Politik

Wohin soll’s gehen? Die EU muss jetzt entscheidende Zukunftsfragen klären. (Foto: Getty images/Honglouwawa)

30.05.2019

Schwieriger Aufbruch

Nach der Wahl des Europaparlaments: Was Europa jetzt dringend in Angriff nehmen muss

Nach der Europawahl sind die Mehrheiten im EU-Parlament neu gemischt. Auf die EU- Gremien warten große Herausforderungen. Ein Überblick.


Migration

Beim Megathema Migration hat die EU gewaltigen Handlungsbedarf. Zwar ist theoretisch vieles geregelt: Alle EU-Länder haben vergleichbare Asylverfahren, die von der Registrierung der Geflüchteten bis zur Entscheidung darüber reichen, ob die betreffende Person bleiben darf oder nicht. Praktisch regelt die Dublin-Verordnung, welches Land für das Asylverfahren von Neuankömmlingen zuständig ist – in der Regel ist es das Land, das der Geflüchtete zuerst betreten hat. Zu Recht sehen sich die Länder an den EU-Außengrenzen hier benachteiligt. Dublin muss deshalb dringend reformiert werden. Ein weiteres Problem, das der Lösung harrt, ist die solidarische Verteilung der Geflüchteten innerhalb Europas. Hier verweigern sich beispielsweise Polen, Tschechien oder Ungarn – ohne dass dies sanktioniert wird. Auch beim Thema Grenzschutz muss die EU handeln: Einzelne Staaten treffen nämlich eigenmächtige Grenzregelungen und verletzen damit den Schengener Grenzkodex.

Landwirtschaft

Die aktuellen Grundsätze der EU-Agrarpolitik gelten nur bis zum Jahr 2020. Nötig ist eine Neufassung, die festlegt, wohin sich die Landwirtschaft in Europa entwickeln soll, wofür die Landwirte also Geld bekommen sollen. Vieles ist hier möglich: Die EU legt die Standards für die Nutztierhaltung fest, schreibt den Bauern vor, wie und mit welchen Pflanzenschutzmitteln sie düngen dürfen. Die EU könnte also höhere Standards für die Tierhaltung verlangen, insgesamt dafür sorgen, dass europäische Bauern ökologischer wirtschaften. Möglich wäre auch, Geld dafür bereitzustellen, dass Bauern mithelfen, Klimaziele einzuhalten oder sich beim Gewässerschutz anstrengen.

Pflanzenschutz
Dringend nötig sind reformierte Verfahren bei der Zulassung von Pestiziden. Hier hakt es gewaltig. Die Industrie, das wird immer wieder zu Recht beklagt, besitzt zu viel Einfluss, wenn es um die Zulassung der riskanten Stoffe geht. Derzeit läuft es so: Will ein Hersteller in der EU ein neues Pflanzenschutzmittel auf den Markt bringen, muss er Studien über die Auswirkungen des Mittels in Auftrag geben. Die EU-Kommission beauftragt dann einen Mitgliedsstaat, den Zulassungsantrag zu prüfen. Verantwortlich für die Risikoeinschätzung auf Grundlage der nationalen Behörden ist letztlich die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA. Wissenschaftsjournalisten haben indes herausgefunden, dass die EFSA vielfach nicht einschreitet, wenn Behörden die Risikoeinschätzungen der Hersteller stellenweise einfach übernehmen. Für die Firmen ist das super, für die Verbraucher nicht. Ist ein Wirkstoff einmal auf dem Markt, bleibt er es viele Jahre, ehe er erneut geprüft wird. Das EU-Parlament hat bereits ein transparentes Verfahren bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln gefordert. Bleibt zu hoffen, dass das EU-Parlament dabei mitreden darf. Die EU-Kommission müsste das befürworten.

