Politik

Yoga in Corona-Zeiten: Viele Lehrer*innen unterrichten online. (Foto: dpa/Kovalev)

21.08.2020

Sorgenvolles Sporteln

Die Fitnessbranche leidet massiv unter den teilweise übertrieben strengen Corona-Beschränkungen

Hans Enzinger hat schon einiges erlebt. Mal zerstörte ein Orkan das Dach der Tennishalle, die er einst aufgebaut hatte, mal wurde die Anlage bei einem Großbrand in Schutt und Asche gelegt. Dass aber ein winziger Krankheitserreger die Existenz seiner Unternehmen bedrohen könnte, das hätte sich der 66-Jährige kaum vorstellen können. Enzinger betreibt in Wasserburg (Landkreis Rosenheim) sowie im Landkreis Erding vier Fitnessstudios sowie eine Diskothek, veranstaltet Events und ist im Energiesektor tätig.

Das unternehmerische Risiko auf mehrere Standbeine verteilen – in normalen Zeiten eine sichere Sache. Das Coronavirus allerdings scherte sich nicht um solche Vorkehrungen. Während des Lockdowns musste der Betriebswirt nicht nur die Diskothek schließen und sämtliche Veranstaltungen absagen, sondern auch die Fitnessstudios zusperren. Zwar konnte er für seine rund 150 Mitarbeiter*innen Kurzarbeit beantragen und es floss Soforthilfe. Doch letztere war angesichts der Einnahmeausfälle und der laufenden Kosten – allein die Miete für zwei der Studios beläuft sich auf rund 20 000 Euro pro Monat – kaum mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Noch schlimmer: Weil seine Firmen untereinander verbunden sind, erhält er möglicherweise keine der Überbrückungshilfen, mit denen die Bundesregierung Firmen unterstützt, die von der Pandemie besonders betroffen sind. Jetzt hofft er auf eine Härtefallentscheidung. Schließlich belaufe sich der durch Corona verursachte Schaden bei ihm auf rund 1,2 Millionen Euro, sagt er.

Immerhin sind seine Sportanlagen seit Mitte Juni wieder geöffnet. Unter zahlreichen Auflagen. Beim Betreten und Verlassen des Studios gilt beispielsweise Maskenpflicht, ebenso in den Umkleiden und im Sanitärbereich, nicht jedoch beim Training selbst. Nutzer müssen ein großes Handtuch mitbringen sowie bei Kursen ihre eigenen Matten. Und alle Geräte müssen vor und nach jedem Training desinfiziert werden. Wegen der Hygienemaßnahmen und des erhöhten Beratungsaufwands braucht Enzinger mehr Personal, was wiederum höhere Kosten bedeutet. Andererseits musste er in den Kursen die Zahl der Teilnehmer*innen senken und einige Geräte in den Studios sperren, um vorgeschriebene Abstände einhalten zu können. Dazu kommt die Unsicherheit vieler gesundheitsbewusster Fitness-Fans. Gerade Ältere und Frauen scheuten den Gang ins Studio, hat er beobachtet: „Das tut uns schon weh.“ Auch bei der Mitgliederzahl registriert er einen Rückgang. 80 Neukunden, die er noch im März angeworben hatte, sprangen gleich zu Beginn der Schließung wieder ab. Insgesamt halte sich die Zahl der Kündigungen jedoch in Grenzen. Ein anderes Problem macht Enzinger mehr Sorgen: Die Beiträge, die während der Schließung abgebucht wurden, müssen eigentlich zurückgezahlt oder anderweitig erstattet werden, etwa durch eine Verlängerung der Laufzeit. Was Verluste in der Bilanz bedeutet.

Infektionen im Studio sind höchst unwahrscheinlich

Birgit Schwarze kennt die Probleme, mit denen sich Fitnessstudios während der Pandemie herumschlagen müssen. Sie ist Präsidentin des Arbeitgeberverbands deutscher Fitness- und Gesundheits-Anlagen (DSSV) und hatte während des Lockdowns etliche ratsuchende und verzweifelte Mitglieder am Ohr: „Manche Studiobesitzer, die ich am Telefon hatte, haben fast geweint.“ Drückende Existenzängste machten ihnen ebenso zu schaffen wie die Unsicherheit, wann sich die Türen endlich wieder öffnen dürfen. Rund 1660 Fitnessstudios mit 1,9 Millionen Mitgliedern gibt es in Bayern, die in normalen Jahren knapp eine Milliarde Euro erwirtschaften.

