Politik

10.09.2020

Soll man der Polizei den Zugriff auf Corona-Gästelisten der Gastro verweigern?

Zur Eindämmung der Corona-Pandemie waren die Gästelisten eingeführt worden, doch die Polizei nutzt sie manchmal als Ermittlungshilfe - auch bei kleineren Delikten. Ist das gerechtfertigt? FDP-Fraktionschef Martin Hagen und der bayrische Polizeipräsident Wilhelm Schmidbauer sind da ganz unterschiedlicher Meinung

JA

Martin Hagen, Fraktionsvorsitzender der FDP im Bayerischen Landtag

Im Restaurant, Biergarten oder Café unsere Kontaktdaten zu hinterlassen – daran haben wir uns seit Ausbruch der Corona-Pandemie gewöhnt. „Die erhobenen Daten dürfen ausschließlich auf Anforderung der zuständigen Gesundheitsbehörden zur Nachverfolgung von möglichen Infektionswegen weitergegeben werden“, heißt es auf den Formularen. Stimmt aber nicht: Wie im Juli bekannt wurde, greift auch die Polizei zu Ermittlungszwecken darauf zu.

Der Innenminister versicherte damals, das passiere nur in Notfällen und zur Aufklärung besonders schwerer Straftaten. Doch auch das entspricht nicht der Wahrheit, wie ich letzte Woche mit einer Anfrage an die bayerische Staatsregierung herausfand: Demnach waren nicht Mord und Totschlag, sondern Fahrerflucht, Diebstahl und Betrug die häufigsten Delikte, die zu einer polizeilichen Abfrage der Gästedaten führten. Auch Daten unbeteiligter Dritter wurden erhoben und gespeichert.

Die Zweckentfremdung der Gästelisten zerstört das Vertrauen der Bürger in staatliches Handeln und gefährdet die Akzeptanz für die Corona-Regeln. Ich fürchte: Wenn die Menschen sich nicht sicher sein können, was mit ihren Daten wirklich passiert, werden sie sich verstärkt mit falschem Namen eintragen. Schon heute berichten Wirte, dass Max Mustermann und Micky Maus zu ihren Stammgästen gehören. Die Nachverfolgung von Infektionsketten ist so nicht mehr möglich.

Grundsätzlich gilt: Es geht den Staat nichts an, wer wann in welcher Gaststätte verkehrt. Um die Corona-Pandemie einzudämmen, waren die meisten Menschen bereit, zeitlich befristet und zweckgebunden eine Ausnahme zu machen. Aber bei der Ausnahme muss es bleiben. Wer ein neues Überwachungsinstrument schaffen will, soll es sagen und sich der politischen Debatte stellen. Es durch die Hintertür zu tun, ist inakzeptabel. Wir brauchen jetzt eine gesetzliche Klarstellung, was mit den Gästedaten passieren darf und was nicht.

NEIN

Wilhelm Schmidbauer, bayerischer Polizeipräsident

Auf gar keinen Fall! Welches Opfer einer Straftat hätte dafür Verständnis? Eine Verweigerung würde nur den Kriminellen in die Hände spielen und bei Vermisstenfällen möglicherweise auch das Leben der Betreffenden gefährden. Die Polizei kann im Einzelfall darauf angewiesen sein, zusätzliche Ermittlungsansätze auf mögliche Täter oder Zeugen zu gewinnen.

Ganz wichtig: Die Polizei kann nicht nach Belieben auf die Gästelistendaten zugreifen. In der bundesweit gültigen Strafprozessordnung und im Bayerischen Polizeiaufgabengesetz ist ganz klar geregelt, unter welchen Voraussetzungen die Polizei diese Daten nutzen kann. Das ist vergleichbar beispielsweise mit dem Zugriff auf Mitgliederlisten von Vereinen oder Schichtplänen in Betrieben. Sehr wichtig ist hier die Verhältnismäßigkeit, die in einem jeden einzelnen Fall von der Polizei oder der zuständigen Staatsanwaltschaft sehr sorgfältig geprüft werden muss und anschließend auch gerichtlich überprüft wird. Dabei wird auch die Schwere der Tat berücksichtigt. Selbst laut dem Bayerischen Landesbeauftragten für den Datenschutz ist ein Zugriff der Polizei auf die Gästelisten unter den aktuellen gesetzlichen Voraussetzungen grundsätzlich möglich und zulässig.

Das Argument, dass dann nur noch Fantasienamen eingetragen werden, lasse ich nicht gelten. Der Taschendieb, der von vorneherein vorhat, in der Gaststätte sein Unwesen zu treiben, würde so oder so seine richtigen Personalien nicht angeben. Seriöse Gäste haben im Gegensatz aber ein großes Interesse, informiert zu werden, wenn sich dort ein Corona-Infizierter aufgehalten hat. Und das geht nur mit den korrekten Erreichbarkeiten.

Die bayerische Polizei hat bislang in lediglich rund zwei Dutzend Fällen Daten der Corona-Gästelisten genutzt. Das zeigt, wie verantwortungsvoll damit umgegangen wird. Denn in Bayern gibt es rund 24.000 gastronomische Betriebe, die seit mehr als 100 Tagen derartige Listen führen müssen.

Kommentare (1)

  1. ? am 17.09.2020
    Wie Herr Schmidbauer selbst argumentiert, dass nur seriöse Personen ihre richtigen Daten angeben, erklärt doch schon die Sinnlosigkeit des Zugriffs auf diese Listen.
Die Frage der Woche

Sollen Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.