Politik

Alle EU-Schüler sollen mindestens sechs Monate ihrer Schulzeit in einem anderen Mitgliedsstaat verbringen, fordert die FDP. (Foto: dpa/Armin Weigel)

04.01.2019

Raus aus der Schule, rein nach Europa

Der Schüleraustausch ist eine feine Sache – die bayerische FDP will das jetzt allen Schülern ermöglichen. In der Tat kommen Mittelschulkinder kaum in andere Länder

Der Zeitpunkt ist gut gewählt: Zum Jahreswechsel überraschte die bayerische FDP mit einer Anregung, der viele Familien von Schulkindern begeistert zustimmen dürften. Im Entwurf ihres Europawahlprogramms fordern die Freien Demokraten die „Einführung einer neuen Grundfreiheit – der Bildungsfreizügigkeit“. Alle Schülerinnen und Schüler in der EU sollen nach dem Wunsch der Liberalen die Möglichkeit erhalten, mindestens sechs Monate ihrer Schulzeit in einem anderen Mitgliedsstaat zu verbringen – unabhängig von ihren finanziellen Verhältnissen.

„Eine fremde Sprache und Kultur kennenlernen: Das bereichert“, erklärt der bayerische Landesvorsitzende der FDP, Daniel Föst. „Wir sollten uns deshalb darum bemühen, dass unsere Schüler ins Ausland gehen.“ Der Vorstoß geht, so Föst, auf die politischen Entwicklungen innerhalb Europas zurück.

Die EU könnte das nötige Geld lockermachen

Der Brexitbeschluss der Briten hat die Liberalen schockiert. Besonders schlimm finden sie die Tatsache, dass viele junge Menschen gar nicht zur Wahl gegangen seien. Europa, von vielen Älteren noch als einmaliges Friedensprojekt angeschoben und geschätzt, scheint die Jugend nicht zu interessieren. Mit einem Auslandsaufenthalt während der Schulzeit dagegen verbindet Föst die Hoffnung, „dass junge Menschen das europäische Projekt kennen- und lieben lernen.“

Zwar sind auch Auslandsaufenthalte auf anderen Kontinenten wünschenswert. Die von der FDP geforderte innereuropäische Bildungsfreizügigkeit allerdings hätte einen besonderen Vorteil: Die EU könnte das nötige Geld lockermachen. Und finanzielle Unterstützung hat der Austausch durchaus nötig. Zumal es der FDP ausdrücklich nicht nur darum geht, die ohnehin bildungsnahen Gymnasiasten in andere Länder zu locken. Auch Mittel- und Realschüler sollen künftig verstärkt Gelegenheit bekommen, im Ausland prägende Erfahrungen zu machen.

Möglichkeiten, während der Schulzeit ins Ausland zu gehen, gibt es selbstredend einige. Entsprechende Messen (etwa die Jugendbildungsmesse JuBi in München am 16. Februar), die Schulen selbst, der Bayerische Jugendring oder ein Blick auf die Homepage des Kultusministeriums helfen bei der Suche. Wie viele Schüler und Schülerinnen sich individuell im Ausland beschulen lassen , hat der Anbieter „Weltweiser“ in einer Studie ermittelt. Demnach haben im Schuljahr 2015/2016 knapp 1400 bayerische Schülerinnen und Schüler für einen mindestens dreimonatigen Auslandsaufenthalt mit Schulbesuch ihr Zuhause verlassen. „Bayern steht im Bundesvergleich weit unten in Bezug auf den prozentualen Anteil der Austauschschüler und Austauschschülerinnen“, so Thomas Terbeck von Weltweiser. „Insgesamt kann von einem klaren Nord-Süd-Gefälle gesprochen werden.“

Anders urteilt das bayerische Kultusministerium. Dort zählt man nicht allein den Anteil bayerischer Schüler und Schülerinnen am Einzelaustausch, sondern die Austauschmaßnahmen insgesamt: Mit 32 500 bayerischen Teilnehmern (Summe aus Gruppenaustausch und Einzelaustausch im Bezugsschuljahr 2015/16) lägen diese „auf einem hohen Niveau“. Bei der großen Mehrheit der Schüler, die an einer Austausch-maßnahme teilnehmen, handelt es sich um Gymnasiasten. Laut Kultusministerium entfallen beim Gruppenaustausch auf das Gymnasium rund 23 500 Schüler, auf die Realschulen rund 4000 und auf die Grund- und Mittelschulen rund 2000 Schüler und Schülerinnen.

„Unterm Strich“ handele es sich bei bisher existierenden, mehrmonatigen Schüleraustauschprogrammen um „Gymnasiastenprogramme“, so auch Terbeck von Weltweiser. Gesellschaftspolitisch sei es darum wünschenswert, gezielte Förderprogramme zum Beispiel für Realschüler zu entwickeln. Terbeck hält die Umsetzung auch in anderen Schulformen für machbar. Die Planung allerdings scheitere bei vielen Interessierten an der Finanzierung.

Dies bestätigt Michael Schwarz, Bereichsleiter beim Bayerischen Jugendring, wo man seit den 50er-Jahren im Auftrag des Kultusministeriums Austauschprogramme für Schüler und Schülerinnen anbietet. Dass beim individuellen Schüleraustausch die Hauptteilnehmer bislang Gymnasiasten sind, hat laut Schwarz einen handfesten Grund: Familien, deren Kind für zwei, drei Monate ins Ausland geht, müssen bereit sein, im Gegenzug einen Gastschüler aufzunehmen. Der allerdings braucht ein eigenes Zimmer – und dazu fehlen gerade den Eltern von Mittelschulkindern häufig die Voraussetzungen.

Mittelschüler fehlen oft die Sprachkenntnisse

Darum hat der Bayerische Jugendring zusammen mit dem Kultusministerium für Mittelschüler ein eigenes Format entwickelt, das vom Kulturfond und dem Kinder- und Jugendplan des Bundes finanziert wird. Ganze Klassen reisen für eine Woche ins Ausland und übernachten etwa in Jugendbildungssstätten. Insgesamt neun Klassen kamen in Bayern so bereits zum Zug.

Ein besonderes Hindernis für Mittelschulkinder sind die fehlenden Sprachkenntnisse, weshalb man sich auf künstlerischen Unterricht konzentrierte. Erschwerend kommt hinzu, dass die Schüler häufig noch nie im Ausland waren. Schon das Verlassen der Stadt ist für sie eine Herausforderung. Während der Reise aber lernen die Schüler, sich auf neue Situationen einzustellen.

Von der Forderung der Liberalen sind diese Minitrips zwar weit entfernt. Der Zugewinn der Schüler an Selbstsicherheit und Offenheit, so Michael Schwarz vom Bayerischen Jugendring, ist allerdings schon nach solchen Kurzaufenthalten spürbar.
(Monika Goetsch)

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