Politik

In Gadheim bei Würzburg liegt bald der Mittelpunkt der EU - wenn der Brexit nicht doch noch ausfällt. (Foto: Weiser Martin/CTK/dpa)

08.04.2019

Wo bald die EU-Flagge weht - oder auch nicht

Ein kleines Dorf bei Würzburg soll bald in der Mitte der EU liegen - zumindest geografisch. Die Bewohner hoffen auf Touristenströme. Doch es bleiben viele Ungewissheiten

Wenn Großbritannien die Europäische Union verlässt, dann rückt ein Acker in Unterfranken buchstäblich ins Zentrum der EU. Denn mit dem Brexit verlagert sich der geografische Mittelpunkt der EU auf das Feld in dem 80-Einwohner-Dorf Gadheim bei Würzburg. Bisher liegt er im Ort Westerngrund bei Aschaffenburg.

Drei Flaggenmasten ragen in Gadheim schon in den Himmel, aber bislang weht noch kein einziges Banner im Wind. Die Fahnen sind noch nicht einmal bestellt. Denn solange der Brexit ungewiss ist, solange wollen sich auch die Menschen in Gadheim nicht so recht festlegen.

Die Gadheimer hoffen zwar auf internationale Besucher, wenn es so weit ist. Die Vorbereitungen laufen aber so schleppend wie der Brexit selbst. Bisher haben sie nur einen kleinen Platz gepflastert und die Flaggenmasten aufgestellt. Sonst nichts. Blumen, Infotafeln, Flyer - vieles ist angedacht, aber zunächst auf Eis gelegt. Auch eine Einweihungsfeier ist noch offen. "Es macht keinen Sinn zu planen, solange in London nichts offiziell feststeht", sagt Bürgermeister Jürgen Götz (CSU).

Söder hat schon seinen Besuch angekündigt

Bisher führte Gadheim ein Schattendasein. Das Dorf gehört zum Würzburger Vorort Veitshöchheim. Und selbst das kennen wenige. Von Faschingsfreunden abgesehen, denn aus Veitshöchheim wird jedes Jahr die "Fastnacht in Franken" des Bayerischen Rundfunks übertragen. Doch mit den EU-Flaggen könnte es bald eine zweite Attraktion geben.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) habe schon zugesagt, nach Gadheim zu kommen, wenn es so weit ist, sagt Bürgermeister Götz. Doch er betont das "Wenn". Als Europäer würde er sich sogar freuen, wenn der Brexit flachfiele. "Wenn die Briten doch noch zur Einsicht kommen, machen wir aus dem Platz ein Mahnmal", sagt Götz. Als Symbol dafür, dass die Fliehkräfte in der EU überhandnehmen könnten.

Anfangs waren die Gadheimer auf jeden Fall erfreut. 2017 feixten sie in einem Youtube-Video, dass nun alle Banken aus London ins "wahre Zentrum" der EU umziehen könnten. Genug Platz habe man ja. Anfragen von Touristen gibt es inzwischen. Auch Martin Schulz (SPD) und die Arbeitsgruppe der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag waren nach dem Brexit-Referendum im Jahr 2016 schon zu Besuch.
Berechnet wird der Mittelpunkt der EU vom Nationalen Geografischen Institut Frankreichs (IGN). Dafür wenden die französischen Experten eine in den 1980er Jahren entwickelte Methode an, bei der anhand der EU-Grenzen der sogenannte Flächenschwerpunkt berechnet wird. Würde man die Konturen der Fläche auf eine Platte übertragen, sie aussägen und an einer Schnur aufhängen, wäre diese Platte im berechneten Mittelpunkt perfekt ausbalanciert.

Die Bewohner setzen auf den Tourismus

Dass sich ein solcher EU-Mittelpunkt touristisch vermarkten lässt, wissen auch die Menschen im Ort Westerngrund bei Aschaffenburg. Denn dort - nur 70 Kilometer von Gadheim entfernt - befindet sich bislang der geografische Mittelpunkt. Westerngrund hat ihn sogar gleich zweimal zugesprochen bekommen: Erst 2013 durch den EU-Beitritt Kroatiens; und als kurz darauf die französische Insel Mayotte zur EU kam. Die Mitte der EU verschob sich nur um 500 Meter.

Auch Westerngrund ist an sich unscheinbar, es hat keine 2000 Einwohner. Doch Hinweisschilder schmücken den Ort: Mittelpunkt der EU. Am besagten Punkt selbst wehen die Flaggen von Franken, Bayern, Deutschland und Europa. Der Spessartbund hat einen Wanderweg angelegt, Infotafeln über EU-Staaten säumen den Weg. "Unser Gästebuch zeigt, dass Menschen aus aller Welt zu uns kommen", sagt Bürgermeisterin Brigitte Heim (Wählergemeinschaft WIR). Aus 40 Nationen mindestens. Die fünf Gaststätten im Ort profitierten davon.

Wenn der Brexit vollzogen ist, wollen sie auf die Schilder einfach "ehemaliger" oder "von 2013 bis 2019" schreiben, sagt Heim. Dann wird aus der Attraktion EU-Mittelpunkt der Ex-EU-Mittelpunkt. Doch auch in Westerngrund hält man die Finger zunächst still und wartet ab.

Im hessischen Gelnhausen kennen die Bewohner den Trubel. EU-Mittelpunkt - das waren sie auch mal zwischen 2007 und 2013. Auch dort lag er auf einem Acker. Dann kam Kroatien, und der Titel verlagerte sich 15 Kilometer weiter über die hessisch-bayerische Grenze nach Westerngrund. EU-Brot, T-Shirts, ein Maskottchen, Feste, "Tanken im Mittelpunkt der EU" - das alles gab es in Gelnhausen. Und es sei nett gewesen, berichten die Bewohner. Aber mehr nicht. Und ohne gehe es genauso gut weiter.

So bleibt auch Bürgermeister Jürgen Götz in Gadheim trotz Hoffnung auf den Tourismus gelassen. Die Flaggen kaufen, eine Feier planen und dann fällt der Brexit aus: falsch. Nichts tun und der Brexit kommt: auch falsch. Wie man es mache, mache man es falsch, meint er. Das eint die Gadheimer wohl gerade mit den Briten.
(Vanessa Köneke, dpa)

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