Politik

Überquellende Mülleimer: vielerorts ein gewohnter Anblick. (Foto: dpa/Schäfer)

13.11.2020

Recycling ist das Zauberwort

Immer mehr Müll – das beklagen viele. Die wenigsten tun was dagegen. Die BSZ stellt Positivbeispiele vor

Auch Professoren können sich mal irren. Das weiß Fabian Eckert aus eigener Erfahrung. Gut fünf Jahre ist es her, dass er im schwedischen Malmö den Studiengang „Leadership for Sustainability“ absolvierte. Eine Aufgabe dabei: Konzepte zu entwickeln, um die Universität nachhaltiger zu gestalten. Eckert musste nicht lange überlegen, schließlich hatte er täglich die überquellenden Mülleimer auf dem Campus-Gelände vor Augen, vollgestopft mit Einweg-Kaffeebechern. So schlug er ein Pfandsystem vor, um dieses Problem zu lösen. Doch sein Professor war wenig begeistert: „Nicht gut“, beschied er dem deutschen Studenten und lehnte ab.

Zum Glück ließ sich Eckert, der zuvor Wirtschaftspsychologie in München studiert hatte, von der Abfuhr nicht beirren. Zufällig lernte er den Wirtschaftsstudenten Florian Pachaly kennen, den das Einwegbecher-Problem ebenfalls umtrieb. Zusammen gründeten sie vor vier Jahren das Unternehmen Recup, ein Pfandsystem für Mehrwegtrinkgefäße. Zunächst als Pilotprojekt in Pachalys Heimatstadt Rosenheim. Schon 2017 kam der Sprung nach München, und inzwischen verfügt man über gut 5000 Ausgabestellen in ganz Deutschland – von der kleinen Bäckerei um die Ecke bis zur riesigen VW-Kantine in Wolfsburg. Wobei sich Recup nicht etwa über den Verkauf oder Verleih der Becher finanziert, sondern über eine Systemgebühr, die jedes Partnerunternehmen zahle, erklärt Firmensprecherin Greta Mager.

Ein Beitrag, um die gigantischen Mengen an Verpackungsabfall in Deutschland wenigstens ein bisschen zu reduzieren. Pro Stunde werden allein in Deutschland 320 000 Einwegbecher weggeworfen. Macht 2,8 Milliarden Einwegbecher jährlich. Zusammen mit Pizzakartons, Dosen, Pappschachteln, Styroporboxen und Kunststoffhüllen aller Art summierte sich das im Jahr 2018 auf 18,9 Millionen Tonnen Verpackungsmüll. Eine Steigerung um 0,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Seit 2010 hat der Verpackungsverbrauch um 17,9 Prozent zugenommen, rechnet das Bundesumweltamt vor. Wie sich der Verpackungsverbrauch während der Corona-Pandemie entwickelt, sei noch unklar. „Aufgrund der geschlossenen Geschäfte und Restaurants ist allerdings abzusehen, dass vor allem mehr Serviceverpackungen für Essen und Getränke verbraucht worden sind“, mutmaßt das Umweltbundesamt. Trotz aller Appelle zur Müllvermeidung.

Wenn die Wirtschaft wächst, wächst der Müll

Ein Grund dafür ist nach Behördenangaben das Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahren, „denn mehr Produkte führen auch zu mehr Verpackungen“. Auch die Tatsache, dass es in Deutschland immer mehr Single-Haushalte gibt, lasse die Müllberge anschwellen, vermutet Andrea Thorenz, ebenso die Trends zum Online-Handel und zu To-go-Produkten. Thorenz ist Leiterin des Resource Lab an der Universität Augsburg, einer interdisziplinären Forschungsgruppe, die sich unter anderem mit Ressourcenstrategien, nachhaltiger Produktion sowie Abfall- und Nachhaltigkeitsmanagement beschäftigt. Ein Problem in Deutschland: Es gebe derzeit zwar sehr viele Ansätze zum Recycling, „aber wenige, die an der Vermeidung des Verpackungsabfalls ansetzen“, sagt die Wissenschaftlerin. Obwohl das Kreislaufwirtschaftsgesetz aus dem Jahr 2012 eine Abfallhierarchie propagiert: zunächst Müllvermeidung, dann Wiederverwendung und dann erst Recycling.

Doch diese Denkweise setzt sich nur langsam durch. Obwohl der deutsche Chemiker Michael Braungart schon vor gut zwei Jahrzehnten zusammen mit dem US-amerikanischen Architekten William McDonough das „Cradle-to-Cradle“-Prinzip entwickelte, für das er seitdem unermüdlich wirbt: ein System für industrielle Prozesse und die Herstellung von Produkten, bei dem die Materialien in geschlossenen Kreisläufen bleiben sollen, sodass Abfälle gar nicht erst entstehen.

