Politik

20. Dezember 2011 im Nürnberger Stadion: Fans aus Fürth zünden vor dem Spiel eine Rauchbombe. (Foto: dapd)

21.12.2012

Rote Karte für Chaoten

Innenminister Joachim Herrmann (CSU) lädt Vereine, Städte, Polizei und Fans zum „bayerischen Fußballgipfel“

Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) hat ihr Konzept „Sicheres Stadionerlebnis“ verabschiedet. Denn immer häufiger verwandeln Fankrawalle unter Einsatz von Pyrotechnik Stadien in gefährliche Kessel. Jetzt geht es um die konkrete Umsetzung von strengeren Zugangskontrollen und Sicherheitsauflagen im Freistaat – keine leichte Aufgabe. Auch am vergangenen Wochenende haben die organisierten Fußballfans in vielen Stadien der Republik wieder geschwiegen. Vom Anpfiff weg genau zwölf Minuten und zwölf Sekunden lang. Sie wollten damit noch einmal demonstrieren, wie öde es selbst in einer vollbesetzten Betonschüssel sein kann, wenn sie nicht da wären – sie, die selbsternannten echten Fußballfans, die „Ultras“. Das nämlich befürchten sie, dass sie künftig draußen bleiben müssen, wenn das von der Deutschen Fußball-Liga (DFL) mit großer Mehrheit verabschiedete Konzept „Sicheres Stadionerlebnis“ zu Beginn der Saison 2013/14 umgesetzt wird. Am 12. Dezember war dazu die entscheidende Sitzung in Frankfurt am Main, am 12.12. also. Deshalb das 12:12-minütige Schweigen.
Die Debatte um die Sicherheit in und um die Stadien der drei Bundesligen – wobei sich die Zuständigkeit der DFL nur auf die 1. und die 2. Liga erstreckt – hatte in den vergangenen Monaten noch einmal an Schärfe zugenommen. Zwar gelten die deutschen Arenen nicht nur im europäischen Vergleich als ausgesprochen sicher, doch ist auch in diese zuletzt immer mehr die Pyrotechnik eingezogen. Zur besten Sendezeit verwandelten vergangenes Jahr „Fans“ von Dynamo Dresden das Stadion in Dortmund in einen infernalischen Kessel, im Mai stand das Relegationsspiel zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC Berlin wegen auf den Platz fliegender Feuerwerkskörper mehrmals kurz vor dem Abbruch, jüngst fingen auf Schalke Fantransparente durch „Bengalos“ Feuer. „Fankrawalle sind mittlerweile allgegenwärtig und ein ernsthaftes Problem“, stellt dazu Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) fest.
Das gilt auch für den Freistaat. In der Saison 2011/12 waren im Umfeld der insgesamt 181 Profi-Fußballspiele in Bayern 33 000 Polizeibeamte im Einsatz. Dabei kam es zu 1075 Fest- oder Gewahrsamnahmen (plus 76,5 Prozent im Vergleich zur Vorsaison), 832 Strafanzeigen (plus 55 Prozent) und 64 verletzten Polizisten (plus 73 Prozent). In 74 der 181 Profispiele wurde verbotene Pyrotechnik abgefackelt, bei 25 Begegnungen wurden rechtsmotivierte Parolen gegrölt.

Vom Tisch ist immerhin das Stehplatz-Verbot


Besonders heftig ging es vor genau einem Jahr beim fränkischen Pokalderby zwischen dem 1. FC Nürnberg und der SpVgg Greuther Fürth zu. Laut Einsatzbericht der Polizei kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Fangruppen, Übergriffen auf Ordner, dem Abfackeln bengalischer Feuer, zudem wurden Leuchtkugeln auf das Spielfeld geschossen.
Der bei den Ultras umstrittene Maßnahmenkatalog der DFL verschärft, nicht zuletzt auf Druck der Innenpolitiker in Bund und Ländern, genau an den neuralgischen Stellen die Vorschriften: Strengere Zugangskontrollen und Sicherheitsauflagen, striktes Verbot von Pyrotechnik, Ächtung von Gewalt, Rassismus und politischem Extremismus, engere Kooperation von Polizei und Ordnungsdienst in den Stadien. Private Sicherheitskräfte auf dem Stadiongelände müssen künftig qualifiziert und zertifiziert sein, Fanbeauftragte sind in die Erstellung von Sicherheitskonzepten einzubeziehen. Vom Tisch ist damit immerhin die ursprüngliche Forderung von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), die Stehplätze in den Fankurven abzuschaffen. Laut DFL-Präsident Reinhard Rauball geht es der Liga und ihren Klubs nun vor allem darum, die Täterermittlung zu verbessern, um Kollektivstrafen wie Spiele vor leeren Rängen künftig zu vermeiden. So sieht das auch der Präsident des Bayerischen Fußball-Verbandes (BFV), Rainer Koch. Die Masse dürfe gewalttätigen Fans keinen Schutz mehr bieten.
Innenminister Joachim Herrmann will schon im Januar auf der Grundlage der DFL-Beschlüsse Vereine, Städte, Polizei und Fans zu einem neuen „bayerischen Fußballgipfel“ einladen. Die Einbeziehung der Fans ist ihm dabei ein besonderes Anliegen, doch macht er schon im Vorfeld klar, dass der DFL-Katalog für ihn nicht verhandelbar ist, schon gar nicht bezüglich der „lebensgefährlichen Pyrotechnik“. Es könne nur um die Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen gehen. Herrmanns Ziel: „Wir wollen die Randalierer und Chaoten aus den Stadien verbannen und damit ein friedliches Fußballerlebnis für unsere Fans ermöglichen.“ Eine „scharfe Trennlinie“ zwischen Fans und Chaoten soll gezogen werden. Keine leichte Aufgabe sei das, stöhnt man im Innenministerium, kündigt für den Fußballgipfel aber entsprechende Vorschläge an.


Werden Ultras künftig einzeln „durchgefilzt“?


Bei den besonders unter Beobachtung stehenden Ultras in den Fankurven, die den Einsatz von „Pyros“ für einen wichtigen Bestandteil ihrer Fankultur halten, befürchtet man weiter, dass sie künftig einzeln durchgefilzt werden. So steht es zwar nicht im Konzept der DFL, dort ist nur von „lageabhängigen Kontrollen“ die Rede. BFV-Präsident Koch hält damit auch „umfassende Einlasskontrollen“ für abgedeckt. Er appelliert an die Fangruppen, schlicht auf „Pyros“ und andere im Stadion nicht zugelassene Utensilien zu verzichten, dann könne der Kontrollaufwand auch wieder abgesenkt werden. Insofern setzen Koch und Herrmann auch auf die große Masse der Stadionbesucher, denen die angebliche „Fankultur“ der Ultras inzwischen zunehmend auf den Geist geht. In einigen Stadien wurden die Ultras für ihre Aktionen zuletzt ausgepfiffen. Gegen gute Stimmung und Fangesänge aus den Kurven haben die übrigen Stadionbesucher nichts einzuwenden, sehr wohl aber gegen als Stimmungsterror verstandene Aktionen, die mit der Unterstützung des Lieblingsvereins und seiner Spieler nichts mehr zu tun hat.
(Jürgen Umlauft)

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