Politik

Das Baugewerbe kritisiert die geplanten Einschnitte im bayerischen Doppelhaushalt 2011/12. (Foto: DAPD)

19.11.2010

Von Euphorie keine Spur

Kürzungen bei der Städtebauförderung fallen deutlich geringer aus – doch Kommunen und Bauwirtschaft bleiben pessimistisch

Es kommt nicht häufig vor, dass sich ein Minister ausdrücklich bei seinen Kritikern bedankt und sie lobt, mit dazu beigetragen zu haben, eine eigene Entscheidung zu revidieren. „Ich danke allen, die sich für die Städtebauförderung eingesetzt und sich auch hinter den Kulissen dafür starkgemacht haben.“ So ließ sich Bundesbauminister Peter Ramsauer (CSU) über die Pressestelle seines Hauses zitieren, nachdem der Haushaltsausschuss des Bundestages seine Pläne zur Beinahe-Halbierung der Städtebauförderung entschärft hatte. Von 535 Millionen Euro in diesem Jahr auf 305 Millionen im kommenden sollte das Programm ausgerechnet im 40. Jahr seines Bestehens heruntergefahren werden, jetzt bleiben immerhin 455 Millionen erhalten.
Nun hatte Ramsauer die Kürzung nicht aus freien Stücken vorgeschlagen, er wurde im Rahmen der ressortübergreifenden Sparanstrengungen von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) dazu gedrängt. Den lauten Aufschrei von den Kommunen und der Bauindustrie hat der Politprofi deshalb durchaus mit Wohlwollen registriert. Jetzt jedenfalls kann sich Ramsauer als Wohltäter profilieren, der die Städtebauförderung wieder „aufgestockt“ hat – ein ziemlicher Euphemismus bei einer realen Kürzung um 80 Millionen Euro.


Projekt „Soziale Stadt“ steht vielerorts vor dem Aus


Wie dem auch sei: Ramsauer sieht sich in der nun gefundenen Regelung als „verlässlicher Partner an der Seite von Ländern und Kommunen“. Zumal auch das CO2-Gebäudesanierungsprogramm weniger Abstriche erfährt als zunächst geplant.
Von Euphorie war bei den Betroffenen dennoch nichts zu spüren, eher von Erleichterung. Beim Deutschen Städtetag hieß es, das Schlimmste sei gerade noch abgewendet worden. Die Einschnitte blieben aber „für viele Städte in einer finanziell besonders schweren Zeit schmerzhaft“, so Hauptgeschäftsführer Stephan Articus. Bayerns Städtetagspräsident Hans Schaidinger (CSU) will sich erst äußern, wenn die genauen Auswirkungen auf den Freistaat feststehen.
Bei der bayerischen Bauindustrie verlautete, man sei mit einem blauen Auge davongekommen. Hauptgeschäftsführer Gerhard Hess erinnerte an die „Hebelwirkung“ der Städtebauförderung. Jeder Förder-Euro ziehe acht Euro an privaten und öffentlichen Investitionen nach sich. Für Bayern bedeute die geringer ausgefallene Kürzung 2011 ein Investitionsplus von 100 Millionen Euro.
Die mittelständische Landesvereinigung Bauwirtschaft Bayern lenkte den Blick derweil auf eine andere Baustelle: Die geplanten Einschnitte im bayerischen Doppelhaushalt 2011/12. „Ich warne vor einem Abwürgen der Baukonjunktur, wenn die Sparbeschlüsse für den bayerischen Doppelhaushalt wie vom Kabinett geplant wirklich umgesetzt werden“, erklärte Sprecher Hans Auracher.
Voll in der Kritik steht Ramsauer aber weiterhin wegen der Kürzung im Programm „Soziale Stadt“, mit dem innerstädtische Problemviertel aufgewertet werden sollen. Statt 95 Millionen Euro sollen dafür im nächsten Jahr nur noch bundesweit 28,5 Millionen zur Verfügung stehen.
„Schwarz-Gelb entzieht dem bürgerschaftlichen Engagement in Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf gnadenlos die Grundlage“, urteilte die oberfränkische SPD-Bundestagsabgeordnete Petra Ernstberger. In ihrer Heimat profitierten bisher vom industriellen Strukturwandel besonders betroffene Städte wie Hof oder Selb von dem Programm.
Genauso sieht das der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW). „Wer die finanziellen Grundlagen der sozialen Stadtentwicklung zerstört, handelt politisch unverantwortlich“, so GdW-Präsident Lutz Freitag. Er habe den Eindruck, dass die Regierungsfraktionen in Berlin „überhaupt nicht verstanden haben, worum es bei der sozialen Stadt geht“ – nämlich darum, die Abwärtsspirale in benachteiligten Stadtteilen aufzuhalten. Die Kosten zur Stabilisierung „gekippter Quartiere“ seien ungleich höher als die jetzt eingesparten Bundesmittel.
Grünen-Bundestagsabgeordnete Elisabeth Scharfenberg betonte, dass soziale Stadt eben mehr sei als die „Aneinanderreihung von Kaufhaus- und Fastfood-Ketten“.
Ramsauer hat die neue Protestwelle derweil offensiv aufgenommen und kündigte die Fortsetzung des aus dem europäischen Sozialfonds geförderten Bundesprogramms „Bildung, Wirtschaft, Arbeit im Quartier“ an. Darüber hinaus lasse er an Konzepten arbeiten, „die die Förderung in solchen Quartieren unter Einbeziehung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen stärker bündelt“.
Darauf setzt auch CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich, der schon länger hinterfragt, ob es sinnvoll sei, soziale Projekte aus dem Etat des Bauministeriums zu finanzieren. Er regte deshalb an, die „sinnvollen Projekte“ aus dem Programm Soziale Stadt künftig aus den Sozialhaushalten von Bund und Ländern zu bestreiten. Die Debatte dazu stehe aber erst am Anfang. Ob Ramsauer auch hier am Ende Gelegenheit hat, seine Kritiker zu loben, ist eher unwahrscheinlich. (Jürgen Umlauft)

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