Politik

Durch einen Bombenanschlag am späten Abend des 26.09.1980 auf dem Münchner Oktoberfest kamen dreizehn Menschen ums Leben. (Foto: dpa)

23.12.2014

Wirrwarr um Münchner Wiesn-Attentat

Eine Bombe, 13 Tote und über 200 Verletzte - wer hat Interesse an einer solchen Tat? Es gibt zahlreiche Ungereimtheiten. Und Hinweise auf mögliche Ermittlungspannen

Ein rechtsradikaler Waffensammler, der sich in seiner Zelle erhängt. Eine abgerissene Hand, deren Verbleib nicht ganz sicher ist. Amtlicherseits vernichtete Beweismittel. Um das Münchner Oktoberfest-Attentat von 1980 mäandert ein Wirrwarr von einzelnen Fakten, mysteriösen Vorkommnissen, Spekulationen. Manches kann Zufall sein. Aber manches lässt auch Ermittlungspannen befürchten. Nach fast 34 Jahren werden nun die Akten geöffnet. Die Bundesanwaltschaft ermittelt neu. Mit einem raschen Ergebnis ist nicht rechnen.
Dabei dürfte neben der Frage nach weiteren Tätern und deren Motiv eine weitere wichtig sein: Haben die Ermittler damals versagt und - wie bei den Morden des Nationalsozialistischen Untergrunds - neonazistische Hintergründe nicht ausreichend geprüft, wenn nicht in diesem Fall gar verschleiert? Von Vertuschungen spricht zumindest der Opferanwalt Werner Dietrich, der die Ermittlungen nun wieder ins Rollen brachte. Auch die Recherchen des BR-Journalisten Ulrich Chaussy befeuern solche Vermutungen.  
Am 26. September 1980 um 22.19 Uhr detoniert kurz vor der Bundestagswahl in einem Abfalleimer am Haupteingang zum Oktoberfest die Bombe. Sie reißt ein Dutzend Volksfestbesucher in den Tod, mehr als 200 werden verletzt. 1,39 Kilo TNT, Nägel und Schrauben steigern die verheerende Wirkung. Auch der Attentäter Gundolf Köhler stirbt. Woher kam das TNT? Hat Köhler, der zeitweise der dann verbotenen Wehrsportgruppe Hoffmann angehörte, die Bombe allein gebastelt?  
Eine scheinbar spektakuläre Aussage gab es dazu im Jahr 2013: Ein Mann behauptete, sein Vater sei als BND-Agent an der Beschaffung des Sprengstoffs beteiligt gewesen. Die Bundesanwaltschaft prüfte, die Angaben führten aber nicht weiter.  

1700 Zeugen wurden vernommen

Nicht, dass die Ermittler untätig waren. Sie verfolgten nach dem Anschlag 850 Spuren, vernahmen 1700 Zeugen und ließen gut 100 Sachverständigengutachten erstellen. Auch danach ging Karlsruhe neuen Hinweisen nach. Stasiunterlagen wurden gesichtet, Ex-MfS-Offiziere befragt und Verbindungen zu internationalen Geheimdiensten geprüft. Der Generalbundesanwalt sei zuletzt einem Hinweis auf eine vermeintliche Verstrickung einer geheimen Einheit eines Nachrichtendienstes nachgegangen, erläuterte ein Sprecher kürzlich auf Anfrage. Tragfähige neue Ansätze hätten sich aber nicht ergeben.  
Eine andere These: Ein rechtsradikaler Waffensammler und möglicher Zeuge könnte Verbindungen zum Verfassungsschutz gehabt haben. Kürzlich stellten die Bundestags-Grünen dazu abermals eine Anfrage. Sie vermuten, dass der Waffensammler, der seinerzeit 33 Waffen- und Sprengstoffdepots angelegt hatte, als V-Mann diente. Könnte er ein Hintermann gewesen sein? Dieser Mann beging 1981 in der Zelle Selbstmord - am Tag bevor er befragt werden sollte.
Für Empörung sorgte vor Jahren die Nachricht von der Vernichtung amtlicher Beweismittel. Zigarettenkippen unterschiedlicher Marken aus Köhlers Auto wurden 1981 nach einer serologischen Untersuchung vernichtet; die restlichen Asservate wie Splitter 1997. Nicht mehr vorhanden ist auch ein Teil einer abgerissenen Hand, deren Fingerabdruck sich auf Dingen in Köhlers Wohnung fand. Der Verbleib der Hand sei nicht mit letzter Sicherheit zu rekonstruieren, sagt die Bundesanwaltschaft. "Nicht zuletzt aufgrund von Fingerspuren und des Zerstörungsgrades des Handfragments steht aber fest, dass es sich um die Hand handelte, die Gundolf Köhler bei der Explosion abgerissen worden war." Das schaurige Detail sorgte auch für Mythenbildung.
Zeugen wollen mit Köhler andere Männer beobachtet haben: Im Auto gestikulierend auf der Fahrt nach München. Und am Tatort. Ein Homosexueller schaut sich Köhler ganz genau an - der 21-jährige Student gefällt ihm. Er berichtet von einem zweiten Mann außer Köhler.  

Die Beobachtungen einer Frau bleiben ungeprüft

Trotz zahlreicher Ungereimtheiten zu diesem schwersten Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik endeten die Ermittlungen der Sonderkommission des bayerischen Landeskriminalamts faktisch nach nur sechs Wochen, sagen Dietrich und der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Stroebele. Die Kriminalisten kamen demnach in ihrem Schlussbericht vom Mai 1981 zu dem Ergebnis: Köhler beging die Tat alleine, aus privaten Motiven. Damit stellte die Bundesanwaltschaft Ende 1982 die Ermittlungen ein.  
Ungeprüft blieben damals auch Beobachtungen einer Frau, die nun zur Wiederaufnahme der Ermittlungen beitrugen. Sie hatte am Tag nach dem Attentat im Spind eines Rechtsradikalen Flugblätter gefunden, die Köhler als Helden stilisieren - obwohl zu dem Zeitpunkt sein Name noch nicht öffentlich bekannt war. Damals wurde die Frau laut Dietrich schon bei der Polizei abgewimmelt. Jetzt gilt sie als wesentliche Zeugin.
Die Opfer hoffen nun auf Aufklärung. Ein damals Verletzter hat laut "Süddeutscher Zeitung" angeboten, sich Splitter aus der Schulter operieren zu lassen - als mögliches Beweismittel. (Sabine Dobel, dpa)

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