Afrikastrategie
Afrika: Bei diesem Thema ist in der EU keine einheitliche Strategie erkennbar. Im Fokus steht derzeit die Frage, wie sich die Zuwanderung von Afrikanern stoppen lässt. Die EU versucht, das mit Wirtschaftshilfen zu erreichen. Was bislang nicht viel gebracht hat, Armut ist nach wie vor ein Riesenproblem auf dem Kontinent. Tatsächlich gibt es in Brüssel keine zentrale Stelle, welche die Afrikapolitik koordiniert. EU-Wirtschaftspolitiker weisen darauf hin, dass Afrika große wirtschaftliche Chancen bietet und fordern etwa die Marktöffnung für afrikanische Produkte, darunter Agrargüter, in Europa. Tatsächlich ist der europäische Markt für Produkte aus Afrika faktisch gesperrt. Ende 2020 läuft das Cotonou-Abkommen aus, ein Freihandelsvertrag zwischen der EU und Afrika. Hier muss die EU willens und in der Lage sein, attraktive Bedingungen anzubieten, um nicht von anderen Staaten abgehängt zu werden. Die sitzen bereits in den Startlöchern: China ist seit 2009 der wichtigste Handelspartner Afrikas, das Land ist der größte Investor dort. Und auch Russland baut sein Engagement in Afrika aus, die Investitionen haben gewaltig zugenommen.

Welthandel
Auch der Welthandel ist für die EU ein riesiges Problem. Zwar kühlt sich der Handelsstreit mit den USA gerade ab – US-Präsident Trump hat die Entscheidung für die angekündigten Autozölle für EU und Japan auf den Herbst vertagt. Die Gespräche mit einem US-Präsidenten, der Importe als Bedrohung der nationalen Sicherheit sieht, dürften deshalb aber nicht weniger haarig werden. Die EU-Staaten haben der Kommission das Mandat für Verhandlungen über ein neues TTIP-Handelsabkommen bereits erteilt. Agrarprodukte sollen ausdrücklich ausgenommen werden, ein Streit über Chlorhühnchen soll sich nicht wiederholen. Der größte Unsicherheitsfaktor dabei: die Unberechenbarkeit von Trump. Ebenfalls eine Megaherausforderung für die Wettbewerbsfähigkeit der EU: China. Das Land zieht bei der Wirtschaftspolitik alle Register – mit milliardenschweren Subventionen. Europa sucht noch nach Antworten, wie es sich gegen die wirtschaftliche Stärke Chinas behaupten kann.

Klimaschutz

Dringend gesucht: eine langfristige Klimastrategie für die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens von 2015. Das sieht vor, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad, möglichst 1,5 Grad zu begrenzen, um eine drohende Klimakatastrophe abzuwenden. Mit dem Emissionshandel und der Klimaschutzverordnung, die den Mitgliedsstaaten in Bereichen wie Verkehr, Landwirtschaft und Bauwesen konkrete Zielvorgaben zur Reduktion von Treibhausgasen machen, hat die EU zwar bereits wichtige Instrumente geschaffen. Doch die reichen laut einhelliger Experten-meinung bei Weitem nicht. Eine wichtige Entscheidung steht nun an: Die EU-Kommission will bis 2050 ein klimaneutrales Europa. Das aber geht nur mit einem radikalen Umbau von Wirtschaft, Energieversorgung und Verkehr. Ein höchst schwieriges Unterfangen. Zum einen, weil ehrgeizige EU-Ambitionen zu oft an nationalen Interessen scheitern. Zum anderen, weil bereits jetzt regelmäßig – auch von Deutschland – beschlossene Klimaschutzziele nicht eingehalten werden. Bleibt noch die Frage: Wie bringt man die restlichen Staaten der Welt dazu, den Klimaschutz ins Zentrum ihres politischen Handelns zu rücken? Die EU hat beim Kampf gegen den Klimawandel eine entscheidende Rolle, gewinnen aber wird man ihn nur auf globaler Ebene.

Sicherheit
Frieden und Sicherheit – das sind die großen Versprechen der Europäischen Union. Die EU-Staaten bemühen sich seit Längerem um eine engere militärische Zusammenarbeit, etwa in einer Verteidigungsunion. Die Vision, die bereits die Gründungsväter hatten: eine europäische Armee. Das Projekt ist nicht zuletzt mit dem Brexit-Votum – die Briten lehnten eine gemeinsame Armee strikt ab – wieder in den Fokus gerückt. Doch wirklich in Fahrt will es nicht kommen. Denn in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU können die Staaten nur einstimmig entscheiden. Eine Einigkeit ist noch Utopie. Europa aber muss Antworten finden in einer Zeit, in der US-Präsident Trump das westliche Verteidigungsbündnis, die Nato, immer wieder infrage stellt. Dabei geht es nicht nur um militärische Stärke, sondern auch um effektive Instrumente im Kampf gegen neue Herausforderungen wie die Cyberkriminalität. Die Riesenaufgabe dabei: Strategien zu finden, die endlich in handlungsfähige Strukturen münden.
(Angelika Kahl, Waltraud Taschner)

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