Kinder und Jugendärzte in Bayern, Martin Lang. Knapp fünf Prozent schützen ihre Kinder laut Experten nicht ausreichend. Die Weltgesundheitsorganisation WHO nennt die Impfmüdigkeit eine der zehn größten Bedrohungen der Weltgesundheit.

Bei der Frage, wie man das ändern könnte, gehen die Meinungen allerdings auseinander. „Wir haben lange gerungen“, sagt Lang, der eine Kinder- und Jugendpraxis in Augsburg hat. Doch jetzt schloss sich der Landesverband dem deutschen Verband an und fordert eine Impfpflicht. „Die Kinder müssen geschützt sein, wenn sie in Gemeinschaftseinrichtungen kommen“, betont Lang. „Sie dürfen keine Gefahr für schwangere Mütter oder für Kleinkinder sein, die noch nicht geimpft werden können.“ Lang klagt: „Jedes Jahr sterben fünf bis sechs Kinder an den Folgen einer Masernerkrankung.“

Die bayerische Landesärztekammer setzt indes auf Aufklärung. Auch Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) möchte Eltern lieber durch intensive Beratung und Information überzeugen. „Es ist wichtig, die Masern-Impfquoten weiter zu erhöhen. Aber ich bin skeptisch, ob eine Masern-Impfpflicht für Kinder der richtige Weg ist“, sagt Huml der Staatszeitung. „Eine allgemeine Impfpflicht sollte nur als letzte Möglichkeit in Erwägung gezogen werden – wenn andere Maßnahmen nicht den gewünschten Erfolg bringen.“ Laut Huml konnten 2016/2017 rund 92,2 Prozent der bayerischen Schulanfänger zwei Masernimpfungen vorweisen. Im Vergleich zu 2003/2004 eine Steigerung um 48,2 Prozent. Für die Ministerin ein Erfolg intensiver Aufklärungsarbeit. Sie räumt aber ein: „Damit ist die nach Ansicht von Experten notwendige Impfquote von mindestens 95 Prozent zur Eliminierung der Masern in Bayern noch nicht ganz erreicht.“

SPD und FDP im Landtag kritisieren das Zögern in der Staatsregierung. 34 Masernfälle in Bayern in diesem Jahr seien „ein Alarmsignal“, sagt der Allgemeinarzt Dominik Spitzer (FDP). Er fordert deshalb eine Impfpflicht. Für eine Impfpflicht ist auch Ruth Waldmann (SPD), die die „wachsweiche Haltung“ von Ministerpräsident und Gesundheitsministerin kritisiert.

„Ich bin ein großer Fan von Beratung und Aufklärung“, betont dagegen Katharina Schulze, Chefin der Landtags-Grünen. Sie fordert deshalb, Gesundheitsämter personell und finanziell besser auszustatten. „Wenn das aber alles nichts nützt, halte ich persönlich eine Impfpflicht als Ultima Ratio für sinnvoll“, fügt sie hinzu.

Laut Robert Koch-Institut haben in Bayern rund 76 Prozent der Zweijährigen die notwendige Zweitimpfung gegen Masern erhalten. Dem bayerischen Verband der Kinderärzte ist das zu wenig. „Die Gefahr, dass man sich in den Kitas und Kindergärten an Masern ansteckt, ist natürlich riesig“, betont Lang. Eine Gefahr, die nur durch eine Impfpflicht gebannt werden kann? Laut Gesundheitsministerium können Ungeimpfte auch „anlassbezogen“ aus einer Gemeinschaftseinrichtung, etwa einer Kita oder einer Schule ausgeschlossen werden. Hier greift das Infektionsschutzgesetz. Jüngstes Beispiel dafür: Als am Gymnasium Königsbrunn bei Augsburg die Windpocken grassierten, durften wegen der hohen Ansteckungsgefahr zahlreiche ungeimpfte Schüler den Unterricht nicht mehr besuchen.

Akademiker sind besonders impfkritisch

„Es gibt kaum eine andere ärztliche Maßnahme, die so sicher ist wie die Impfung“, erklärt Christian Bogdan, Direktor des Instituts für klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene des Universitätsklinikums Erlangen. Und dennoch: Eine Impfpflicht hält er nicht für sinnvoll. „Damit kann man Impf-Skeptiker oder -gegner sicher nicht überzeugen“, so der Professor, der Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko) ist. Dazu kommt: In Deutschland könne man nicht von einer Masernepidemie sprechen, die im Infektionsschutzgesetz genannten Voraussetzungen für eine Impfpflicht seien deshalb nicht erfüllt, erklärt Bogdan. Das beste Mittel aus Sicht des Immunologen: die Vermittlung von „wissenschaftlichen Fakten und Erkenntnissen“. Und die heutigen Impfstoffe, so Bogdan, seien gut verträglich. „An der Einstichstelle kann es zur Rötung, Schwellung, zu Schmerzen oder auch zu einem vorübergehenden Fieber kommen“, so der Wissenschaftler. Das aber sei eine normale Impfreaktion. Impfkomplikationen oder gar Impfschäden seien hingegen sehr selten.

Impflücken gibt es aber nicht nur bei Kindern. Vor allem auch junge Erwachsene oder Eltern vergessen oft nötige Auffrischimpfungen. „Wir sprechen daher Studierende gezielt bei Erstsemestereröffnungen an“, erklärt Ministerin Huml. „Außerdem werden jährlich das Betreuungspersonal von Kindertageseinrichtungen und Eltern vor dem Eintritt ihrer Kinder in eine Kita an den Impfschutz erinnert.“

Vor allem aber gelten Akademiker als impfkritisch. Die Erfahrung macht auch Mediziner Lang immer wieder. „Die Impf-Skeptiker und Kritiker kommen hauptsächlich aus der Mittelschicht“, so der Kinder- und Jugendarzt. „Gegen die Verunsicherung durch Unwahrheiten in sozialen Foren und im Internet kommen wir kaum an.“ Lang kritisiert, dass Ärzte in der Praxis oft kaum ausreichend Zeit für die Aufklärung der Patienten haben. Er fordert dafür mehr Berücksichtigung im Krankenkassensystem. Er kenne sogar Kollegen, die sich weigern, ungeimpfte Patienten zu behandeln. Lang sagt: „Dafür habe ich Verständnis.“
(Lucia Glahn)

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