Klaus Winkel durfte heuer das erste Mal wählen. Obwohl er bereits 49 Jahre alt ist. Im Mai hat er bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen sein Kreuzchen gemacht. „Ja, da war ich stolz“, erklärte er dem Westfalen-Blatt. Doch eines wurmt ihn ungemein: Bei der bevorstehenden Bundestagswahl darf er nicht an die Urne. Denn Winkel, der eine geistige Behinderung hat, wurde von einem Gericht eine Betreuung in allen Angelegenheiten an die Seite gestellt. Laut Bundeswahlgesetz darf er deshalb nicht an der Bundestagswahl teilnehmen.
Gemeinsam mit weiteren Betroffenen hat Winkel dagegen beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde eingelegt. Die Entscheidung soll zwar noch in diesem Jahr erfolgen – doch die Wahl wird dann wohl gelaufen sein. Winkel ist kein Einzelfall. Mehr als 80 000 Bürger mit Behinderungen sind von der Bundestagswahl ausgeschlossen, weil für sie eine Betreuung in allen Angelegenheiten verfügt wurde. Und würde Winkel, der politisch interessiert ist und jeden Tag Nachrichten schaut, in Bayern leben, wäre auch die Landtagswahl für ihn tabu. Denn einzig Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein haben in ihren Landeswahlgesetzen den Wahlrechtsausschluss für Vollbetreute abgeschafft.
Dazu kommt: Im 13-Millionen-Einwohnerland Bayern werden besonders viele Menschen von ihrem Wahlrecht ausgeschlossen: Knapp 20 000 vollbetreute Menschen sind in Bayern nicht wahlberechtigt, in Baden-Württemberg (11 Millionen Einwohner) dagegen nur gut 6000. „Das ist für mich nicht erklärbar und sehr unbefriedigend“, sagt Bayerns Behindertenbeauftragte Irmgard Badura der Staatzeitung. Sie setzt sich dafür ein, dass „in Zukunft eine Betreuung in allen Angelegenheiten nur noch dann angeordnet wird, wenn dies unbedingt notwendig ist“. Dazu sei sie in einem konstruktiven Dialog mit dem Justizministerium.
Demente mit Vorsorgevollmacht dürfen wählen, andere nicht
Aber auch damit ist das Problem aus Baduras Sicht nicht gelöst. Sie fordert, die pauschalen Wahlrechtsausschlüsse in Bundes- und Landeswahlgesetz umgehend zu streichen, da sie ein Verstoß gegen das Recht auf chancengleiche Teilhabe am politischen Leben seien. Badura betont: „Jeder, der wählen kann, muss auch wählen dürfen!“ Das fordern auch Verbände wie die Lebenshilfe. Denn dass alle Menschen mit einer Betreuung nicht wählen können, weil sie die Wahl nicht verstehen, sei falsch, heißt es dort. Außerdem gebe es zu fast jeder Wahl Informationen in leicht verständlicher Sprache, die zum Beispiel erklären, was die Parteien wollen.
Auch SPD und Grüne in Bayern befürworten ein verbessertes Wahlrecht für Behinderte. „Die Gruppe der Personen, die unter Betreuung stehen, umfasst viele Menschen, die durchaus fähig sind, zu wählen“, betont die Landtags-Grüne Kerstin Celina. Noch vor der Sommerpause haben die Grünen einen Gesetzentwurf dazu vorgelegt. Das Ziel: Bis zur Landtagswahl 2018 die Wahlrechtsausschlüsse aus dem Landeswahl- und auch aus dem Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz zu streichen. Allerdings: Die SPD ist in der Vergangenheit mit ähnlichen Vorhaben schon mehrfach am Widerstand der CSU gescheitert. Zuletzt 2014. Und die Christsozialen wollen nach wie vor an der bestehenden Regelung festhalten. Die CSU-Abgeordnete Petra Guttenberger verweist auf eine Expertenstudie des SPD-geführten Bundessozialministeriums, die eine ersatzlose Streichung der Wahlrechtsausschlüsse nicht empfiehlt. Denn dann dürften auch Personen, die als entscheidungsunfähig gelten, an Wahlen teilnehmen. Rechtswidrig jedenfalls seien die Ausschlüsse nicht, so die Studie.
Auch das bayerische Innenministerium verweist auf BSZ-Anfrage auf die Studie des Bundessozialministeriums. Außerdem solle erst einmal die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes abgewartet werden, so ein Sprecher von Joachim Herrmann. Grundsätzlich wünscht sich das bayerische Innenministerium eine bundeseinheitliche Lösung.
In der Tat ist es absurd, dass es auch vom Wohnort abhängt, ob jemand wählen darf oder nicht. Ebenfalls bedenklich ist, dass beispielsweise alte Menschen, die etwa an Demenz leiden, durchaus wählen dürfen, wenn sie im Vorfeld eine Vorsorgevollmacht erstellt haben. Denn wenn diese vorliegt, kann eine rechtliche Betreuung – und folglich ein Wahlrechtsausschluss – vermieden werden. Niemand prüft in solchen Fällen, ob diese Menschen fähig sind, zu wählen.
(Angelika Kahl)
Kommentare (1)