Politik

Auch nett, so ein Haustier. Aber der Austausch mit Kolleg*innen – oder Betriebsratsmitgliedern – findet daheim eben nicht statt. (Foto: dpa/Nicolaus Armer)

26.02.2021

Wenn der Büro-Plausch ausfällt

Die Gewerkschaften verlieren wegen der Corona-Krise massiv Mitglieder – das liegt auch am Homeoffice

Für manche Wirtschaftsfachleute ist der coronabedingte Homeoffice-Boom eine große Erfolgsgeschichte. Etwa wegen der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wolfgang Schroeder vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und Politik warnt allerdings auch vor Gefahren. So deuteten langfristig angelegte Studien darauf hin, dass das Arbeiten im Homeoffice zu mehr Stress führen könne. Es drohe „eine fehlende Abgrenzung zwischen Arbeit und Privatleben und ein erhöhter Druck durch längere Arbeitszeiten“. Hinzu komme für viele Angestellte die Erwartung permanenter Erreichbarkeit.

Und auch gesellschaftspolitisch kann der Homeoffice-Trend Schroeder zufolge zu massiven Umwälzungen führen. „Er stellt die Gewerkschaften vor eine immense Herausforderung“, so der Politologe. Die Rekrutierung von Mitgliedern lebe schließlich „vom direkten Kontakt mit den Kollegen“. Gelinge es den Gewerkschaften nicht, gegenzusteuern, könne das Homeoffice für diese „ein weiterer Sargnagel sein“, so der Professor.

Bundesweit sank die Zahl der in den DGB-Gewerkschaften organisierten Angestellten im vergangenen Jahr um rund 85 000 auf 5,9 Millionen. Bei den jungen Mitgliedern war der Schwund noch weit dramatischer – bei der IG Metall lag er bei acht, bei der IG Bau sogar bei zehn Prozent. Der DGB Bayern hat noch keine Zahlen.Klar ist aber, dass es auch im Freistaat einen kräftigen Aderlass gab. So etwa bei der größten Einzelgewerkschaft, der IG Metall: Deren Mitgliederzahl sank in Bayern im vergangenen Jahr um rund 8000 auf etwas mehr als 372 000. Bei Verdi betrug das Minus 230 000, also rund 0,7 Prozent.

BMW und VW als Vorbilder

Ein Grund: Tausende Bayern verloren wegen der Corona-Krise ihre Jobs. Und um zu sparen, treten nicht wenige dann aus der Gewerkschaft aus. „Doch der zweite wichtige Grund ist die erschwerte oder teilweise gar nicht mögliche persönliche Ansprache der Beschäftigten in den Betrieben“, sagt ein Sprecher der IG Metall. Schließlich gewinne die Gewerkschaft ihre Mitglieder „vor allem im unmittelbaren persönlichen Kontakt“. Auch Verdi führt an, dass „es während der Shutdowns im Frühjahr und im Winter schwieriger war, Beschäftigte anzusprechen und als Mitglieder zu werben“. Bayerns DGB-Chef Matthias Jena sieht in der Pandemie und den vorgeschriebenen Kontakteinschränkungen „eine große Herausforderung“. Die CoronaKrise sei „ein Beschleuniger für bereits angestoßene Prozesse im Zuge der Digitalisierung“, sagt er.

Auch Betriebsratsmitglieder haben es derzeit schwer, Kolleg*innen zu erreichen. Bayerns IG-Metall-Chef Johann Horn sagt: „Gewerkschaften und Betriebsräte brauchen auch einen virtuellen Zugang zu den Beschäftigten.“ Jahrzehntelang habe man für ein Recht auf Zugang in die Betriebe gekämpft. „Und jetzt verweigern uns viele Arbeitgeber den digitalen Zugang zu Beschäftigten im Homeoffice.“ Der Gewerkschaft zufolge würden manche Firmen den Betriebsratsmitgliedern etwa die Herausgabe von E-Mail-Adressen oder Telefonnummern verweigern.

Dabei ist eine starke Arbeitnehmervertretung so nötig wie lange nicht. Das Klima in vielen Firmen ist angesichts sinkender Gewinne, Kurzarbeit und Stellenabbau rau. Viele Beschäftigte buckeln aus Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes daheim weit mehr als eigentlich zulässig. Doch insbesondere in Firmen ohne Betriebsrat fehlten oft klare Regelungen für das Homeoffice, so Experte Schroeder.

In Konzernen mit starken Gewerkschaften wird dagegen oft pingelig darauf geachtet, dass das Personal abends nicht die Firma mit der Familie verwechselt – BMW etwa rechnet Dienstmails in der Freizeit aufs Stundenkonto. Volkswagen knipst den Mailserver abends aus. „Die Arbeitnehmer, bei denen Homeoffice über Betriebsvereinbarungen geregelt ist, sehen ihre Lage deutlich weniger belastend“, weiß Schroeder.

Der Forscher rechnet jedoch damit, dass die Zahl der Angestellten im Homeoffice auch nach Corona höher bleiben werde als vor der Krise. DGB-Boss Jena fordert deshalb, den Gewerkschaften ein digitales Zugangsrecht einzuräumen, „etwa über das Firmen-Intranet oder virtuelle Schwarze Bretter“. Greift die Politik nicht ein, sehen Gewerkschaften düstere Zeiten am Horizont. (Tobias Lill)

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