Eine Philosophie, die nicht nur die Recup-Gründer anspornt, sondern auch Andrea Thorenz und die anderen Forscher des Augsburger Resource Lab. Sie wirkten beispielsweise am europaweit laufenden Projekt „Rehap“ mit, in dem es um sinnvolle Verwertung von Abfällen aus Land- und Forstwirtschaft geht. Beispielsweise Stroh und Rinde, die bisher oft in Verbrennungsöfen oder Biogasanlagen wandern. Dabei, sagt Thorenz, enthielten sie wertvolle Stoffe wie Lignin oder Tannin, die etwa in Baumaterialien für mehr Stabilität sorgen können. Inzwischen sei es den Wissenschaftlern schon gelungen, auf dieser Basis Isolierschäume und zementähnliche Platten herzustellen.

Ein weiterer Schwerpunkt des Resource Lab: das Projekt Regiocycle, in dem es um Vermeidung, Substitution und nachhaltige Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen in der Region geht. Auch lokale Unternehmen beteiligen sich. Etwa an der Entwicklung eines Trinkbechers auf Strohbasis. „Die Materialentwicklung war nicht einfach“, sagt Thorenz.

Das wissen auch die Gründer der Firma Landpack in Alling bei München, das Ehepaar Patricia und Thomas Eschenlohr. Sie stellen ökologisch abbaubare Verpackungen aus Stroh und inzwischen auch aus Hanf her. Jahrelang tüftelten sie an einem Verfahren, um die Halme ohne Zusätze in stabile Formen zu bringen, nur mithilfe von Dampf und Druck. So entstehen Kühlboxen für den Online-Lebensmittelhandel – nach Unternehmensangaben die weltweit ersten umweltfreundlichen Isolierverpackungen auf der Basis nachwachsender Rohstoffe.

Die Mehrwegbecher-Aktivisten von Recup sind schon ein gutes Stück vorangekommen. Zuletzt durch die Kooperation mit einer großen Tankstellen-Kette, die im vergangenen Januar besiegelt wurde. Logisch, dass auch Fabian Eckerts früherer Professor längst von dem Konzept überzeugt wurde. Vor einigen Monaten hat das Münchner Unternehmen das nächste Projekt angepackt: Rebowl, ein Mehrwegsystem für Take-away-Essen, bei dem bereits 230 Partner aus ganz Deutschland mitmachen. Gerade in Corona-Zeiten wohl nicht die schlechteste Idee.
(Brigitte Degelmann)

Kommentare (3)

  1. KHJ am 17.11.2020
    Ich würde nicht das Übel dieser Stadt mit der Flucht nach Bayern verharmlosen sondern als Berlinerin
    nach Berlin zurück ziehen und mit helfen diese Stadt von Müll Dreck zu befreien. Es ist nur ein Tipp von
    mir KHJ an LJK wer auch immer Sie sind. Es soll keine Kritik an der Person Herrn Eckert sein nur ein Hinweis für Lage in der sich Ihre Heimatstadt befindet.
    Bitte um Verständnis Gruß aus Bayern
  2. LJK am 17.11.2020
    Herr Eckert hat sich einer für ihn lösbaren Herausforderung gestellt und betätigt einen Hebel, der ihm zur Verfügung steht. Nachhaltige Geschäftsmodelle, und leisten sie einen noch so kleinen Beitrag, sollten gefördert und belohnt werden, und nicht noch dafür kritisiert, dass sie nicht die gesamte Welt auf einen Schlag retten. Wenn Ihnen etwas einfällt, wie man Berlin von den genannten Übeln befreien könnte - Glückwunsch! Ansonsten wünsche ich mir, dass auch die kleinen Schritte Anerkennung finden und dass jede*r sprichwörtlich vor der eigenen Haustüre zu kehren beginnt, d.h. dort tätig zu werden, wo einem Mittel und Wege zur Verfügung stehen. (sagt eine in Bayern lebende Berlinerin)
  3. KHJ am 13.11.2020
    Wenn Herr Eckert der Meinung ist etwas gegen die Mengen von Müll tun zu können, sollte er mal nach Berlin ziehen und anfangen. Bespiele gibt es auf der Internet Seite des RBB. Unter dem Motto Dreck Müll
    Vandalen und Asozialen. Wie die Zahlen es belegen, 55,8 t Hundekot 218 000 t wild abgelagerter Sperrmüll. Das ist das wahre Gesicht dieser Kloaken Hauptstadt Berlin. Aber nicht Bayern.
    Somit wüsche ich Ihnen viel Erfolg.
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