Politik

Raus aus der Uni – rein in den Betrieb: Arbeitgeber fragen oft sogar explizit nach Studienabbrechern. (Foto: Bilderbox)

28.03.2013

Vom Hörsaal in den Spitzenjob?

Angesichts des eklatanten Fachkräftemangels entdeckt die bayerische Wirtschaft ein attraktives Potenzial: Studienabbrecher

Angst habe sie gehabt, sagt Eva Bonsack. „Natürlich“. Im März vergangenen Jahres brach die 29-Jährige nach dreieinhalb Jahren ihr Biologiestudium an der Universität Würzburg ab. Der Auslöser: eine nicht bestandene Chemieprüfung. „Eine Studienabbrecherin – da ist immer ein negativer Beigeschmack dabei“, glaubte die Fränkin. Wer also würde ihr eine Chance geben? Doch lange musste Bonsack nicht suchen. Im September hat sie eine Ausbildung als Hörgeräteakustikerin begonnen. „Das ist der vielseitigste Beruf der Welt“, schwärmt sie heute. Da sei der Umgang mit Menschen, für den man psychologisches Geschick benötige, aber natürlich auch der technische Aspekt. Und hier könne sie auf Grundlagen aus dem Studium aufbauen, sagt Bonsack – „gerade was das Fach Physik angeht“.
Ein Viertel der bayerischen Studenten bricht ihr Studium vorzeitig ab. In den MINT-Fächern – kurz für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik – ist die Abbruchquote noch höher, in Informatik beträgt sie sogar 47 Prozent. Doch angesichts des eklatanten  Fachkräftemangels – rund 250 000 Fachkräfte fehlen in Bayern – haben auch halbfertige Akademiker mittlerweile gute Karriereaussichten. Das geht aus einer bundesweiten Befragung von Unternehmen durch die Gesellschaft für Innovationsforschung und Beratung (GIB) hervor. Über 20 Prozent der Betriebe haben bereits Abbrecher eingestellt – und dabei in der Mehrheit deren attraktives Fachkräftepotenzial entdeckt.
Gute Erfahrungen hat auch Gerald Zörner von der Hörgeräteakustik Frankonia in Kitzingen mit Studienabbrecherin Bonsack gemacht. „Aufgrund ihrer Qualifikation kann ich sie mit wesentlich mehr Aufgaben betrauen als einen jungen Auszubildenden, der frisch von der Schule kommt“, sagt Zörner der BSZ. „Problemlösungen geht sie auch einmal von der wissenschaftlichen Seite an.“
Gefunden haben sich Zörner und Bonsack über das Pilotprojekt „Studienanschluss statt -abbruch“, das  mit einer „Premium-Ausbildung“ im Handwerk um Studienabbrecher wirbt. Initiiert wurde es im vergangenen Jahr von der IHK Unterfranken und der Uni Würzburg, finanziert vom Europäischen Sozialfonds und dem bayerischen Sozialministerium.
Der besondere Anreiz für die ehemaligen Studenten: Bereits nach zwei Jahren können sie die Gesellenprüfung ablegen und dabei den technischen Fachwirt erwerben. Nach einem weiteren Jahr können sie die Meisterprüfung absolvieren und anschließend eine Führungsfunktion übernehmen. Teile der Meisterausbildung erfolgen bereits in den beiden Ausbildungsjahren – kostenlos.
Projektleiter Thomas Gauer von der Handelskammer hat im ersten Jahr bereits zehn ehemalige Studenten erfolgreich vermittelt. Im September geht es in die zweite Runde, und schon jetzt zeigt sich – sowohl bei Abbrechern als auch Unternehmen ist das Interesse groß. Gauers Vision: das Projekt bayern- und bundesweit auszubauen. „Die bayerische Wirtschaft kann auf das Potenzial der Studienabbrecher nicht verzichten“, sagt er.
In München ist das Interesse an Studienabbrechern ebenfalls groß. „Wir haben überhaupt kein Problem, Abbrecher in hochqualifizierten Ausbildungsberufen unterzubringen“, sagt Petra Sprenger, Teamleiterin in der Berufsberatung für akademische Berufe bei der Münchner Agentur für Arbeit. Im Gegenteil: Oft würde explizit nach Studienabbrechern gefragt. Sprenger rät Studienabbrechern ausdrücklich dazu, den Wechsel in die Wirtschaft mit einer Ausbildung zu kombinieren. „Das Abitur ersetzt keine Berufsausbildung.“ Auch wenn erst einmal ein attraktives Gehalt locke, am Ende zähle die Qualifikation.
Auch Erwin Huber (CSU), Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im Landtag, betont die Notwendigkeit eines anerkannten Abschlusses. Die GIB-Untersuchung gibt ihm recht. Auch nach Jahren seien Abbrecher beim Einkommen schlechter gestellt als Hochschulabsolventen bei vergleichbarer Tätigkeit, heißt es dort. Ein Meistertitel aber kann diesen Effekt minimieren.  (Angelika Kahl)

Kommentare (1)

  1. or am 04.04.2013
    Naja - alles in allem kann es doch wohl so schlimm nicht um die Fachkräfte stehen. Auch ich hab mich aus familiären Gründen nach dem Studienabschluss in ein neues - und völlig fremdes Fachgebiet eingearbeitet. Eigentlich völlig normal und in gewissen Bereichen auch durchaus üblich.

    Aber es scheint zwischenzeitlich nahezu unmöglich abseits des damals eingeschlagenen Weges einen vernünftigen, dem Studiengang entsprechenden Arbeitsplatz zu finden. Nach zwischenzeitlich über 100 Bewerbungen und genau so vielen Absagen liebäugle ich momentan eher mit einem neuen Arbeitsplatz im Ausland.

    Was solls... andererseits haben gerade wir Deutschen unsere Kapazitäten an fertigen Ingenieuren (ich denke jetzt gerade an einige Architekten) noch vor 15 bis 20 Jahren geradezu "verschenkt" und im Regen stehen lassen. Die fahren noch heute entweder in der Großstadt Taxi - oder quälen sich mit irgendwelchen eBay-drop-shops durchs Leben...
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