Politik

In Bayern leben 388 000 Alleinerziehende - deren Zahl steigt stetig. (Foto: dpa)

19.06.2015

Single-Mamas ohne Lobby

Alleinerziehende sind die einzige Familienform, die wächst – dennoch sind viele von ihnen arm. Was tun?

Seit zehn Wochen kann sich Cordula Meyer (Name geändert) wieder etwas leisten. Vor Kurzem war sie mit ihrer Tochter übers Wochenende am Tegernsee, in der Jugendherberge. Auch mal Eis essen zu gehen oder ein Ausflug mit dem Bayern-Ticket sind finanziell wieder drin. „Es geht endlich aufwärts“, sagt Meyer.
Nach langer Durststrecke hat die 32-jährige alleinerziehende Mutter einer neunjährigen Tochter einen Job gefunden, in Vollzeit, und in ihrem gelernten Beruf als Finanzbuchhalterin.
Meyer gehörte dann zu denjenigen, die von einer aktuellen Entscheidung der Bundesregierung profitieren würden. Nach langem und zähem Ringen wird in diesem Jahr der Steuerfreibetrag für Alleinerziehende erstmals seit elf Jahren angehoben. Anders als in der Koalition vereinbart, steigt der Satz allerdings in zwei Stufen: dieses Jahr um 300 Euro und nächstes Jahr noch einmal um 300 Euro. Insgesamt liegt der Steuerfreibetrag damit im Jahr 2016 bei 1908 Euro.
„Ich freue mich, dass endlich etwas passiert ist“, sagt Meyer. Und so sehen es auch die Sozialverbände, die für eine Erhöhung gekämpft haben. „Ein Anfang ist gemacht“, sagt Thomas Beyer, Vorsitzender der Arbeiterwohlfahrt in Bayern. Und Helga Jäger, Geschäftsführerin des bayerischen Landesverbands alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) spricht von einem „Schritt in die richtige Richtung“. Auch im Landtag freuen sich Sozialpolitiker aller Fraktionen.

Auf politischer Ebene passiert viel zu wenig

In Deutschland lebt mittlerweile jedes fünfte Kind in einer Ein-Eltern-Familie. Tendenz steigend. Diese Familienform sei die einzige, die wächst, konstatiert eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung. 2013 lebten in Bayern 388 000 Alleinerziehende, 2010 waren es 371 000.
Neun von zehn Alleinerziehenden sind Frauen, das gilt in Bayern ebenso wie in ganz Deutschland. Sie tragen ein besonders hohes Armutsrisiko: 39 Prozent, so das Ergebnis der Bertelsmann-Studie, beziehen Hartz IV. Ein Drittel davon sind sogenannte Aufstocker, das heißt, sie erzielen ein so geringes Einkommen, dass sie auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen sind. Bei Familien mit zwei Elternteilen sind nur acht Prozent auf die Grundsicherung angewiesen.
Durch die jetzt beschlossene Erhöhung des Freibetrags haben Alleinerziehende nach Berechnungen des VAMV monatlich durchschnittlich 15 Euro mehr im Geldbeutel. „Das ist nicht viel“, sagt Jäger, „vor allem, wenn man bedenkt, wie wenig die meisten Alleinerziehenden zur Verfügung haben. Davon abgesehen, dass der Freibetrag ja nur dann in voller Höhe wirken kann, wenn ein entsprechendes zu versteuerndes Einkommen zur Verfügung steht.“
Cordula Meyer verdient knapp 2000 Euro. Sie gehört damit zu den Privilegierten unter den Alleinerziehenden. Aber sie weiß auch, wie es ist, wenn das Geld kaum zum Leben reicht. Im vergangenen Jahr, als sie ihre Stelle verlor und ihr Ehemann plötzlich die Unterhaltszahlungen einstellte. „Ich musste Schulden bei Freunden machen, um die Miete bezahlen zu können“, sagt sie. „Vonseiten der Behörden habe ich in dieser Notlage lange keine Hilfe bekommen.“
An der Zahl der Hilfen kann es nicht liegen. Rund 160 Arten familienpolitischer Maßnahmen gibt es in Deutschland, rund 200 Milliarden Euro gibt der Bund für solche Leistungen aus. „Aber viele dieser Hilfen gehen eben an der Lebenswirklichkeit von Alleinerziehenden vorbei“, sagt die VAMV-Geschäftsführerin Jäger.

