Politik

Grünen-Fraktionschef Cem Özdemir mit Hanfpflanze. (Foto: dpa)

24.04.2015

Straffreies Kiffen: Ärzte und CSU warnen

Die Grünen fordern eine Liberalisierung des Cannabis-Konsums

Bayern hat in Deutschland die strengste Auslegung des Betäubungsmittelgesetzes, was den Besitz geringer Mengen Cannabis angeht. In den meisten Bundesländern werden Gerichtsverfahren bei unter sechs Gramm eingestellt – in Berlin sogar unter 15 Gramm. Im Freistaat hingegen wurde bereits ein Bürger von der Staatsanwaltschaft Schweinfurt angeklagt, weil die Polizei 0,01 Gramm „Tabak-Marihuana-Gemisch“ in seiner Wohnung fand. Einem anderen wurde wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz untersagt, sich rund um seine eigene Wohnung aufzuhalten. „Verhindert werden soll mit dem Aufenthaltsverbot der bloße Aufenthalt im Sinne eines Herumstehens, Herumsitzens und Herumlungerns“, hieß es in dem behördlichen Schreiben, das der Staatszeitung vorliegt. Wie der Mann legal zur Arbeit kommen sollte, ist selbst Juristen ein Rätsel. Die Grünen im Landtag fordern daher wie die Bundestagsfraktion ein Ende der „strengen Verfolgung und juristischen Drangsalierung“.

„Die Drogenpolitik in Deutschland ist mit Blick auf den Cannabis-Konsum gescheitert“, glaubt der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen Ulrich Leiner. Ein Verbot von Cannabis sei nicht geeignet, den Konsum einzudämmen. „Wir fordern daher, dass auch in Bayern der Besitz geringfügiger Mengen unter sechs Gramm zum Eigengebrauch nicht mehr zu Strafverfolgungsmaßnahmen und teuren Polizeieinsätzen führt“, ergänzt die innenpolitische Sprecherin Katharina Schulze. Dies würden selbst die Deutsche Polizeigewerkschaft und der Bund deutscher Kriminalbeamter unterstützen. Langfristig wollen die Grünen sogar den Verkauf von Cannabis an Volljährige in lizenzierten Fachgeschäften erlauben.

Eine Überprüfung des Betäubungsmittelgesetzes fordern auch über hundert Strafrechtsprofessoren aus ganz Deutschland. Quasi-Feldexperimente mit der liberalisierten Vergabe von bislang illegalen Drogen in den Niederlanden, der Schweiz, Spanien, Portugal und den USA ergaben, dass die befürchtete Ausweitung des Drogenkonsums ausbleibt, heißt es in der Petition an den Bundestag. Stattdessen könnte das Parlament durch eine Gesetzesänderung den Schwarzmarkthandel zurückdrängen, die Gelder für die Strafverfolgung in Präventionsprogramme investieren und das Verhältnismäßigkeitsprinzip wieder herstellen. „Nur vier Prozent der vier bis acht Millionen Marihuana-Konsumenten in Deutschland werden abhängig“, konkretisiert der Initiator der Petition, Lorenz Böllinger. „Das rechtfertigt nicht, 96 Prozent unter kriminellen Verdacht zu stellen.“

Eine Debatte „ohne Scheuklappen“ über Drogenpolitik wünscht sich auch die bayerische SPD. Eine komplette Legalisierung lehnt Generalsekretärin und Landtagsabgeordnete Natascha Kohnen zwar ab. „Eine kontrollierte Freigabe von Cannabis für den Eigenbedarf halte ich aber für denkbar“, sagt sie der BSZ. Es sei ein hohes Risiko, wenn beim selben Dealer auch viel gefährlichere Drogen verkauft würden. Dies sieht die FDP genauso. Deren Landesvorsitzender Albert Duin setzt sich daher für den Verkauf von Cannabis in Apotheken und lizensierten Shops ein. „Das Argument der Einstiegsdroge Cannabis wäre damit vom Tisch“, ist er überzeugt. Das Landesverband der Linken fordert, die Freigrenzen bundeseinheitlich auf 15 Gramm zu erhöhen.

Wenig begeistert von diesen Vorschlägen ist Franz Joseph Freisleder, ärztlicher Direktor des jugendpsychiatrischen Heckscher-Klinikums. „Cannabis und Alkohol sind bei bestimmten Menschen die Einstiegsdrogen für multiplen Drogenmissbrauch“, mahnt er. Natürlich sei die Frage berechtigt, warum dann nicht auch Alkohol verboten werde. „Aber es sollte jetzt nicht Cannabis erlaubt werden, nur weil Alkohol auch erlaubt ist.“ Vielen mache ein Joint nichts aus, aber manche hätten eine herabgesetzte Toleranz. Die Folgen: von Cannabis ausgelöste Psychosen, Aufmerksamkeitsdefizite und Motivationslosigkeit.

„Es ist einfach nicht dasselbe, eine Maß Bier zu trinken oder einen Joint zu rauchen“, glaubt Justizminister Winfried Bausback. „Das Rauchen von Joints erhöht das Lungenkrebsrisiko deutlich“, erläutert Gesundheitsministerin Melanie Huml. „Wir bleiben daher bei unserer bewährten Linie: Null Toleranz gegen Drogen“, versichert Innenminister Joachim Herrmann (alle CSU). „Die Drogenfreigabe auch geringer Mengen wäre der falsche Weg und das falsche Signal an die Bevölkerung“, meint auch der Vorsitzende der Freien Wähler, Hubert Aiwanger. So verwundert es nicht, dass der Antrag der Grünen zur Erhöhung der Freigrenzen mit den Stimmen der CSU und FW im Verfassungsausschuss abgelehnt wurde.

Kleiner Trost für die Grünen: Ihren Antrag zum Einsatz von Cannabis zu medizinisch-therapeutischen Zwecken hatte der Gesundheitsausschuss kürzlich parteiübergreifend angenommen. „Bei Patienten mit starken Schmerzen, Multipler Sklerose oder Hyperaktivität kann Cannabis eine heilsame Wirkung entfalten“, erklärt Ausschussvize Bernhard Seidenath (CSU). Die Staatsregierung setze sich jetzt dafür ein, dass noch dieses Jahr ein entsprechendes Gesetz im Bundestag verabschiedet wird. (David Lohmann)

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