Unser Bayern

Er ist wieder da! Die Wiederansiedlung in Burghausen ist geglückt. (Foto: Waldrappteam)

21.02.2014

Bizarrer Greis

Der Waldrapp hat in Bayern wieder ein Zuhause bekommen. In Burghausen wird er vielleicht bald auf der Burg nisten

Klassische Schönheiten sind Hella und Jazu nicht gerade. Ihr Kopf ist vorne kahl, hinten hat er einen kümmerlichen Federbüschel. Die großen schwarzen Vögel aus der Familie der Ibisse und Löffler mit dem leicht grünlich-metallischen Schimmer und dem langen rötlichen Schnabel scheinen aus einer anderen Zeit zu stammen – aus einer Zeit, als man hohe Haaransätze noch als schick empfand. Hella und Jazu sind Waldrappe (lat. Geronticus eremita). Ihrem Gattungsnamen „Geronticus" nach nennt man sie – beinahe abwertend – die Greisenhaften. Allen Äußerlichkeiten zum Trotz – die bizarren Vögel wirken faszinierend. Ist es ihr majestätischer Gang oder sind es ihre Rufe, die gefallen? Bis vor kurzem hatten Vogelfreunde – von zoologischen Gärten abgesehen – bei uns keine Gelegenheit, Waldrappe unmittelbar zu beobachten. Denn jahrhundertelang galten sie in Mitteleuropa als ausgestorben. Bis in die 1990er Jahre musste man schon eine Reise nach Nordafrika oder in den Vorderen Orient unternehmen, um ihnen oder ihren Verwandten wie dem „Heiligen Ibis" in freier Wildbahn zu begegnen. In Marokko gab es noch Vorkommen, außerdem bestand eine kleine Waldrapp-Kolonie in Syrien. Auch der „Heilige Ibis" – im alten Ägypten als irdische Inkarnation des Mondgottes Thot verehrt – ist nur noch im südlichen Afrika anzutreffen. Seit einiger Zeit haben nun die Waldrappe bei uns eine neue Chance bekommen. Denn seit rund zehn Jahren bemüht sich eine internationale Gruppe von Biologen, die sich unter der Leitung von Johannes Fritz im sogenannten Waldrappteam zusammengefunden haben, die Art in Europa wieder anzusiedeln. Der Schwerpunkt des Artenschutzprojekts liegt in Österreich. Aber auch in Bayern sollen die Vögel wieder heimisch werden. Direkt an der deutsch-österreichischen Grenze, in Burghausen an der Salzach. Diese Ortswahl kommt nicht von ungefähr. Vor 500 Jahren war der Waldrapp an Salzach, Inn oder Alz beinahe ein alltäglicher Anblick. Schriftlichen Belegen zufolge siedelten die Vögel am Mönchsberg in Salzburg und in der Nähe von Kloster Baumburg an der Alz. Auch in Burghausen soll es sie gegeben haben. Das legt zumindest die Zeichnung des herzoglichen Zöllners Hans Heglinger von 1538 nahe, die Salzschiffe vor der Burghausener Stadtmauer und einigen Häusern zeigt – durchs Bild fliegen drei große schwarze Vögel, den Waldrappen sehr ähnlich. Auch auf anderen Kunstwerken lassen sich Waldrappe wiederfinden. So ist auf dem Altarbild „Christus am Ölberg", das der Landshuter Hofkünstler und Meister von Attel Sigmund Gleismüller im ausgehenden 15. Jahrhundert für das Kloster Rottenbuch angefertigt hat, ein Waldrapp zu sehen, pickend auf einer mit Blumen übersäten Wiese. Bezeichnenderweise befindet sich dieses Gemälde, das im Besitz der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen ist, in der Burghausener Burg – nicht weit entfernt vom Gelände, wo heute Waldrappe zu beobachten sind. Und auf einem anderen Altarbild aus der Zeit um 1490, das aus der Stadtpfarrkirche in Wasserburg am Inn stammt und die beiden heiligen Frauen Katharina und Barbara zeigt, ist ebenfalls ein Waldrapp dargestellt. Dieses Altargemälde ist im Bayerischen Nationalmuseum in München zu sehen. Möglicherweise standen Waldrappe auch Pate für den „Uttenschwalb", den Wappenvogel der Grafen von Closen, die im niederbayerischen Rottal ansässig waren. Einer Sage nach hatte sich Siguna, die Urmutter der Familie, nach einem Streit mit ihrem Vater in den Wald zurückgezogen, wo sie sich mit einem Vogel anfreundete, der schließlich nicht mehr von ihr wich. Zum ewigen Angedenken übernahm Sigunas Sohn den seltsamen Vogel später ins Familienwappen. Dass jener Vogel ein „Klaus"-rapp, so eine früher gebräuchliche Bezeichnung des Waldrapp, war und er zum Wappenvogel der „Closen" wurde, klingt ganz plausibel. Außerdem passt die Beschreibung, die der Geschichtsschreiber Wiguläus Hundt im 16. Jahrhundert über den Wappenvogel, der „umb die Tonaw" vorkäme, verfasste: „In ein Raigers Grösse, rot Füß und Schnabel, auch ein rot Fleck an der Brust, sonst schwarz". Allerdings stimmt das in einem Punkt nicht: Dem Waldrapp fehlt der rote Fleck auf der Brust, anstelledessen sind