Politik

4 Prozent mehr Gehalt: Das klingt gut, doch oft frisst die kalte Progression das meiste davon auf. (Foto: Getty)

08.08.2014

Verflixte Gehaltszuwächse

Durchschnittsverdiener verzweifeln regelmäßig an der kalten Progression, die ihr Lohnplus auffrisst - Söder hat jetzt eine Idee

Zwei Milliarden Euro kostet die kalte Progression laut Steuerexperten jährlich den deutschen Steuerzahler. Bundeskanzlerin Angela Merkel plant nicht, daran etwas zu ändern. Heftigen Widerstand erhält sie aus Bayern: Finanzminister Markus Söder will den auslaufenden Solidarpakt nutzen, um die kalte Progression abzubauen.
Knapp neun Milliarden Euro Steuern sollen Bund, Kommunen und Länder laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln) zwischen 2010 und 2014 zusätzlich einnehmen – und zwar ohne eine Steuererhöhung. Was nach einem Taschenspieler-Trick des Finanzministers klingt, ist Realität und in der Volkswirtschaft als kalte Progression bekannt: „Durch die progressive Einkommenssteuer in Deutschland muss der Bürger jeden zusätzlich verdienten Euro mit einem höheren Satz versteuern“, sagt Rolf Kroker vom IW Köln. So ist die Netto-Gehaltserhöhung prozentual immer geringer als die Steigerung des Brutto-Gehalts. Wird durch die Brutto-Gehaltserhöhung lediglich die Inflation ausgeglichen, kann sich der Steuerzahler, nach Gehaltssteigerung und Berücksichtigung der Inflation, damit weniger leisten als im Vorjahr.
In Bayern kämpft vor allem Finanzminister Markus Söder für den Abbau der kalten Progression und damit für mehr Steuergerechtigkeit: „Ein Einstieg in den Abbau sollte noch in dieser Legislaturperiode erfolgen“, sagt Söder. Da die Einkommenssteuer eine Gemeinschaftssteuer ist und zwischen Bund, Ländern und Kommunen aufgeteilt wird, schätzt Söder die Kosten des Abbaus für Bayern auf 90 Millionen Euro jährlich. „Das wäre aus Sicht des Freistaates Bayern sicher schulterbar“, sagt er.

Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands ist in Gefahr


Auch der fränkische CSU-Bundestagsabgeordnete Hans Michelbach setzt sich für einen Abbau der kalten Progression ein: „Dieses Geld fehlt den Verbrauchern und den Unternehmen für die Finanzierung von Investitionen und zur Standortsicherung“, sagt Michelbach der Staatszeitung. Er sieht auch die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in Gefahr: „Der verstärkte Zugriff des Fiskus treibt die Lohnforderungen in Tarifverhandlungen in die Höhe – und damit auch die Arbeitskosten in Deutschland“, sagt Michelbach.
Sein Konzept: Er will eine Steuerbremse, die die Steuerkurve vom Grundfreibetrag bis zum Spitzensteuersatz in regelmäßigen Abständen an die Inflation, also den Kaufkraftverlust der Bürger, anpasst. Derzeit gibt es eine solche automatische Anpassung nur für den Grundfreibetrag, auf den man keine Steuern zahlen muss: Diese basiert auf mehreren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und soll das Existenzminimum der Bürger sichern.
Diese Anpassung und die progressive Ausprägung der Einkommenssteuer in Deutschland haben kuriose Effekte. Besonders stark betroffen sind nach Berechnungen der Bayerischen Staatszeitung Bürger mit mittlerem Einkommen: So verlor ein Alleinstehender mit einem Brutto-Jahresgehalt von 48 000 Euro innerhalb des letzten Jahres bei einem reinen Inflationsausgleich des Gehalts rund 16 Prozent seiner netto-Gehaltssteigerung an die kalte Progression. Bei einem Jahresverdienst von 150 000 Euro waren es nur sieben Prozent.

Die Landtags-SPD reagiert verhalten


Während sich SPD-Chef Sigmar Gabriel für den Abbau der kalten Progression einsetzt, stößt das Konzept bei der Bayern-SPD überraschenderweise auf ein geteiltes Echo. Prinzipiell sei man für den Abbau der kalten Progression, jedoch habe man Bedenken bei der Finanzierung: „Die Sätze in der Einkommenssteuer jährlich um zwei Prozent zu senken, um die Steuerzahler so um rund drei Milliarden Euro zu entlasten, scheint noch kein tragfähiges und vor allem noch kein durchgerechnetes Konzept zu sein“, sagt Volkmar Halbleib, finanzpolitischer Sprecher der SPD im bayerischen Landtag. Es dürften dabei vor allem keine Löcher in den Haushalten der Länder und der Kommunen entstehen, und auch die finanzpolitische Solidität des Bundeshaushalts müsse erhalten bleiben.
Der Bundestagsabgeordnete Michelbach sieht das aufgrund der derzeit sprudelnden Steuereinnahmen anders: „Eine Reihe von sozialpolitischen Maßnahmen wurde in den letzten Monaten kostenintensiv durchgesetzt. Dagegen ist die Abschaffung der kalten Progression ein wichtiger Beitrag für Wachstumsrückenwind und damit für weitere Steuermehreinnahmen“, sagt Michelbach. Finanzminister Söder hingegen hat eine andere Geldquelle aufgetan: Er will den ab 2019 auslaufenden Solidarpakt zur Hälfte in den Abbau der kalten Progression investieren. (Felix Scheidl)

Kommentare (2)

  1. Zitrone am 08.08.2014
    Da kann ich als Betroffener der CSU (?) Wo bleibt Seehofer? genausoviel Durchsetzungsfähigkeit wünschen, wie bei der MWSt Ermäßigung für die Hoteliers und die das Flugbenzin.

    Unsere Bundeskanzlerin hat Beliebtheitswerte in den Umfragen, genauso wie Herr Schäuble.

    Das deutsche Volk hat schon lange nicht mehr die Regierung, die es verdient, denn die Reichen werden reicher, die Armen bleiben arm und die mittleren Einkommen werden ausgepresst.

    Denk ich an Deutschland in der Nacht...

    Obwohl wir in der Hinsicht zufrieden sein können, dass wir bisher noch von Krieg und Terror verschont bleiben. Das entbindet die Regiierung und das Parlament aber nicht von der Plficht, für eine gerechtere Gesellschaft zu sorgen, sondern gerade dieser Friedenszustand ist die Chance.
  2. Johann am 08.08.2014
    Ich arbeite im öffentlichen Dienst, jegliche Lohnerhöhung ist schon weg
    bevor ich sie auf dem Konto habe!
    Bleibt nur noch übrig einen weiteren Job zu übernehmen
    um die Grundbedürfnisse wie Lebensmittel, Miete usw.
    zu sichern.
Die Frage der Woche
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.