Politik

Saustall im Hühnerstall? Nein, im Ministerium, kritisiert SPD-Verbraucher-Experte Florian von Brunn. (Foto: dpa)

15.12.2015

Tierärzte kritisieren System

Brandbrief an das Ministerium: Lebensmittelkontrolleure fordern nach dem Skandal um Bayern-Ei die Stelle eines Landestierarztes

Die bayerischen Tierärzte beklagen in einem Brandbrief langjährige Missstände bei der Lebensmittelkontrolle im Freistaat. In dem am Montag publik gewordenen Schreiben zur Bayern-Ei-Affäre kritisieren die Landestierärztekammer und der Landesverband der Amtstierärzte sowohl bürokratische als auch organisatorische Mängel. SPD und Grüne forderten die Staatsregierung auf, umgehend Verbesserungen anzugehen.

Nach Einschätzung der zwei Veterinärverbände fehlt es in Bayern an "konkreten und präzisen" Regeln zur Umsetzung der Vorschriften des Bundes und der EU. Die existierenden Rechtsverordnungen seien "aufgrund der Vielzahl an Verweisen auf andere Verordnungen schwer verständlich", heißt es in dem Brief, der an Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und die Landtagsfraktionen ging. Und die Neuorganisation des Landesamts für Lebensmittel und Gesundheit vor einigen Jahren hat nach Einschätzung der Tierärzte effektive Kontrollen eher erschwert als befördert.

Tierärztekammer und die bayerische Sektion des Bundesverbands der beamteten Tierärzte (BbT) klagen, "dass das dringend vor Ort erforderliche Personal zahlenmäßig nicht mehr aufgabengerecht zur Verfügung steht". So fordern die Tierärzte die Einrichtung einer "mobilen Reserve" von Kontrolleuren bei den Bezirksregierungen. Das Landeamt selbst verfügt nach Meinung der Tierärzte nicht mehr über ausreichende Kapazitäten für die Untersuchung von Lebensmittelproben im hauseigenen Labor.

Es braucht eine gründliche Analyse der Schwachstellen

Das Verbraucherschutzministerium hat unterdessen beim Bayerischen Obersten Rechnungshof ein Sondergutachten zur Lebensmittel- und Veterinärüberwachung erbeten. Damit sollten die Organisation und die Strukturen der amtlichen Lebensmittel- und Veterinärüberwachung überprüft werden, teilte das Ministerium mit. Zudem werde Verbraucherschutzministerin Ulrike Scharf beamtete Tierärzte zu einem "offenen fachlichen Austausch" einladen, Anfang des neuen Jahres solle es zudem ein Treffen mit den zuständigen Regierungspräsidenten, Landräten und Bürgermeistern geben.

Anlass des Briefs der Tierärzte ist die Bayern-Ei-Affäre. Das niederbayerische Unternehmen soll im Sommer 2014 mit Wissen und Duldung eines inzwischen in Untersuchungshaft sitzenden Amtsveterinärs mit dem Salmonellen-Erreger kontaminierte Eier exportiert haben, zahlreiche Menschen erkrankten. Gegen den ehemaligen Geschäftsführer von Bayern-Ei wird nach dem Tod eines 94-Jährigen unter anderem wegen fahrlässiger Tötung in einem Fall und fahrlässiger Körperverletzung in 77 Fällen ermittelt.

Die Tierärzte fordern nun eine gründliche Analyse der Schwachstellen bei den Lebensmittelkontrollen. Das Umweltministerium soll an "lesbaren, verständlichen und einfach umsetzbaren Rechtsvorschriften" mitwirken. Am Ministerium soll es eine neue Stelle für einen Landestierarzt geben, der für Grundsatzfragen zuständig ist.

SPD: "Das ist kein Saustall im Hühnerstall, sondern ein Saustall im Ministerium"

"Das ist kein Saustall im Hühnerstall, sondern ein Saustall im Ministerium", kritisierte der SPD-Verbraucherschutzpolitiker Florian von Brunn. "Wir brauchen eine Generalüberholung der gesamten Verbraucherschutzpolitik im Freistaat."

Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann sieht das ebenso: "Was helfen Hunderte Kontrollen in Pommesbuden, wenn die großen Risikobetriebe mit potenziell breiter Gefahrenstreuung nur selten geprüft werden?" Die größte Kontrolldichte werde dort gebraucht, wo das größte Gefährdungspotenzial für Menschen liege. "Hierzu braucht es eine konsequente Risikoanalyse", forderte Hartmann. (dpa)

Kommentare (1)

  1. Dr. Gero Beckmann am 15.12.2015
    Schon wieder weitere Gutachter. Nach dem ersten sog. Gammelfleisch-Skandal 2006 wurde die Präsidentin des Bundesrechnungshofes und gleichzeitig Beauftragte für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, Hedda von Wedel, gutachterlich beauftragt. Frau v. Wedel benannte schon damals folgende "Einfallstore" in die Lebensmittelsicherheit:

    unbestimmte Rechtsbegriffe
    Ermessensspielräume

    und forderte:

    1. einheitliche Kontrollstandards (Fehlanzeige, nur punktuell umgesetzt)

    2. Einrichtung von Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften (bisher m.W. nur in Niedersachsen)
    (LM-Recht darf kein Nebenrecht mehr sein, weil es dann auch "nebenher" bearbeitet wird)

    3. Rotation des Überwachungspersonals (nur teilweise umgesetzt)

    4. Konsequente Anwendung des bisherigen Lebensmittelrechtes (Fehlanzeige)
    (Beispiel s. Antwort der Bayr. Staatsregierung auf die Anfrage des Abgeordneten Wörner, MdL, dagegen s. allein Einnahmen durch Parkraumüberwachung, z.B. Stadt München)

    Auch Hr. Seehofer als damaliger Bundes-Verbraucherschutzminister hatte weitergehende Vorschläge gemacht, genauso wie seine Kollegen, die nun allesamt an anderer Stelle im bayerischen Kabinett sitzen (Aigner, Söder, Huber) und sich vermutlich insgeheim freuen, dass der Kelch an ihnen vorübergeht. Man weiß m.E. ganz genau um die Schwachstellen und taktiert vordergründig, um so über die Weihnachtszeit/den Jahreswechsel zu kommen. - Daneben halte ich die Besetzung der Amtsleitung LGL mit einem Humanmediziner angesichts des Aufgabenspektrums für falsch.
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