Zahlt der Vater nicht, gibt's nur sechs Jahre lang Geld vom Staat

Beispiel Unterhalt: Kann oder will der Unterhaltspflichtige nicht bezahlen, springt der Staat ein und gewährt dem Alleinerziehenden einen Unterhaltsvorschuss. Allerdings zahlt der Staat den Vorschuss nur sechs Jahre lang und nur bis zum 12. Lebensjahr des Kindes. „Warum ist das so?“, fragt Jäger. „Kostet ein 13-jähriges Kind etwa kein Geld mehr?“
Sozialverbände fordern seit Langem eine sogenannte Kindergrundsicherung, in der Leistungen wie Unterhalt und Kindergeld zusammengezogen werden. 590 Euro soll jedes Kind erhalten. Dieser Vorschlag ist politisch jedoch umstritten. Einzig die SPD unterstützt offensiv die Idee einer Kindergrundsicherung. Ein Gegenvorschlag kommt von den Freien Wählern: Sie wollen das Ehegatten-Splitting zu einem Familien-Splitting weiterentwickeln. „Dies würde eine echte Familienförderung darstellen“, sagt Schmidt.
Einigkeit dagegen herrscht, wenn es um weitere Forderungen der Sozialverbände geht, etwa darum, dass sich strukturell etwas ändern muss. Als Schwerpunkte nennt Jäger Arbeitsplatz und Kinderbetreuung. „Der Gesetzgeber wünscht, dass der Alleinerziehende spätestens drei Jahre nach der Geburt des Kindes wieder arbeitet, und das möglichst in Vollzeit. Dann muss der Gesetzgeber auch dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen stimmen.“
Arbeitsplatz und Kinderbetreuung – das sind die beiden Bereiche, in denen auch die Politik vorrangigen Handlungsbedarf sieht. Neben dem Ausbau finanzieller Hilfen sei die wichtigste Maßnahme, so die Grünen-Politikerin Celina, Alleinerziehende in Arbeitsverhältnisse zu bringen, in denen sie genug verdienten, um für sich und die Kinder sorgen zu können. Deutlich verbesserte Möglichkeiten der Vereinbarung von Familie und Beruf fordert CSU-Mann Joachim Unterländer. Und Simone Strohmayr (SPD) will den Ausbau der Kinderbetreuungsangebote vor allem in den Rand- und Ferienzeiten vorantreiben. „Nur dann können die Alleinerziehenden in Vollzeit arbeiten.“
Trotz aller Zustimmung: Auf politischer Ebene passiert zu wenig. Der AWO-Landesvorsitzende Beyer wünscht sich deshalb, dass die Politiker nur einen Funken der Emotionen, mit denen sie das Betreuungsgeld diskutiert haben, für die Situation der Alleinerziehenden aufbringen könnten. „Dann“, glaubt Beyer, „wären wir schon weiter.“ (Beatrice Oßberger)

Kommentare (2)

  1. Is so! am 22.06.2015
    Das Zauberwort ist:

    Emanzipation
    !!!Der lange Kampf der Frauen um völlige Gleichberechtigung in der Gesellschaft!!!

    Jetzt ist sie da.
  2. Karle am 19.06.2015
    Ja, das ist doch genau dass was die moderne Frau wünscht! Einen Erzeuger, den man dann abschießt und dann jammern. Es geschieht auf politischer Ebene zu wenig für Väter die sich um Ihre Kinder kümmern möchten aber die Ex jeden Umgang boykottiert! !!!Zahlen ja, Umgang nein!!!
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