Man muss jedoch kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass die Umsätze heuer deutlich geringer ausfallen dürften. Aufgegeben habe ihres Wissens noch niemand, sagt Birgit Schwarze. Aber womöglich stünden die größten Probleme erst bevor – weil es weniger Neukunden gibt und weil viele Mitglieder die während der Schließzeiten abgebuchten Beiträge zurückfordern könnten. „Das ist ein finanzieller Rattenschwanz, der sich wohl erst im nächsten Jahr auswirkt“, ahnt die DSSV-Präsidentin. „Jeder Monat des Lockdowns kostet ein Unternehmen ein Jahr, um diesen Schaden wieder aufzuholen.“

Deshalb verhandle der Verband mit der Politik wegen weiterer Hilfsmaßnahmen. Hans Enzinger befürchtet noch Schlimmeres. Vielen Studiobetreibern sei noch gar nicht klar, dass sie schon kurz vor der Pleite stünden, sagt er. Die Zahl der Insolvenzen werde sich in den nächsten Monaten vermutlich drastisch erhöhen: „Das ist wie bei einer Ketchup-Flasche, die man schüttelt – erst kommt nichts und dann macht es plötzlich platsch.“

Von der Krise sind auch die knapp 12 000 Sportvereine in Bayern betroffen. Den Schaden für den Sport in Bayern beziffert der Bayerische Landes-Sportverband (BLSV) mit rund 200 Millionen Euro, unter anderem wegen der weiterlaufenden Kosten für Trainer, Übungsleiter, Betreuer und den Unterhalt der Sportanlagen sowie fehlender Einnahmen.

Ebenfalls unter der Pandemie zu leiden haben Yogastudios. Etwa die Yogaschule Nordbayern, die Veronika Karl vor 16 Jahren in Nürnberg und Erlangen gegründet hat. Zwar sind seit Mitte Juni wieder Kurse möglich, sagt sie. Doch wegen der Abstandsregelungen musste sie die Teilnehmerzahlen fast halbieren und ein Hygienekonzept austüfteln. Sie selbst breitet ihre Matte inzwischen im Türrahmen aus, während die Tür offen steht, um noch einen weiteren Platz zu schaffen. Ihr Glück: Weil sie für die Räume keine Miete aufbringen muss, habe sie bisher kaum Probleme. Bei etlichen Yogalehrern ist das anders, gerade bei denjenigen, die Raummiete erwirtschaften müssten. „Wie soll man das bezahlen, wenn man wegen der Abstandsregeln nur noch die Hälfte einnimmt?“, fragt sie. Manche hätten deshalb ihre Räume gekündigt und setzten zurzeit nur auf Online-Kurse. Ein Weg, der für Veronika Karl nicht infrage kommt: „Ich brauche den persönlichen Kontakt zu meinen Teilnehmenden und diese den zu mir.“

Die strengen Abstandsvorgaben im Yoga, die sich an denjenigen für den Sportbereich orientieren, hält der Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland übrigens für unnötig und plädiert für eine Lockerung, um höhere Teilnehmerzahlen zu ermöglichen. Was ganz im Sinne von Veronika Karl ist. „Yoga ist kein Sport, sondern ein Lebensweg“, betont sie. So, wie es bei ihr praktiziert werde, komme man nicht ins Schwitzen. Entsprechend gering sei die Gefahr, sich dabei mit dem Coronavirus zu infizieren: „Ich weiß von niemandem, der sich beim Yoga angesteckt hätte.“

Birgit Schwarze und Hans Enzinger stellen ebenfalls heraus, dass sich in Deutschland bisher keiner in einem Fitnessstudio das Virus eingefangen habe. Eine Studie von Forschern der Universität Oslo kam vor einigen Wochen zu dem Ergebnis, dass dort kein erhöhtes Infektionsrisiko bestehe – falls entsprechende Abstands- und Hygienemaßnahmen eingehalten würden. Genau darauf achte er strikt, schon aus Eigeninteresse, sagt Enzinger. Denn: „Noch mal ein Lockdown, und wir sind ganz tot.“ (Brigitte Degelmann)

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