Politik

08.12.2022

Soll man länger als zehn Stunden am Tag arbeiten dürfen?

Mit ihrem Vorstoß, auch Zwölf-Stunden-Arbeitstage zu ermöglichen, hat die bayerische Arbeitsministerin Ulrike Scharf (CSU) für Wirbel gesorgt. In ihrem Statement erläutert sie ihren Vorschlag. Klar gegen den Vorstoß ist Bernhard Stiedl, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds, wie er ausführlich erklärt.

JA

Ulrike Scharf (CSU),
bayerische Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales


Arbeit ist mehr als Broterwerb. Arbeit bedeutet auch soziale Teilhabe, die Möglichkeit, das eigene Leben gestalten zu können: Arbeit bringt nicht nur Geld, sie ist auch sinnstiftend. Das gültige Arbeitszeitgesetz, das Mitte der 1990er-Jahre entstand, ist seitdem kaum angepasst worden. Aus meiner Erfahrung und den vielen Gesprächen mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und auch der Arbeitgeberseite weiß ich: Wir brauchen mehr Flexibilität.

Die Menschen sollen nicht mehr arbeiten, sondern nur flexibler einteilen können, wann sie arbeiten – innerhalb der geregelten Wochenarbeitszeit. Viele wünschen sich das. Natürlich wird nicht jeder in jeder Branche sagen, dass das für sie oder ihn ein passendes Modell ist. Aber aus einer aktuellen Studie konnten wir in der Intensivpflege den klaren Wunsch der Beschäftigten herauslesen, zwölf Stunden am Stück arbeiten zu wollen.

Wenn jemand heutzutage in Teilzeit arbeitet, zum Beispiel 24 Stunden, dann wäre es flexibel möglich, diese Stunden an zwei Tagen abzuarbeiten – und die Arbeitnehmerin beziehungsweise der Arbeitnehmer hätte mehr Freizeit am Stück. Diese kann man zum Beispiel für Familie und Kinder oder für die Betreuung von pflegebedürftigen Angehörigen nutzen. Das größte Pflegeheim ist ja nicht die Einrichtung, sondern das Zuhause – in Bayern werden rund 80 Prozent der Menschen, die pflegebedürftig sind, daheim betreut.

Diese Flexibilität und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind wichtige Instrumente gegen den Fachkräftemangel. Wir müssen die Arbeitszeitgesetze endlich den Lebensrealitäten der Menschen anpassen. Ein moderneres Arbeitszeitgesetz wird auch eine große Chance für eine höhere Beschäftigungsquote bei Frauen sein! Wir müssen offen über eine längere Arbeitszeit an einzelnen Tagen von bis zu zwölf Stunden und eine Wochenarbeitszeit von 48 Stunden diskutieren – flexibel und auf freiwilliger Basis der Beschäftigten, selbstverständlich unter Einhaltung des Arbeitnehmer- und Gesundheitsschutzes. 
 

NEIN

Bernhard Stiedl,
Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftbunds (DGB)


Es klingt so einfach: Zu wenig Arbeitskräfte? Dann soll doch der Rest einfach länger arbeiten. Problem gelöst. Diese beliebte Milchmädchenrechnung kann nicht aufgehen. Der Vorschlag führt nur zu noch mehr Leistungsdruck, zu noch mehr Hamsterrad für die verbliebenen Beschäftigten, aber zu keiner einzigen neuen Fachkraft. Außerdem steht er im krassen Widerspruch zu den Arbeitszeitwünschen der Beschäftigten.

50 Prozent der Männer und 41 Prozent der Frauen in Erwerbstätigkeit wollen nicht mehr, sondern weniger arbeiten. Nur 17 Prozent der erwerbstätigen Frauen und 9 Prozent der Männer fühlen sich unterbeschäftigt und streben eine Stundenaufstockung an. Zumeist spielt hier die Teilzeiterwerbstätigkeit eine entscheidende Rolle. Gute Kitas und ein gutes Ganztagsangebot in den Schulen sind hier zentral, damit insbesondere Mütter ihre Arbeitszeitwünsche umsetzen können. Auch Fehlanreize im Steuer-, Abgaben- und Transfersystem müssen abgebaut werden, da sie Mehrarbeit für Frauen und Mütter häufig unattraktiv machen.

In der Tat wünschen sich viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr Flexibilität, doch Experimente beim Arbeitszeitgesetz sind hierbei völlig fehl am Platz. Das bestehende Arbeitszeitgesetz bietet durch tarifliche Lösungen bereits reichlich Spielraum und ist elementar für den Gesundheitsschutz der Beschäftigten. Fremdbestimmte Flexibilisierung von Arbeit zugunsten der Arbeitgeber führt vor allem zu einer gesundheitsgefährdenden Verdichtung und Entgrenzung der Arbeit. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz, aber auch Zeit für Familie und Freizeit treten in den Hintergrund.

Wer die Beschäftigungschancen von Frauen verbessern will, soll endlich flächendeckende, qualitativ hochwertige Betreuungsmöglichkeiten organisieren. Hier hat das „Familienland Bayern“ noch viel Luft nach oben. Wer Fachkräfte gewinnen will, soll attraktive Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen bieten. Hier sind allen voran die Arbeitgeber in der Pflicht. Für beides bedarf es eines aber nicht: das Schleifen des Arbeitszeitgesetzes. 

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