Politik

In den so genannten MINT-Fächern beendet nicht einmal jeder zweite das Studium. (Foto: dpa)

09.01.2015

Vom Studienabbrecher zum Meister

Jeder dritte Student bricht das Studium ab – wie Unis und Wirtschaft darauf reagieren

Für viele Abiturienten erweist sich der Gang an die Hochschule als falscher Weg. Rund ein Drittel der Bachelor-Studenten wirft das Studium hin. Um diese Abbrecher will sich das bayerische Wissenschaftsministerium jetzt verstärkt kümmern. „Ein Studienabbruch ist nicht per se negativ“, betont ein Sprecher von Ludwig Spaenle (CSU). Manche Jugendliche seien eben besser für eine Berufsausbildung geeignet. „’Abbrecher’ ist grundsätzlich das falsche Wording“, findet auch Frank Weth von der Handwerkskammer für Unterfranken. „Es handelt sich dabei um hochintelligente Menschen, die lediglich einmal falsch abgebogen sind.“

Für das Handwerk sind Studienabbrecher sehr interessant, vor allem wenn sie technische, mathematische oder naturwissenschaftliche Fächer studiert haben. Daher wurde in Unterfranken ein Programm ins Leben gerufen, das zu einer verkürzten Handwerksausbildung motivieren soll. In Zusammenarbeit mit der Universität Würzburg werden jetzt 27 Studienabbrecher in speziellen Berufsschulklassen und Betrieben zum Schreiner, Hörgeräte-Akustiker, Feinwerkmechaniker oder Elektroniker ausgebildet. Auch an der Universität Augsburg werden Studierende bei einem Abbruch von speziellen Mitarbeitern des Hochschulteams der Agentur für Arbeit auf die entsprechenden Handwerksberatungsstellen hingewiesen.

Wie viele Studienabbrecher es genau gibt, weiß niemand genau. Die letzte Erhebung stammt vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) aus dem Jahr 2008. Damals beendeten an Fachhochschulen 23 Prozent und an Universitäten 33 Prozent der Studierenden vorzeitig das Studium. Inzwischen schätzen Bildungspolitiker die Quote in Fächern wie Mathematik oder Psychologie sogar zum Teil auf über drei Viertel. Das Wissenschaftsministerium betont zwar, die Abbrecherzahlen im Freistaat seien im Bundesvergleich niedrig, genaue Angaben kann das Spaenle-Ressort allerdings ebenfalls nicht machen. Grund: In Deutschland werden derzeit längere Unterbrechungen, Studienfach- oder Hochschulwechsel und auch die Gründe nicht systematisch erfasst.

Schuld ist das deutsche Hochschulstatistikgesetz. Dieses legt fest, welche Daten erhoben werden – und das sind nicht viele. „Aktuell sind daher alle Statistiken nur Schätzungen, die sich bis zu 15 Prozent unterscheiden“, erläutert die wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Hochschulforschung Isabell Welpe. „Das Statistische Bundesamt hat Schwierigkeiten, die Erfolgsquoten zu messen, weil es keine Werte für die Bundesländer ermitteln kann“, ergänzt Ulrich Heublein vom DZHW. Hinzu kommt, dass jeder, der ein begonnenes Studium nicht in einer bestimmten Zeit abschließt, in der Statistik als Abbrecher erscheint.

Um das zu ändern, wünscht sich der Vorsitzende des Hochschulverbunds Hochschule Bayern, Michael Braun, eine während des gesamten Studiums gleichbleibende Matrikelnummer für jeden Studierenden. Sonst sei es für die Hochschulen schwierig, konkrete Gegenmaßnahmen zu planen und deren Wirkung zu überprüfen. Datenschützer bekommen beim Gedanken an eine länderübergreifende Identifikationsnummer allerdings Bauchschmerzen.

So versuchen die Universitäten, die hohen Abbrecherquoten im Blindflug zu senken. An der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) wurden zum Beispiel Eignungsfeststellungsverfahren eingeführt. „Durch den Test müssen sich die Studierenden vorher mit dem Fach beschäftigen und können die Inhalte besser einschätzen“, erklärt LMU-Vizepräsident Martin Wirsing. Dadurch liege die Schwundquote in den entsprechenden Fächern jetzt unter 30 Prozent. Zudem gebe es das Probestudium, den Tag der offenen Tür und die „Schnupperstunden“, die Studieninteressierten bei der Übergangsphase zwischen Schule und Hochschule helfen sollen.

Die Technische Universität München (TUM) setzt inzwischen ebenfalls bei 70 Prozent der Bachelorstudiengänge auf die Eignungsfeststellung. Dadurch liege die Abbrecherquote beispielsweise in Mathematik mit 13 Prozent deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 55 Prozent. Außerdem sei das Engagement in Schulen, das Personal bei der Studienberatung und das Orientierungsstudium verstärkt worden. „Die Studienbedingungen stellen kaum ein Abbruchmotiv dar“, ist TUM-Sprecher Ulrich Marsch überzeugt. Er sieht die Ursachen vielmehr in finanziellen, familiären und krankheitsbedingten Aspekten.

Für den Hochschulverbundsvorsitzenden Braun liegen die Gründe allerdings auch im System: „Die geringeren Abbruchzahlen an den Fachhochschulen lassen vermuten, dass die stärkere Strukturierung dieser Studiengänge bei gleichzeitig kleineren Gruppengrößen mit direktem Praxisbezug und unmittelbarem Kontakt zu den Professoren sowie die soziale Einbindung in Studiengruppen einen Schritt in die richtige Richtung darstellt“, unterstreicht er. Während des Studiums sollten Lerngruppen und Tutorien angeboten werden und über die Optimierung der Didaktik hin zu Flexibilisierung des Lerntempos und der Organisation zusätzlicher Wiederholungsprüfungen nachgedacht werden.

Die hochschulpolitische Sprecherin der Landtags-SPD, Isabell Zacharias, fordert, die unterschiedlichen Konzepte der Universitäten und Fachhochschulen zu vergleichen, um die besten Strategien staatlich zu finanzieren. „Das Engagement, die Abbrecherquote zu senken, muss nämlich bisher von den Hochschulen aus eigener Tasche bezahlt werden“, verdeutlicht die Abgeordnete. Für sie ist die chronische Unterfinanzierung der bayerischen Hochschulen schuld an der hohen Abbrecherquote. Auch die Wirtschaft mahnt die Staatsregierung zur Eile: „Wir haben seit 2008 viel Geld investiert, um Maßnahmen gegen Studienabbrüche zu erproben“, erklärt Christof Prechtl von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. Aber ohne Zahlen sei kein Qualitätsmanagement möglich.

An der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film übrigenskennt man solche Probleme nicht. „Die Abbrecherquote bei uns“, berichtet Hochschulsprecherin Jette Beyer, „tendiert erfreulicherweise gen Null.“ (David Lohmann)

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