Politik

Kündigt eine umfassende Fehleranalyse an: CSU-Chef Markus Söder. (Foto: dpa/Sven Hoppe)

27.09.2021

Söders Gnadenfrist

Der Nimbus ist angekratzt: Die CSU unter Markus Söder muss eine dramatische Wahlniederlage verkraften. Einen Hauptschuldigen haben viele ausgemacht. Aber wie geht es nun weiter?

Früher war die CSU gnadenlos. Früher führten Verluste und Wahlergebnisse wie an diesem Sonntag fast zwangsläufig zu Rücktritten - oder mindestens zu heftigen Diskussionen über den Parteivorsitzenden. Zuletzt bekam dies 2017 Horst Seehofer zu spüren: Der Absturz der CSU bei der damaligen Bundestagswahl um mehr als zehn Prozentpunkte in Bayern leitete sein schrittweises Aus als Ministerpräsident und später als Parteichef ein.

Nun ist die CSU am Sonntag noch einmal dramatisch abgerutscht: um 7,1 Punkte auf nur noch 31,7 Prozent in Bayern - das zweitschlechteste Bundestagswahlergebnis seit 1949. Und doch ist heute alles anders: Parteichef Markus Söder ist weiter völlig unangefochten. Er weiß aber auch: Bei den nächsten Wahlen kann er sich keine solchen tief ins Minus rauschenden schwarzen Balken erlauben. Dann muss er liefern.

Bei der Aufarbeitung der aktuellen Niederlage im CSU-Vorstand am Montag kristallisiert sich schnell diese Deutung heraus: Man sei, sagt Söder, nochmal mit einem blauen Auge davongekommen: bis auf eines alle Direktmandate verteidigt, immerhin noch über 30 Prozent im Freistaat und über fünf Prozent bundesweit geblieben - und in der geschrumpften Bundestagsfraktion stellt die CSU nun sogar ein Viertel der Abgeordneten. Andererseits spricht Söder ganz direkt aus, was die 31,7 Prozent in Bayern und der bundesweite Absturz der Union auf 24,1 Prozent und nur noch Platz zwei hinter der SPD ist: eine Niederlage.

CSU-Politiker machen ihrem Frust Luft

In der Vorstandssitzung machen zahlreiche CSU-Politiker ihrem Frust und Ärger Luft. Doch im Zentrum steht nicht wie 2017 der eigene Parteivorsitzende - sondern der gemeinsame Kanzlerkandidat Armin Laschet. Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagt intern, es habe bei der CDU Schwächen bei Kurs, Kampagne und beim Kandidaten gegeben. Nachher in der Pressekonferenz spricht er von einer der unnötigsten Niederlagen der vergangene Jahrzehnte überhaupt.

Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber erinnert daran, dass Söder im Frühjahr das Angebot gemacht hatte, selbst Kanzlerkandidat zu werden - mit ihm hätte die CSU in Bayern "viel, viel besser" abgeschnitten. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Andreas Lenz schimpft später auf Twitter: "Die #Union wirkt in Teilen hirntot - es gibt viel zu tun!"

Söder selbst betont aber, die CSU wolle keine "Rückspiele". Klar ist am Ende: Bei aller Kritik wollen es nicht die CSU und Söder sein, die nun eine neue Personaldebatte bei der großen Schwester anzetteln.

Auffällig ist, dass sich Söder am Montag etwas defensiver über ein Jamaika-Bündnis äußert. Am Sonntagabend hatte er noch vom klaren Ziel gesprochen, in den Sondierungen den Führungsauftrag der Union zu definieren. Nun sagt er, aus Platz zwei ergebe sich kein Anspruch auf eine Regierungsbildung - man könne nur ein "Angebot" machen.

Söder: Jamaika ja, aber nicht um jeden Preis

Tatsächlich ist die CSU nun in einem Dilemma: Einerseits will man selbstverständlich gerne mitregieren. Denn das eigene Gewicht ergibt sich natürlich auch aus eigener Regierungsverantwortung: mit einer zentralen Stimme im Koalitionsausschuss und mit eigenen Ministern am Kabinettstisch, die immer auch bayerische Belange im Blick haben. Damit hatte Söder ja zuletzt offensiv Wahlwerbung betrieben. Deshalb hat die CSU ureigenes Interesse an der Verteidigung des Kanzleramts.

Anderseits sind die Sorgen groß, dass die Union in einer Koalition mit Grünen und FDP zumindest einige zentrale Kernpositionen räumen müsste. Die Union dürfe sich aber nicht "entkernen", mahnt Söder deshalb. Jamaika ja, aber nicht um jedem Preis - das gibt er für die Sondierungs-Phase vor. Als zentrale Leitplanken nennt er etwa die Absage an Steuererhöhungen und ein Festhalten an der Schuldenbremse. Und macht dabei auch deutlich, dass die CSU beteiligt werden will: "Ich hoffe sehr, dass da nicht nur Einzelgespräche geführt werden."

Ob nun Jamaika oder eine Ampel ohne die Union die wahrscheinlichere Variante ist, da gehen die Meinungen in der CSU-Spitze auseinander - vielleicht mit einer Tendenz, dass nun mehr für eine Ampel spreche.