an den Flügeln große purpurfarbene Spiegel ausgebildet. Zum Vorkommen des Waldrapp in Bayern gibt es jedoch noch andere Quellen. Der weitgereiste und geschätzte Naturkundler Valerius Cordus berichtete im 16. Jahrhundert von Vögeln, die an Felswänden und Steinbrüchen an der Donau bei Kelheim und Passau brüteten. Und in dem vom Züricher Arzt und Naturgelehrten Conrad Gessner 1555 erstmals herausgegebenen Vogelbuch De avium natura, das die Vogelwelt der frühen Neuzeit zusammenfasste, ist der Waldrapp ebenfalls mit Text und Bild vertreten. Gessner hatte von der Schweiz aus sämtliche Informationen über die Vogelwelt und überhaupt über die gesamte damals bekannte Fauna und Flora in Mitteleuropa zusammengetragen. Über die Brutplätze des Waldrapp, den er als „Waldraben" (lat. Corvus sylvaticus) bezeichnete, schrieb Gessner, dass die Vögel „gewöhnlich in waldigen, gebirgigen und verlassenen Gegenden" nisteten. Ihre Nester lägen in den Engstellen zwischen zwei Bergen, den Clausen. „Dem Vernehmen nach" ernährten sich die Tiere „von Heuschrecken, Grillen, Fischlein und Fröschlein". Das europäische Verbreitungsgebiet der Waldrappe reichte damals von Serbien und Ungarn im Südosten bis zum Oberrheingebiet bei Breisach im Westen. Dazu der gesamte Alpen- und Voralpenraum. So manche Geländenamen mit der Wortsilbe „rapp" , wie es sie im Isarwinkel und Loisachtal, im Allgäu oder in der Schweiz gibt, verweisen möglicherweise auf die Vögel. Die nördlichsten Vorkommen lagen in Thüringen, vielleicht auch in Sachsen, die südlichsten am Mittelmeer bei Nizza. In seiner Beschreibung erwähnte Conrad Gessner auch, dass Waldrappe „als Speise gelobt" würden. Wegen des „süßen Fleisches und der zarten Knochen" wären besonders die Jungvögel ein Leckerbissen. Diese Eigenschaften sollten den Vögeln in der Folgezeit zum Verhängnis werden und sind wohl für ihr Verschwinden im Laufe der Jahrhunderte in Mitteleuropa mitverantwortlich. Das „New" Kochbuch aus dem Jahre 1581 beispielsweise, verfasst vom Mundkoch des Mainzer Kurfürsten Marx Rumpolt, weist fünf Rezepte auf, den „Drappen", wie Rumpolt ihn nennt, zuzubereiten. „Mit einer braunen Brüh warm abgebraten", mit „Limoniensafft" als Gehack bereitet oder auch auf Ungarische Art. Die Drappenpastete mit „aufrichtigem Kopf und Flügel", der mit Negelein und Zimmet, also mit Nelken und Zimt, gespickt ist, erscheint aus heutiger Sicht doch sehr gewöhnungsbedürftig. Dennoch sind die Rezepte nicht außergewöhnlich – früher kamen alle möglichen Vögel auf den Teller. Schaut man sich Rumpolts Kochbuch durch, waren dies neben dem auch heute noch üblichen Nutzgeflügel sogar Auer- und Birkhühner, Pfaue, Amseln bis hin zu Lerchen, Nachtigallen und für den „kleinen Hunger" Zaunkönige. Schauessen mit kunstvoll dekorierten Vogelköpfen waren wohl den hochgestellten Personen aus Adel und Klerus vorbehalten. Das einfache Volk hatte indes dafür zu sorgen, dass bei Hofe das delikate Vogelfleisch nicht ausging. Für Geld ließen sich Wagemutige an Stricken von Felsen herunter, um die Nester der Waldrappe auszunehmen. In diesem Zusammenhang war es vermutlich weniger Sorge um das Wohl der Vögel als Eigennutz, dass beispielsweise Kaiser Maximilian I. künstliche Nistplätze für die Waldrappen in die Felsen des Grazer Schlossbergs hauen ließ. Im März 1578 verordnete der Bischof von Salzburg ein „strenges Verbot …, aus den Häusern der Kirch- und Getraidgasse mit Büchsen auf Klausraben und Storchen am Mönchberg zu schiessen." Dennoch ging der Waldrapp-Bestand zurück. Die Notzeiten während des 30jährigen Krieges taten ihr übriges. Im Jahr 1794 schrieb Johann August Ephraim Goetze in seiner Naturgeschichte der europäischen Thiere über den inzwischen seltenen Vogel, dass der sehr viele Namen besitze, „die ihn ... an seiner Wirklichkeit nicht zweifeln lassen". Wahrscheinlich war er damals bei uns schon ausgerottet... (Petra Raschke) Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der Februarausgabe von Unser Bayern (BSZ Nr. 8 vom 21. Februar 2014) Abbildungen (Fotos: dpa) Putzig ist ja nicht gerade, dafür aber eine ornithologische Raritat: Der Waldrapp trägt den lateinischen Namen Geronticus eremita, dem Gattungsnamen nach wird er deshalb gerne auch als der Greisenhafte bezeichnet. Ihren Flug über die Alpen vom Winterquartier zurück nach Bayern schaffen die Vögel inzwischen ohne "Zugbegleitung".

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