Zwei Milliarden Euro kostet die kalte Progression laut Steuerexperten jährlich den deutschen Steuerzahler. Bundeskanzlerin Angela Merkel plant nicht, daran etwas zu ändern. Heftigen Widerstand erhält sie aus Bayern: Finanzminister Markus Söder will den auslaufenden Solidarpakt nutzen, um die kalte Progression abzubauen.
Knapp neun Milliarden Euro Steuern sollen Bund, Kommunen und Länder laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln) zwischen 2010 und 2014 zusätzlich einnehmen – und zwar ohne eine Steuererhöhung. Was nach einem Taschenspieler-Trick des Finanzministers klingt, ist Realität und in der Volkswirtschaft als kalte Progression bekannt: „Durch die progressive Einkommenssteuer in Deutschland muss der Bürger jeden zusätzlich verdienten Euro mit einem höheren Satz versteuern“, sagt Rolf Kroker vom IW Köln. So ist die Netto-Gehaltserhöhung prozentual immer geringer als die Steigerung des Brutto-Gehalts. Wird durch die Brutto-Gehaltserhöhung lediglich die Inflation ausgeglichen, kann sich der Steuerzahler, nach Gehaltssteigerung und Berücksichtigung der Inflation, damit weniger leisten als im Vorjahr.
In Bayern kämpft vor allem Finanzminister Markus Söder für den Abbau der kalten Progression und damit für mehr Steuergerechtigkeit: „Ein Einstieg in den Abbau sollte noch in dieser Legislaturperiode erfolgen“, sagt Söder. Da die Einkommenssteuer eine Gemeinschaftssteuer ist und zwischen Bund, Ländern und Kommunen aufgeteilt wird, schätzt Söder die Kosten des Abbaus für Bayern auf 90 Millionen Euro jährlich. „Das wäre aus Sicht des Freistaates Bayern sicher schulterbar“, sagt er.
Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands ist in Gefahr
Auch der fränkische CSU-Bundestagsabgeordnete Hans Michelbach setzt sich für einen Abbau der kalten Progression ein: „Dieses Geld fehlt den Verbrauchern und den Unternehmen für die Finanzierung von Investitionen und zur Standortsicherung“, sagt Michelbach der Staatszeitung. Er sieht auch die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in Gefahr: „Der verstärkte Zugriff des Fiskus treibt die Lohnforderungen in Tarifverhandlungen in die Höhe – und damit auch die Arbeitskosten in Deutschland“, sagt Michelbach.
Sein Konzept: Er will eine Steuerbremse, die die Steuerkurve vom Grundfreibetrag bis zum Spitzensteuersatz in regelmäßigen Abständen an die Inflation, also den Kaufkraftverlust der Bürger, anpasst. Derzeit gibt es eine solche automatische Anpassung nur für den Grundfreibetrag, auf den man keine Steuern zahlen muss: Diese basiert auf mehreren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und soll das Existenzminimum der Bürger sichern.
Diese Anpassung und die progressive Ausprägung der Einkommenssteuer in Deutschland haben kuriose Effekte. Besonders stark betroffen sind nach Berechnungen der Bayerischen Staatszeitung Bürger mit mittlerem Einkommen: So verlor ein Alleinstehender mit einem Brutto-Jahresgehalt von 48 000 Euro innerhalb des letzten Jahres bei einem reinen Inflationsausgleich des Gehalts rund 16 Prozent seiner netto-Gehaltssteigerung an die kalte Progression. Bei einem Jahresverdienst von 150 000 Euro waren es nur sieben Prozent.
Die Landtags-SPD reagiert verhalten
Während sich SPD-Chef Sigmar Gabriel für den Abbau der kalten Progression einsetzt, stößt das Konzept bei der Bayern-SPD überraschenderweise auf ein geteiltes Echo. Prinzipiell sei man für den Abbau der kalten Progression, jedoch habe man Bedenken bei der Finanzierung: „Die Sätze in der Einkommenssteuer jährlich um zwei Prozent zu senken, um die Steuerzahler so um rund drei Milliarden Euro zu entlasten, scheint noch kein tragfähiges und vor allem noch kein durchgerechnetes Konzept zu sein“, sagt Volkmar Halbleib, finanzpolitischer Sprecher der SPD im bayerischen Landtag. Es dürften dabei vor allem keine Löcher in den Haushalten der Länder und der Kommunen entstehen, und auch die finanzpolitische Solidität des Bundeshaushalts müsse erhalten bleiben.
Der Bundestagsabgeordnete Michelbach sieht das aufgrund der derzeit sprudelnden Steuereinnahmen anders: „Eine Reihe von sozialpolitischen Maßnahmen wurde in den letzten Monaten kostenintensiv durchgesetzt. Dagegen ist die Abschaffung der kalten Progression ein wichtiger Beitrag für Wachstumsrückenwind und damit für weitere Steuermehreinnahmen“, sagt Michelbach. Finanzminister Söder hingegen hat eine andere Geldquelle aufgetan: Er will den ab 2019 auslaufenden Solidarpakt zur Hälfte in den Abbau der kalten Progression investieren. (Felix Scheidl)
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