Politik

Erfolg? Nun ja - für viele Abiturienten geriet das diesjährige G-8-Abi zum Desaster. (Foto: dapd)

13.07.2012

Sehnsucht nach dem G 9

Für die höhere Durchfallerquote beim G8-Abitur gibt es durchaus logische Erklärungen - und brauchbare Verbesserungsvorschläge

Eigentlich, sagt der FW-Landtagsabgeordnete Günther Felbinger, müssten auf den Fluren des Kultusministeriums alle Alarmglocken schrillen. Schließlich ist bei den Absolventen des zweiten G8-Jahrgangs an den bayerischen Gymnasien die Durchfallerquote im Vergleich zum Vorjahr von 2,8 auf 3,7 Prozent gestiegen, die Abiturdurchschnittsnote hat sich von 2,27 auf 2,33 verschlechtert. Und das, obwohl schon im Nachgang des Abiturs 2011 die Bewertungskriterien entschärft worden waren. Ohne die Möglichkeit zur mündlichen Nachprüfung wären sogar mehr als zehn Prozent der Aspiranten durch die Abiturprüfung gerasselt. „Am Gymnasium läuft noch längst nicht alles rund“, lautet Felbingers Fazit, das er alles andere als exklusiv hat.
Auf dem Münchner Salvatorplatz vor dem Kultusministerium ist von schrillenden Glocken allerdings nichts zu hören. Dort folgt man der Einschätzung des Ministers Ludwig Spaenle (CSU), wonach die diesjährigen Abiturergebnisse „im erwarteten Korridor“ liegen. Und die höhere Durchfallerquote, so Spaenles Sprecher Ludwig Unger, lasse sich ganz rational erklären.

Es gab auch mehr Einser-Abis


So werde die Schülerschaft am Gymnasium und die Gruppe der zum Abitur Zugelassenen immer heterogener. Bei der Einführung des G8 habe die Übertrittsquote bei gut 30 Prozent gelegen, heute kämen schon um die 40 Prozent eines Jahrgangs ans Gymnasium. Im Vergleich zum Vorjahr seien auch rund zehn Prozent mehr Schüler zur Prüfung zugelassen worden, so Unger. Wenn mehr Schüler mit weniger guten Vorleistungen zum Abitur antreten würden, sei es statistisch eben erwartbar, dass ein höherer Prozentsatz scheitere. In absoluten Zahlen waren es heuer ziemlich genau 1400 Schüler.
Verstärkt werden die aus der Heterogenität resultierenden Unterschiede noch durch die Höherbewertung der mündlichen Leistungen in der gymnasialen Oberstufe. Diese zählen nun mit den schriftlichen im Verhältnis 1:1 zur Gesamtnote, früher waren sie nur die Hälfte wert. Dies führt dazu, dass die Zensuren aus dem Jahresfortgang der Oberstufe bei fast allen Schülern im Vergleich zum G9 besser sind. Für schwächere Schüler kommt dann bei den schriftlichen Abiprüfungen oft das böse Erwachen – während die Leistungsstarken ihr Ding auch im Schriftlichen problemlos durchziehen. Die Folge: Auf der einen Seite eine Masse an Einser-Abituren – knapp ein Drittel der Absolventen hatte heuer eine Eins vor dem Komma – und auf der anderen Seite die seit Langem höchste Durchfallerquote. Trotzdem will Spaenle an der „Kultur des Mündlichen“ festhalten. „Die Fähigkeit, abstrakte Vorgänge mündlich gut verständlich zu präsentieren, wird in Gesellschaft und Arbeitswelt immer mehr gefordert“, so der Minister. An den Hochschulen, wo schriftliche Prüfungen die Regel sind, sieht man das allerdings anders.