Klar ist: Bei alledem hat die CSU immer auch die nächste Landtagswahl in zwei Jahren im Blick. Und da sähen manche eine mühsam gezimmerte Jamaika-Koalition mit Laschet als Kanzler nicht unbedingt als Stimmungsaufheller. Und ginge man in Berlin in die Opposition, könne man in Bayern viel freier agieren, sagen einige. Tatsächlich ist die Landtagswahl 2023 auch für Söder die alles entscheidende Wegmarke. "In zwei Jahren wird sich das politische Schicksal Söders entscheiden", sagt ein CSU-Vorstand. Ob der Franke nach einem möglichen Triumph bei der Landtagswahl der Kanzlerkandidat im Jahr 2025 werden könnte, darüber will aber keiner ernsthaft spekulieren.

Denn tatsächlich kann im Moment niemand in der CSU sagen, was in zwei oder vier Jahren ist. Söder selbst steht ja schon in naher Zukunft vor mehreren Herausforderungen: Neben den Sondierungen in Berlin muss er die bayerischen Koalition mit den Freien Wählern wieder in ruhigeres Fahrwasser bringen - das Tischtuch mit seinem Vize Hubert Aiwanger ist zwar nicht zerrissen, aber merklich ramponiert. Zudem: Die Zeiten, in denen die CSU in Bayern Wahlsiege im Dauer-Abo hatte, sind vorbei. Das weiß auch Söder. 2023 geht es für ihn um alles.
(dpa)

Kein CSU-Abgeordneter mehr über 50 Prozent
Abgeordneter mehr über 50 Prozent der Erststimmen bekommen. Im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 haben die Christsozialen auch bei diesen Stimmen stark eingebüßt und kommen nun nur noch auf 36,9 Prozent, wie aus dem vom Landeswahlleiter am Montag veröffentlichten vorläufigen Ergebnissen hervorgeht.

Das waren über 7 Prozentpunkte weniger als 2017. Von den einst in Bayern gewohnten turmhohen Erststimmenmehrheiten für die CSU war bei dieser Wahl nichts mehr zu sehen. 2013 hatten die CSU-Kandidaten landesweit noch knapp 54 Prozent der Erststimmen geholt, in neun Wahlkreisen sogar über 60 Prozent.

Dennoch war auch bei dieser Bundestagswahl in ländlichen Wahlkreisen der Vorsprung der CSU nach wie vor häufig zweistellig. Als einzige Partei im Bundestag ist die CSU mit keinem einzigen Listenkandidaten im Bundestag vertreten, alle 45 Abgeordneten sind direkt gewählt.

Mit dem bayernweit niedrigsten Ergebnis erfolgreich war im Münchner Norden der CSU-Abgeordnete Bernhard Loos, der seinen Wahlkreis mit 25,7 Prozent gewann. Und mit dem bayernweit knappsten Vorsprung ins Ziel kam der CSU-Abgeordnete Stephan Pilsinger im Wahlkreis München West, der laut vorläufigem Ergebnis mit 27 Prozent und 146 Stimmen Abstand vor dem Zweitplatzierten Dieter Janecek (Grüne) mit 26,9 Prozent lag.

Ein Sprecher des Münchner Kreisverwaltungsreferats sagte dazu, dass die Ergebnisermittlung bis zur Feststellung des amtlichen Endergebnisses nicht abgeschlossen sei. Der Münchner Kreiswahlausschuss wird am 30. September tagen. Unmittelbare praktische Bedeutung hat das knappe Ergebnis ohnehin nicht, da Janecek über die Grünen-Landesliste in den Bundestag einzieht.

Sowohl bei den Grünen als auch in der SPD wird seit Jahren beklagt, dass die Kandidaten beider Parteien sich mit beträchtlichen Erststimmenanteilen wechselseitig kannibalisieren, so dass am Ende die CSU-Bewerber als lachende Dritte durchs Ziel gegeben. Bei den Zweitstimmen sind in München die Grünen die stärkste Kraft.

Von den drei prominenten CSU-Bundespolitikern Alexander Dobrindt, Andreas Scheuer und Dorothee Bär erzielte Landesgruppenchef Dobrindt in seinem Wahlkreis Weilheim mit 41,9 Prozent das beste Ergebnis, auch Digital-Staatsministerin Bär erzielte in Bad Kissingen mit 39,1 Prozent zumindest ein überdurchschnittliches.

Bundesverkehrsminister Scheuer in Passau hingegen rutschte auf 30,7 Prozent ab und lag damit weit unter dem niederbayerischen Erststimmenschnitt der CSU von 36,7 Prozent.
Das landesweit beste Ergebnis für die CSU erzielte wie bereits 2017 die oberfränkische Abgeordnete Emmi Zeulner in Kulmbach mit 47,8 Prozent. Unter den 45 CSU-Abgeordneten sind lediglich zehn Frauen, ungeachtet jahrelanger Appelle der CSU-Spitze an die Kreisverbände, mehr Frauen zu nominieren.
(dpa)

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