Politik

29.04.2021

Sollen Abschiebungen während der Corona-Pandemie ausgesetzt werden?

Wenn in einem Land die Epidemie grassiert und das dortige Gesundheitswesen völlig überfordert ist, sollte nicht abgeschoben werden. Das fordert Michael Bammessel, Präsident der Diakonie Bayern. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) widerspricht

JA

Michael Bammessel, Präsident der Diakonie Bayern

In ein Land fliegen, in dem die Epidemie grassiert und das Gesundheitssystem völlig überfordert ist? Davor wird von staatlichen Stellen dringend gewarnt. Und genau in solche Länder sollen Menschen zwangsweise ausgeflogen und damit einer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt werden? Das geht nicht zusammen.

Fernsehbilder vermitteln einen Eindruck davon, was geschieht, wenn eine Pandemie in einem Land mit einem schwach ausgebauten Gesundheitssystem außer Kontrolle gerät. Überfüllte Krankenhäuser, Angehörige, die ihre Toten auf offener Straße betrauern müssen.

Sicher: Auch in diesen Ländern entwickelt sich die Pandemie in Wellen. Aber wie schwankend die Zahlen auch sein mögen: Wer in eines dieser Länder abgeschoben wird, kann sich sicher sein, dass Versorgung und Schutzmaßnahmen gegen eine Ansteckung nicht im Ansatz so sein werden wie jene in Deutschland. Kurz: Mit einer Abschiebung in der momentanen Situation nimmt Deutschland die Gesundheitsgefährdung der Betroffenen bewusst in Kauf.

Nun wird angesichts der Pandemie niemand die rechtsstaatlichen Prinzipien infrage stellen. Der Grundsatz, dass ein Asylsuchender, dessen Asylantrag in einem rechtsstaatlichen Verfahren gewissenhaft geprüft und abgelehnt wurde, in seine Heimat zurückkehren muss, gilt weiterhin. Darüber aber steht eben Artikel 2 des Grundgesetzes: Jeder und jede hat ein Recht auf körperliche Unversehrtheit. Und dieser Artikel gilt ausnahmslos für alle – auch für abgelehnte Asylbewerber und -bewerberinnen. Selbst wenn es sich um Straftäter handelt. Niemand würde einen in Deutschland Inhaftierten gefährden, etwa, indem die Person einem potenziell tödlichen Virus ausgesetzt wird. Und das soll für Menschen aus den Herkunftsländern nicht gelten? Das ist weder mit den Werten der Diakonie noch mit denen einer humanen Flüchtlingspolitik vereinbar. Abschiebungen in Gebiete mit großer Ansteckungsgefahr und miserabler medizinischer Versorgung? Nicht, solange die Pandemie nicht abflaut.
 

NEIN

Joachim Herrmann (CSU), bayerischer Innenminister

Die im Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern verankerte Leitlinie der Staatsregierung „Humanität und Ordnung in der Flüchtlingspolitik“ gilt auch in Zeiten der Pandemie. Humanität und Ordnung sind in Bayern in der richtigen Balance! Das Asylrecht für individuell politisch Verfolgte steht für uns nicht zur Diskussion. Wer einen Schutzstatus erhält, dem stehen alle Möglichkeiten offen. Wer aber vom zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie gegebenenfalls vom Gericht keinen Schutzstatus erhält, muss unser Land wieder verlassen.

Wenn es die Lage zulässt, ist es daher unser klares Ziel, Abschiebungen, insbesondere von Straftätern, im Rahmen der Möglichkeiten weiterhin konsequent zu vollziehen. Dies ist notwendig, um das geltende Asylrecht durchzusetzen. Ein Rechtsstaat muss seine Regeln auch in einer Sondersituation durchsetzen. Corona setzt die bestehenden Gesetze nicht außer Kraft. Nur wenn abgelehnte Asylbewerber ohne Bleiberecht konsequent zurückgeführt werden, bleibt die Akzeptanz des Asylsystems in der Gesellschaft erhalten.

Die Beurteilung der Sicherheitslage in den Herkunftsländern obliegt dem Bund. Soweit nach dessen Einschätzung Abschiebungen möglich sind, sind bayerische Ausländerbehörden gesetzlich verpflichtet, den Aufenthalt vollziehbar Ausreisepflichtiger zu beenden. Die Rückführung erfolgt selbstverständlich mit zusätzlichen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit. Dies alles hat dazu geführt, dass die Zahl der tatsächlich durchgeführten Abschiebungen von rund 3600 im Jahr 2019 auf rund 1600 im Jahr 2020 zurückgegangen ist.

Einen völligen Verzicht auf Abschiebungen halte ich – auch in diesen Zeiten – im Rahmen der wohlausbalancierten migrationspolitischen Linie der Humanität und Ordnung, der sich die Staatsregierung verschrieben hat, für nicht vertretbar. Dies gilt insbesondere für die vielen Straftäter, darunter Einbrecher, Gewalttäter und Vergewaltiger.

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