Horst Seehofer ist besorgt: Im Wahljahr 2013 will er keinen Ärger


Trotz der Erklärungen aus dem Hause Spaenle ist der Unmut über das G8 ungebrochen, und das bundesweit. Einer aktuellen Umfrage des Emnid-Instituts zufolge plädieren 53 Prozent der Deutschen für eine Rückkehr zum G9.
Die schlechte Stimmung hat auch Horst Seehofer wahrgenommen. Der Ministerpräsident und CSU-Chef will das Thema deshalb vor der heißen Phase des Wahlkampfes aus den Schlagzeilen holen. Zu frisch sind die Erinnerungen an das Wahldebakel 2008, zu dem die überstürzte Einführung des G8 unter Edmund Stoiber maßgeblich beigetragen hatte. Dass nun auch noch sein SPD-Herausforderer Christian Ude die Wahlfreiheit zwischen G8 und G9 propagiert, wie sie das grün-rot regierte Baden-Württemberg und das schwarz-gelbe Hessen einführen wollen, erhöht Seehofers Druck. Von einer „Optimierung“ des G8 spricht er, für diesen Freitag hat der Regierungschef zu einem G8-Gipfel eingeladen.
An guten Vorschlägen mangelt es nicht. Grundkonsens ist, dass Lerninhalte reduziert und Ganztagesangebote ausgebaut werden müssen, und dass viele Schüler mehr „individuelle Lernzeit“ brauchen. Am praxisnächsten ist dabei wohl der Bayerische Philologenverband, die Standesvertretung der Gymnasiallehrer. Deren Vorsitzender Max Schmidt kann sich Spaenles Idee vom „Intensivierungsjahr“ genauso gut vorstellen wie „Brückenangebote“ in den Jahrgangsstufen 8 bis 10. Beides wäre eine Art G9, hieße aber offiziell nicht so. Schmidt will aber vor allem den Gymnasien vor Ort mehr Spielräume für die Entwicklung eigener Konzepte geben. Bei Bedarf könne dies auch ein „grundständiger neunjähriger Bildungsgang“ sein – vulgo ein G9.
Der SPD-Bildungssprecher Martin Güll fordert derweil das „Gymnasium der zwei Geschwindigkeiten“. Dort sollen die Schüler vor Eintritt in die Oberstufe wählen, ob sie diese in zwei oder drei Jahren bis zum Abitur absolvieren wollen. Bei den Grünen und den Freien Wählern legt man den Fokus dagegen eher auf die Mittelstufe. Stärkung der Kernfächer dort sowie mehr Zeit für die Einübung und Vertiefung des Stoffes, lautet die Devise.
Eines aber wollen alle nach nun fast zehn Jahren G8-Debatte: dass endlich wieder Ruhe einkehrt an den Gymnasien in Bayern. (Jürgen Umlauft)

Kommentare (1)

  1. Splash am 13.07.2012
    Ludwig Unger ist ein Meister der Statistik, Zitat : „Im Vergleich zum Vorjahr seien auch rund zehn Prozent mehr Schüler zur Prüfung zugelassen worden, so Unger. Wenn mehr Schüler mit weniger guten Vorleistungen zum Abitur antreten würden, sei es statistisch eben erwartbar, dass ein höherer Prozentsatz scheitere.“ Die Argumentation ist ja ganz besonders klasse. Mit welchem (Statistik-) Verfahren konnte Herr Unter darauf schließen und somit seine Hypothese untermauern das (H0) es erwartbar ist, bei einer höheren Anmeldezahl steigt auch die Durchfallquote? Auf welchen Signifikanzniveau hat er den das getestet? Oh nein ich will hier kein Verfahren verraten welches anwendbar wäre….
    Die Untermauerung einer solchen dahergesagten Aussage würde gut tun, sonst wird die Statistik wieder mal arg populistische eingesetzt, um sich vor den echten Problemen zu drücken, die da wären:
    -Stofferweiterung im G8 als Stoffkürzung.
    -Schlechte Lehrbücher (in Physik der 7-9 Klasse kann kein Mensch ein echtes Konzept bzw. eine Struktur finden, bitte vom Mathe Klett L/Schweizer Buch ganz zu schweigen), aufgrund derer die normalen Klausuren und Schulaufgaben geschrieben werden, die Ansprüche im Abitur weit höher hängen.
    -Unzusammenhängender Stoff.
    -Keine Zeit für „Projekte“

    Eine Wahl der Zweige ob G8 oder G9 ist doch Augenwischerei, wo man doch jetzt schon die Wertung sehen wird, der „gute“ Schüler braucht 8 Jahre, der „schlechte“ 9 Jahre. Um den Weg dann noch weiter zu spinnen, die Universitäten (vor allem die in München) nehmen bevorzugt Schüler mit 8 Jahren Schulzeit auf.
    Das G8 war und ist unausgegoren, die Suppe müssen übrigens die Schüler auslöffeln die durchgefallen sind und mit dem unstrukturierten überfrachteten System G8 nicht zurechtkommen. Viele gute Leute verheizt, das ist super, das braucht der Standort Bayern bzw. Deutschland.
    Macht mal schön so weiter, dann wird das Konzept der Gesamtschule eine Bereicherung werden.
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