Politik

Bauen auf der Wiese: Hier ein Beispiel aus München. (Foto: dpa)

19.09.2018

Von Brachen und Baulücken

Zusammenrücken wie in der U-Bahn: Für mehr Wohnungen opfern Städte Parks und Kleingärten, werden Baulücken gefüllt. Doch obwohl in vielen Städten Wohnungen fehlen, wächst vielerorts der Widerstand alteingesessener Bürger

Die Schmidstraße in Berlin-Mitte war ein typisches Plattenbau-Viertel. Nicht gerade hübsch waren die Zehngeschosser, aber mit viel Licht, Luft und Grün dazwischen - gut und gerne 70 Meter zum nächsten Block. Das ist vorbei. Seit einem Jahr stehen dazwischen neue Wohnblöcke. Die Mieter der fünstöckigen Häuser blicken von ihren Balkonen auf andere Blöcke, Grün gibt es nicht mehr viel.

So ist es in vielen großen Städten: Stadtplaner und Investoren suchen die letzten Quadratmeter für dringend benötigte Wohnungen. Bagger rücken an in Baulücken und auf Brachen. Kleingärten verschwinden, sogar Aldi und andere Handelsketten bauen nun Wohnungen auf ihren weitläufigen Grundstücken.

Es ist wie in der U-Bahn: Wird es voll, rückt man zusammen. "Nachverdichtung" heißt das Motto. "Es geht darum, alle Brachflächen, die innerstädtisch noch vorhanden sind, zu nutzen", sagt Michael Voigtländer, Immmobilienökonom beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW).

Ist das der Weg, bis 2021 rund 1,5 Millionen neue Wohnungen zu schaffen? Das hat sich die Bundesregierung vorgenommen. An diesem Donnerstag trifft sie im Kanzleramt mit der Immobilienwirtschaft zusammen, um eine konzertierte Aktion mit Ländern und Kommunen zu starten.

Ist Nachverdichtung wirklich die Lösung?

Denn in den Städten und Ballungsräumen wächst immer mehr Menschen die Miete über den Kopf. Im vergangenen Jahr stiegen die Angebotsmieten abermals um 4,5 Prozent, wie das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung ermittelte. In den sieben größten Städten finden Mieter kaum noch eine Wohnung für weniger als zehn Euro Kaltmiete pro Quadratmeter.

Das Bundesinstitut sieht bundesweit auf Brachen und Baulücken ein Potenzial von mindestens 120 000 Hektar Bauland - das entspricht viermal der Fläche Münchens. Ein Fünftel davon sei sofort aktivierbar, sofern die Städte überhaupt wüssten, welche Flächen in Frage kämen.

Harald Simons vom Forschungs- und Beratungsinstitut Empirica hat Zweifel. Die Eigentümer machten nicht mit - solange sie nicht die Finanznot dazu zwinge. Und auch aus Sicht des IW-Ökonomen Voigtländer reicht die Nachverdichtung nicht. "Es gibt nicht mehr viele Flächen und die Widerstände sind groß. Um jeden Kleingarten wird gekämpft."

Der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, der öffentliche Vermieter und Genossenschaften vertritt, plädiert deswegen dafür, Kommunen auf dem Land zu stärken und besser an die Städte anzubinden.

Neue Viertel auf der grünen Wiese

Voigtländer empfiehlt neue Stadtviertel auf der grünen Wiese - ohne die Fehler der Vergangenheit. Keine gleichförmigen Betonburgen mit schlechten Bus- und Bahnverbindungen. Wien sei ein gutes Beispiel: Auf einem ehemaligen Flugfeld nahe der österreichischen Hauptstadt entstehen Wohnungen für 20 000 Menschen, hauptsächlich städtische und geförderte.

Das Paradox: Obwohl die Mieten in Rekordhöhen gestiegen sind und Wohnungen in jeder größeren Stadt Mangelware sind, regt sich überall Widerstand der Bürger.

Die im Schnitt höchsten Mieten bundesweit zahlen die Münchner, Zehntausende Menschen in der bayerischen Landeshauptstadt suchen händeringend Wohnungen. Und gleichzeitig haben sich Dutzende Bürgerinitiativen gegen Neubauprojekte und die Nachverdichtung formiert. Denn viele eingesessene Münchner haben das Gefühl, dass ihre Stadt zu groß, zu voll, zu anonym geworden sei - sie würden das Wachstum der bayerischen Metropole am liebsten stoppen.

München 2017: 27 000 neue Arbeitsplätze, aber nur 8000 neue Wohnungen

"2017 wurden 8000 Wohnungen in München gebaut, und gleichzeitig sind 27 000 Arbeitsplätze entstanden", sagt Dirk Höpner, Sprecher des Bündnisses München Nord, einem Zusammenschluss mehrerer Bürgerinitiativen. "Das heißt, dass die neuen Wohnungen noch nicht einmal ausreichen, um den Bedarf zu decken, der durch die neuen Arbeitsplätze entstanden ist."

Befürchtungen, dass die eigene Stadt ihr Gesicht verliere, gibt es in vielen deutschen Städten. Und das behindert wiederum den Wohnungsbau. Gerade günstige Sozialwohnungen sind bei wohlhabenderen Nachbarn häufig unbeliebt. "Besonders groß ist der Widerstand oft bei Projekten im geförderten Wohnungsbau", heißt es beim Verband bayerischer Wohnungsunternehmen (VdW). Verbandsdirektor Hans Maier sagt: "Der Zusammenhalt der Stadtgesellschaft hat abgenommen." Wenn man in Zukunft ohne Zeitverzögerung bauen wolle, "muss man sich frühzeitig mit den Fragen der Bürgerbeteiligung auseinandersetzen".
(Burkhard Fraune und Carsten Hoefer, dpa)

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