Politik

Ekkehard Schumann, emeritierter Ordinarius für Prozessrecht an der Universität Regensburg, kritisiert vor dem NSU-Prozess das Akkreditierungsverfahren des Oberlandesgerichts München. Im Gespräch mit der Staatszeitung plädiert er für eine Pool-Lösung - diese sei auch jetzt noch möglich.

12.04.2013

"Pool-Lösung ist noch machbar"

Der Regensburger Prozessrechtler Ekkehard Schumann kritisiert das Akkreditierungsverfahren vor dem NSU-Prozess

BSZ: Herr Professor Schumann, die Kritik an der Akkreditierungspraxis des Münchner Oberlandesgerichts kommt nicht überall gut an. Darf man ein Gericht kritisieren – trotz richterlicher Unabhängigkeit?
Schumann: Natürlich. Die richterliche Unabhängigkeit ist keine richterliche Unfehlbarkeit. Und wer fehlbar ist, den darf man kritisieren. Allerdings muss ich hinzufügen: Die Urteilskraft vieler Kritiker des Oberlandesgerichts München ist von rasender verfassungsrechtlicher oder prozessualer Unkenntnis getrübt. BSZ: Hat das Gericht Ihrer Meinung nach Fehler gemacht?
Schumann: Die genauen Vorgänge der Akkreditierungspraxis, also wer wann was erfahren hat, kenne ich nicht. Aber dass das Gericht für die Akkreditierung der Medien das so genannte Windhundverfahren gewählt hat, ist mindestens ungeschickt.
BSZ: Warum?
Schumann: Das Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ funktioniert bei den Zuhörern, aber nicht bei den Journalisten. Es ist sachgerecht beim Zahnarzt oder beim Schlangestehen an der Bushaltestelle: Da muss man sich anstellen, warten und kommt irgendwann zum Zug. Die Journalisten, die für den NSU-Prozess akkreditiert werden wollten, aber leer ausgegangen sind, kommen überhaupt nicht mehr dran. BSZ: Das Gericht hält das Windhundprinzip für gerecht.
Schumann: Es ist überhaupt nicht sachgerecht, weil die nicht zum Zuge Gekommenen keine Chance mehr haben. Das Windhundverfahren ist für das Gericht die bequemste Lösung. Aber der Rechtsstaat ist kein bequemer Staat! BSZ: Welches Akkreditierungsverfahren halten Sie für besser?
Schumann: Ganz klar die Pool-Lösung, so wie sie auch das Bundesverfassungsgericht etwa beim Prozess gegen Erich Honecker (Ex-Staatsratsvorsitzender der DDR, d. Red.) bereits im Jahr 1992 akzeptiert hat. Damals hatten die deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, RTL und SAT1 eine Eilentscheidung beantragt. Sie sahen sich durch eine Anordnung des damaligen Strafkammervorsitzenden in ihrer Rundfunkfreiheit verletzt. Das Bundesverfassungsgericht gab ihnen Recht. Es hob die Anordnung auf und wies den Vorsitzenden an, die Tätigkeit des für den Pool arbeitenden Aufnahmeteams im Sitzungssaal zu gestatten. Entsprechend wäre es sachgerecht, wenn im Münchner Prozess eine Reihe solcher Pools bestünde. Sie berichten jeweils für ihren Bereich. Dann ist das breite Spektrum interessierter Medien einigermaßen abgedeckt. Im Übrigen tritt das Problem, dass nur eine begrenzte Zahl von Medienvertretern an einem Ereignis teilnehmen kann, auch außerhalb der Justiz auf. Der Rundfunkstaatsvertrag enthält deshalb spezielle Regelungen über die Auswahl der Medien und über die Pool-Bildung. Insoweit haben wir klare Normen gegen das Windhundprinzip. BSZ: Kann das Gericht die Pool-Lösung noch anwenden?
Schumann: Ja. Die bereits erfolgte Akkreditierung hat keine Rechtskraft. BSZ: Würde das nicht den Prozessbeginn verzögern?
Schumann: Warum sollte es? Beim Honecker-Prozess erging die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einen Tag vor Prozessbeginn. BSZ: Befürworten Sie eine Videoübertragung in einen anderen Saal?
Schumann: Nein. Da muss ich als passionierter Strafverteidiger sagen, das geht unter keinen Umständen. Ich muss wissen, wer im Gerichtssaal sitzt, etwa unzulässigerweise Zeugen, die sich zur Vorbereitung ihrer Aussagen Notizen machen. Übrigens hat das Bundesverfassungsgericht diese Frage und zwar ebenfalls anlässlich des Honecker-Prozesses entschieden. Auch damals fand keine Übertragung der Hauptverhandlung in einen anderen Saal statt. Dagegen erhob ein Journalist Verfassungsbeschwerde. Doch das Bundesverfassungsgericht hielt die fehlende Übertragung für verfassungsgemäß. Leider ist dieser Beschluss sogar im Kreis ehemaliger Bundesverfassungsrichter in Vergessenheit geraten. BSZ: Das Gericht gibt keine Presseauskünfte mehr und begründet das mit der Verfassungsklage gegen die Akkreditierungspraxis.
Schumann: Das geht nicht! Da wählt das Gericht einen einfachen, aber unzulässigen Weg. Mit der gleichen Begründung könnten die Flughafen München GmbH oder auch die Staatsministerien jahrelang Presseauskünfte deshalb verweigern, weil Verfahren gegen den Flughafenausbau anhängig sind.
(Interview: Waltraud Taschner)

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