Politik

Gegen die Rente mit 67, gegen Steuervorteile für die Industrie: Mit diesen Themen will die Chefin der bayerischen Linkspartei in den Landtag. (Foto: DAPD)

09.11.2012

Schwieriges Erbe

Linken-Chefin Eva Bulling-Schröter ist seit sechs Monaten im Amt – die 56-Jährige hält den Einzug in den bayerischen Landtag trotz miserabler Umfragewerte für machbar

Es ist einer dieser Momente, in denen sich Eva Bulling-Schröter wieder einmal in Rage redet. „So etwas darf einfach nicht sein“, schimpft die Chefin der bayerischen Linkspartei und haut mit der flachen Hand auf die hölzerne Tischplatte. Da gebe es immer mehr Menschen in Deutschland, denen der Strom abgestellt werde – schlicht, weil sie ihn nicht mehr bezahlen können – und dann lasse der Staat zu, dass immer mehr Betriebe ihren Strom zu Tiefstpreisen bezögen. „Viele Firmen zahlen hierzulande nahezu keine Umlage für die erneuerbaren Energien“, ruft sie den versammelten Genossen zu. Danach holt sie ein Dokument aus ihrer Tasche und liest in pastoralem Ton die Namen mehrerer Konzerne vor: darunter ein Ölkonzern und ein deutscher Agrarriese. „Wir sind gegen Stromsperren und dafür, die Schlupflöcher beim EEG zu schließen“, versichert die Bundestagsabgeordnete und erntet dafür Nicken aus dem Publikum.

"Sie geht Konflikten aus dem Weg"

16 Mitglieder der Linkspartei sind an diesem Herbstabend zum Stammtisch des Ingolstädter Kreisverbands gekommen. Sie hören aufmerksam zu, wie die Oberbayerin ein ums andere Mal Projekte wie die Rente mit 67 oder die beschlossene Ausweitung der Minijobs als wahlweise „asozial“ oder „neoliberale Politik“ geißelt. Es ist ein Heimspiel für die 56-Jährige: Seit 1994 vertritt Bulling-Schröter – mit dreijähriger Unterbrechung – den Wahlkreis Ingolstadt, zu dem auch Neuburg gehört, im Bundestag. Als einzige Bundestagsabgeordnete der Linkspartei hat Bulling-Schröter dort sogar einen der begehrten Ausschussvorsitz inne, den für Umwelt.
 Im oberbayerischen Weilheim hatte sie sich bei einem Parteitag mit 57 Prozent der Stimmen bei der Wahl für den Landesvorsitz gegen zwei Mitbewerberinnen durchgesetzt. Dabei ist dieser Posten alles andere als vergnügungssteuerpflichtig – Bayerns Linke steckt in der Krise. Seit der letzten Landtagswahl hat die Partei vor allem durch massive interne Streitereien Schlagzeilen. Anfang 2012 tauchte ein möglicherweise aus der Partei selbst stammendes, internes Dossier in der Öffentlichkeit auf. Das Papier mit dem Titel „Analyse der Gegenkräfte im Landesverband Bayern“ gibt tiefe Einblicke in die Grabenkämpfe der Partei. So werden einzelne Mitglieder des Landesverbandes, die als kritisch gegenüber dem Gewerkschaftsflügel der Partei gelten, diffamiert.
Kein leichtes Erbe für Bulling-Schröter. Sie gilt als eher pragmatische Vertreterin des einstigen PDS-Flügels. In den 1970er Jahren trat sie in die DKP ein. Nach der Wiedervereinigung ging sie zur PDS, für die die gelernte Schlosserin 1994 in den Bundestag einzog. „Durch ihr Mandat hat sie gelernt sehr sachorientiert zu arbeiten“, sagt ein führender Linker. Der „Laden“ sei jüngst ruhiger geworden.
Bulling-Schröter sagt, sie wolle zwischen den verschiedenen Meinungen in der Partei vermitteln. Zumindest in der Öffentlichkeit streiten die Flügel nun leiser. Doch es gibt auch kritische Stimmen. „Sie geht Konflikten aus dem Weg“, heißt es aus dem gewerkschaftsnahen Flügel der Partei. Orhan Akman, Münchner Stadtrat der Linken, kritisiert: „Ich wünsche mir, dass unsere Vorstandsspitze die Anliegen der Partei stärker in die Öffentlichkeit trägt.“ Bulling-Schröter sagt indes von sich, dass sie besser als manche andere Politiker wisse, „welche Folgen politische Entscheidungen für die Menschen haben“. Vor ihrem Einzug ins Parlament arbeitete sie viele Jahre als Montageschlosserin in einer Fabrik. Dort war sie auch Betriebsrätin. „Ich weiß, dass viele nicht bis zum Alter von 67 Jahren arbeiten können“, sagt sie.
Bei der Basis kommt das gut an. „Sie ist eine von uns, plakatiert sogar noch selbst“, sagt der Chef der Ingolstädter Linken und Ex-CSUler Roland Hopp. Es sind vor allem ältere Männer die zum Linken-Stammtisch gekommen sind. Eher ungewöhnlich für die Genossen im Freistaat. Schließlich sind zwei Drittel der Mitglieder jünger als 50.
In eher ländlich geprägten Regionen wie hier ist jeder neue Ortsverein ein Erfolg. Derzeit hat die Linke in Bayern nur gut 2300 Mitglieder. „Neue Mitglieder zu gewinnen, ist eine meiner Hauptaufgaben“, räumt Bulling-Schröter ein. Dabei sei man „auf einem guten Weg“. Tatsächlich gewinnt die Parteijugend zunehmend an Einfluss in der bayerischen Linken. Waren im Jahr 2008 noch 13 Prozent der Genossen unter 35 Jahre alt, ist es mittlerweile schon fast jeder Vierte.
Es sei ein großes Problem, dass die Linke in der Fläche nach wie vor nicht gut vertreten sei. „Eines unserer Ziele ist es, bei der Landtagswahl möglichst überall eigene Kandidaten aufzustellen.“ Doch es ist nicht nur die ländliche Struktur des Freistaats, die den Linken-Wahlkampf erschwert, auch der drohende Lagerwahlkampf zwischen den populären Volkstribunen Christian Ude (SPD) und Seehofer (CSU) bedroht die Partei bei der Landtagswahl. Wer eine absolute Unions-Mehrheit verhindern will, dürfte wie in Baden-Württemberg eher SPD oder Grüne wählen. „Ich halte das Überspringen der Fünf-Prozent-Hürde nach wie vor für ein realistisches Ziel“, sagt Bulling-Schröter. Zuletzt bewegte sich die bayerische Linke in Umfragen bei 2 Prozent. Damit das anders wird, tingelt Bulling-Schröter durch die Provinz. Die Linke müsse sich „noch mehr um die Menschen kümmern“. Bulling-Schröter will vor allem mit Sozial- und bildungsthemen punkten.
Gerade arbeiten die Linken ihr Landeswahlprogramm aus. Ein Beispiel: Der Freistaat soll künftig nur mehr Aufträge an Firmen vergeben, die Mindestlohn zahlen. Auch müsse die zunehmende prekäre Beschäftigung im südlichsten Bundesland bekämpft werden und an den Schulen die Chancengerechtigkeit erhöht werden. Der erste Entwurf hat weit mehr als 100 Seiten. Trotzdem: „Wir müssen noch dran arbeiten“, sagt sie. (Tobias Lill)

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