Jan Golch sitzt am Flügel, spielt ein paar Noten, geht zum Computer, auf dem Bildschirm sieht er seine Studierenden. Sie sprechen kurz über das eben Gespielte, Golch eilt zurück zum Flügel. Auf diese Weise geht es hin und her. So schildert der Dozent der Musikwissenschaft seine Lehre im nun zu Ende gehenden Sommersemester an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München.
Hörsäle und Seminarräume blieben im Sommer an Universitäten und Hochschulen im Freistaat fast komplett leer. Das Studium - verlagert ins Homeoffice und unzählige WG-Zimmer. Während die Hochschulen ein erstes Fazit zum Sommersemester unter Corona-Bedingungen ziehen, zeichnet sich ab: So schnell wird es kein Zurück zur flächendeckenden Präsenzlehre geben.
"Das kommende Wintersemester wird hauptsächlich digital ablaufen", sagt etwa Oliver Jahraus, Vizepräsident für den Bereich Studium der LMU. Bayerns Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) sagt, er wolle, soweit es das Infektionsgeschehen erlaube, wieder mehr Präsenzbetrieb ermöglichen.
Bis zu 200 Studierende sollen deshalb ab Herbst wieder vor Ort an Lehrveranstaltungen teilnehmen dürfen, wie Sibler am Mittwoch in München sagte. Voraussetzung sei ein Mindestabstand von 1,5 Metern während der Veranstaltung. Wo dieser nicht eingehalten werden kann, etwa in den Gebäudegängen, sei ein Mund-Nasen-Schutz verbindlich. Im Sommer waren lediglich Seminare mit bis zu 30 Teilnehmern erlaubt.
An der LMU wird es Präsenzlehre ab Herbst hauptsächlich für Medizinstudierende und in Laboren geben. Dennoch möchte die Uni prüfen, ob sie unter Einhaltung der Corona-Sicherheitsmaßnahmen mehr Präsenzlehre ermöglichen kann. Erste Priorität habe bei den Planungen stets die Gesundheit aller.
Besonderes Augenmerk liegt zudem auf den Erstsemestern. Wie soll der Start an einer Uni gelingen, die man nicht betreten darf? Hier könnte die nun vorgestellte Regelung der Staatsregierung zumindest für kleinere Gruppen Einführungsveranstaltungen vor Ort erlauben.
Doch der Druck bei den noch offenen Fragen ist an der LMU wie an allen anderen Hochschulen enorm. "Zum einen sind viele Faktoren noch unklar, zum anderen fragen uns die Studierenden natürlich, wie es weiter geht", sagt Jahraus. Denn eines sei sicher: Auch im Wintersemester werde es noch deutliche Einschränkungen in der Präsenzlehre geben. "Wurde im Nachgang der Bologna-Reform noch die Anwesenheitspflicht kritisiert, ist es nun vielmehr so, dass Studierende ein Anwesenheitsrecht einfordern", sagt Jahraus.
Musikwissenschaftsdozent Golch ist insgesamt zufrieden mit der Lehre im Sommer. Besonders Seminare hätten sich gut ins Digitale übertragen lassen. In kleinen Gruppen sei es auch am Bildschirm möglich, sich zum Lernen zusammenzufinden. "Wenn das nicht geklappt hätte, wäre das Semester ins Wasser gefallen", ist Golch überzeugt.
Andere Lehrformen liefen dagegen ins Leere. "Vorlesungen über 90 Minuten funktionieren online nicht." Da reiche oftmals die Aufmerksamkeitsspanne der Studierenden nicht aus, sagt Golch. Zumindest ein Kurs seines Fachs konnte im Sommer in Präsenzform stattfinden. Im Wintersemester sollen es nun mehrere sein.
"Anspruchsvolle digitale Lehre zu planen und durchzuführen, ist unfassbar viel Arbeit"
Auch Minister Sibler zieht insgesamt ein positives Fazit des Sommersemesters. Es sei gelungen, über 90 Prozent der Lehre aufrechtzuerhalten. Doch in welchem Umfang die Lehre künftig an den Hochschulen stattfinden wird, hängt ganz von der Entwicklung der Pandemie ab.
Dozent Golch stellt sich darauf ein, dass er die meisten seiner Studierenden weiter nur am Bildschirm sehen wird. Den Aufwand dafür scheut er nicht. Obwohl er sagt: "Anspruchsvolle digitale Lehre zu planen und durchzuführen, ist unfassbar viel Arbeit."
Dieser Punkt beschäftigt auch Vizepräsident Jahraus. Die LMU ist, zumindest in normalen Zeiten, die größte Präsenzuniversität des Landes. "Wir können gut mit digitaler Lehre umgehen, aber wir können und wollen keine reine digitale Uni werden", sagt Jahraus. Es gelte deshalb zu klären, wie die LMU auch in den neuen Medien qualitativ hochwertige Lehre für 50 000 Studierende garantieren könne.
Ebenfalls Probleme bereiten die Prüfungen. Diese waren laut Jahraus zuletzt noch nahezu flächendeckend in Präsenzform. Ein Grund: Die Satzungen der Studiengänge sehen Online-Prüfungen nicht vor, Rechtssicherheit gibt es so keine.
Zudem müssen die Hochschulen bei Online-Prüfungen einen Spagat zwischen Datenschutz und Wahrung der Privatsphäre meistern. Der Wissenschaftsminister sagte dazu, die Staatsregierung habe bereits eine Rechtsverordnung für die Durchführung "elektronischer Fernprüfungen" erarbeitet. In einem Modellversuch sollen nun Erfahrungen gesammelt werden.
Doch abseits solcher Probleme stellt sich für Vizepräsident Jahraus mit Blick in die Zukunft eine viel grundsätzlichere Frage. Wie kann die Qualität der Lehre in Zeiten von Corona langfristig sichergestellt werden? Hier habe die Diskussion unter den Unis und Hochschulen in Deutschland gerade erst begonnen. (Sebastian Schlenker, dpa)
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