In der wirklich staden Zeit zwischen den Jahren, wenn der Politikbetrieb in eine kurze Winterstarre fällt, hat Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) eine im Grunde spektakuläre Nachricht versteckt. Er machte einen drei Tage vor Weihnachten gefassten Beschluss des Ministerrats publik, wonach sich „ab sofort die Verwaltungspraxis bei der Zulassung von Nahversorgungsunternehmens ändert“. Konkret dürfen damit künftig „in jeder Gemeinde Bayerns“ Lebenmittelvollsortimenter eine Verkaufsfläche von bis zu 1200 Quadratmeter haben, solange sie alle Güter des täglichen Bedarfs führen – also Lebensmittel, Getränke und Drogeriewaren. Bisher lag die Obergrenze dafür außerhalb der Verdichtungsräume bei 800 Quadratmetern.
Viele Gemeinden hatten laut Zeil auf eine rasche Lösung gedrängt und wollten nicht auf die LEP-Fortschreibung warten. Die kommt wohl erst Ende 2012.
Die Beiläufigkeit von Zeils Mitteilung lässt beinahe vergessen, um welches Politikum es sich dabei über Jahre gehandelt hat. Die bislang letzte Fortschreibung des Landesentwicklungsprogramms (LEP) vor gut fünf Jahren wäre am Streit um die Größe von Einzelhandelsprojekten fast gescheitert. Am Ende wurde der gesamte Komplex auf Betreiben der CSU-Landtagsfraktion aus der Novellierung ausgeklammert, um – wie es hieß – in Ruhe zu einer „einvernehmlichen Lösung“ zu kommen.
Dieser greift nun der Ministerratsbeschluss in einem Teilbereich vor. Profitieren werden nach Lage der Dinge Vollsortimenter wie Rewe oder Edeka, vorläufig auf 800 Quadratmeter begrenzt bleiben dagegen Discounter wie Aldi oder Lidl.
Das Echo auf Zeils Verkündung kam dem Kalender geschuldet mit Verzögerung und war wie zu erwarten zwiegespalten. Lob zollte der Bayerische Gemeindetag, der von einer „Kompromisslösung zwischen Landesplanung und der Freiheit des Marktes“ sprach, und auch vom Städtetag kam Zustimmung, nachdem der Beschluss am LEP-Grundsatz festhält, Supermärkte nur in „städtebaulich integrierter Lage“ zuzulassen und auf „Trabanteneinkaufszentren“ auf der grünen Wiese zu verzichten.
Den Aldis und Lidls reichen 800 Quadratmeter
Die CSU-Landtagsfraktion hatte der neuen Regelung schon vorab zugestimmt, ohne davon Aufhebens zu machen. Wirtschaftssprecher Erwin Huber hob die Stärkung der kommunalen Eigenverantwortung hervor, nachdem künftig die landesplanerische Beurteilung der Projekte durch die Bezirksregierungen wegfällt. Auswirkungen für die Vitalität von Ortszentren befürchte er nicht, sagte Huber, weil Großmärkte mit mehreren 1000 Quadratmetern Verkaufsfläche auf dem flachen Land weiter unzulässig seien. Und wie sich größere Lebensmittelmärkte auf das Geschäft der örtlichen Bäcker und Metzger auswirkten, müssten die Gemeinderäte künftig im Einzelfall abwägen. Ihnen bleibe dafür weiter die Einflussnahme über das Baurecht, so Huber.
Auch die Freien Wählern begrüßten die Neuregelung, sie entspreche „voll unseren Forderungen“, sagte der Abgeordnete Thorsten Glauber. Den „Aldis und Lidls“ reichten 800 Quadratmeter, die Vollsortimenter aber bräuchten die Vergrößerung. „Es besteht sonst die Gefahr, dass wir die Supermärkte mit den Waren des täglichen Bedarfs in den ländlichen Räumen verlieren“,sagt der Oberfranke.
Die Front der Gegner führt Hubers Ex-Kollege Heinrich Traublinger an. Der Präsident des Bayerischen Handwerkskammertages sieht in der Verkaufsflächenerweiterung eine „extreme Gefährdung für die historisch gewachsenen Innenstädte und die Gewerbetreibenden in den Ortskernen“. Annette Karl, SPD-Expertin für Fragen des ländlichen Raums, sprach von einem „vergifteten Weihnachtsgeschenk“. Es sei eine „Missachtung des Parlaments und der öffentlich Beteiligten“, wenn die Staatsregierung in einem seit Jahren umstrittenen Bereich Vorwegfestlegungen treffe, statt das Thema breit zu debattieren.
Eine Einschätzung, die auch der Grüne Martin Runge teilt. SPD-Frau Karl fürchtet, dass die jetzige Regelung einen neuen Konkurrenzkampf zwischen benachbarten Kommunen auslösen könnte. Auch Zeil will das nicht ausschließen. „Im Ergebnis werden aber die Bürger davon profitieren“, glaubt der Minister. Grundsätzlich sieht er in der teilweisen Flächenausweitung einen ersten Schritt zur anstehenden Fortschreibung des Einzelhandelsziels im LEP. Eine Aussage, die bei den Kritikern der Liberalisierung die Alarmglocken schrillen lässt. (Jürgen Umlauft)
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