Politik

Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, warnt vor den neuen Rechten. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

07.11.2019

"Unvorstellbarer Ausbruch von Hass"

Synagogen werden verwüstet, Juden aus ihren Häusern gejagt - die Pogromnacht vom 1938 war eine Vorstufe zum Holocaust. Auch wenn dieser in seiner Grausamkeit beispiellos blieb, verleiht das Erstarken der Rechten dem Gedenken neue Aktualität

Jüdische Geschäfte wurden verwüstet, Synagogen gingen in Flammen auf, Juden wurden aus ihren Häusern verschleppt: Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 markierte den Beginn der organisierten Judenverfolgung im Nationalsozialismus. An vielen Orten Bayerns wird an diesem Samstag des 81. Jahrestages dieser Pogrome gedacht.

In München gibt es auf dem "Weg der Erinnerung" Stadtrundgänge entlang der ehemaligen Wohnadressen verfolgter und ermordeter jüdischer Bürger. Bei der Gedenkstunde im Alten Rathaus sprechen am 9. November (19.00 Uhr) Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch. Der Publizist Michel Friedman hält die Gedenkrede.

Bereits in dieser Woche beschäftigten sich in München Holocaust-Forscher bei der Tagung "Lessons & Legacies of the Holocaust" mit der Vergangenheit. Sie sehen die Erinnerungskultur an die Gräuel des Nationalsozialismus in Zeiten von zunehmendem Rechtspopulismus und Antisemitismus erschwert.

Knobloch warnt vor der "politischen Kraft des rechten Randes"

Charlotte Knobloch (87) warnte bei der Tagung vor Forderungen nach einem sogenannten "Schlussstrich". "Erinnern hat heute so gut wie nichts mehr mit Schuld zu tun - aber alles mit Verantwortung." Die Verpflichtung zur Verantwortung sei heute noch wichtiger als in den vergangenen Jahrzehnten. "Zwar sind wir - gerade hier in München - Gott sei Dank von Zuständen wie unter den Nationalsozialisten noch sehr weit entfernt." Dennoch erziele eine "politische Kraft des rechten Randes" Wahlsiege und greife die Demokratie in einem Maße an, wie sie in Deutschland nicht mehr für möglich gehalten wurde.

"Der Hass, den diese Gruppierung auf Minderheiten schürt - darunter natürlich auch und besonders die jüdische Gemeinschaft - lässt bei vielen Menschen in unserem Land eine Angst entstehen, von der ich gehofft hatte und eigentlich sicher gewesen war, dass wir sie nicht noch einmal würden sehen und erleben müssen", sagte Knobloch. Sie erlebte jene Progromnacht im Alter von sechs Jahren "als einen bis dahin unvorstellbaren Ausbruch von Hass und Gewalt".

Am Sonntag wird in München in einer öffentliche Lesung der Namen und Biographien am Gedenkstein der ehemaligen Hauptsynagoge an demokratische Vorbilder erinnert. Viele von ihnen bezahlten diesen Einsatz mit dem Verlust ihres Lebens, noch mehr mit dem Verlust der Freiheit und alle von ihnen mit dem Verlust der Heimat.

In der KZ-Gedenkstätte Dachau werden Enkel von Dachauer Holocaust-Opfern an die Ereignisse erinnern. Vielerorts sind Kranzniederlegungen geplant, etwa auf dem Jüdischen Friedhof in Nürnberg.

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 verwüsteten Nationalsozialisten etwa 7500 jüdische Geschäfte und Einrichtungen in Deutschland. Sie zündeten einen Großteil der rund 1200 Synagogen und Gebetshäuser an, demolierten jüdische Friedhöfe und stürmten Wohnungen. Wie viele Menschen starben, ist unklar. Das Nazi-Regime sprach von 91 toten Juden. Historiker gehen von mehr als 1300 Menschen aus, die in Folge des Pogroms ums Leben kamen. Mehr als 30 000 Juden wurden in Konzentrationslager verschleppt.

Der damalige Propagandaminister Joseph Goebbels sprach von einer "spontanen Welle des Volkszorns". Tatsächlich waren aber vor allem organisierte Sturmtrupps der SA und SS für die Exzesse verantwortlich. Bis zum Kriegsende 1945 kostete der Holocaust etwa sechs Millionen Juden das Leben. Die von den Nazis übernommene Bezeichnung "Reichskristallnacht", die auf die vielen Scherben in den Straßen anspielte, wird heute als verharmlosend abgelehnt. Da die ersten Angriffe bereits am 7. November begannen und teils bis zum 13. November dauerten, sprechen Historiker inzwischen auch von "Novemberpogrom/en".
(Sabine Dobel, dpa)

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