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Erst ein kleiner Laden in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofs, dann fünf Verkaufsräume in der Sophienstraße/Maxvorstadt, schließlich ab 1905 ein repräsentatives Geschäftshaus in der renommierten Brienner Straße. Die Aufnahme zeigt die Geschäftsräume im Jahr 1910. (Foto: BWA)

12.05.2023

Der Hausierer wird Multimillionär

Im Bayerischen Wirtschaftsarchiv lässt sich der sagenhafte Aufstieg des Kunsthändlers Julius Böhler nachvollziehen

Der Kunstmarkt boomt. Ob alte Meister, moderne Kunst oder zeitgenössische Werke: Die Preise scheinen nach oben kaum Grenzen zu kennen. Einzelne Objekte erreichten in der jüngsten Vergangenheit schwindelerregende Höhen. Leonardo da Vincis um 1500 entstandenes Gemälde Salvator Mundi wurde 2017 im New Yorker Auktionshaus Christie‘s für gigantische 450 Millionen Dollar versteigert – 2005 hatte es ein Händler noch ohne Kenntnis der prominenten Urheberschaft für lediglich 1175 Dollar erstanden. Mit 179 Millionen Dollar rangiert auf Platz zwei unter den Bestsellern ein von Pablo Picasso 1955 geschaffenes Gemälde aus der Serie Les femmes d‘Alger, das ein Sammler 2015 erwarb. Im selben Jahr wechselte für 170 Millionen Dollar ein Werk des italienischen Malers Amedeo Modigliani den Besitzer; das 1917 entstandene Aktgemälde belegt gegenwärtig Rang drei im Top-Rating des internationalen Kunsthan-dels. Im Jahr 2019 erreichte der Umsatz auf dem globalen Kunstmarkt sagenhafte 64 Millarden Euro. Auktionshäuser und Galerien machten einen entsprechenden Profit.

Ein einträgliches Geschäft war der Kunst- und Antiquitätenhandel bereits im 19. Jahrhundert. Schon damals ließ sich damit eine Menge Geld verdienen. Einzelne Händler wie der britische Marktführer Joseph Duveen (1869 bis 1939) in London, dessen Vater seit 1866 einen Kunsthandel betrieb, oder der französische Entrepreneur Charles Sedelmeyer (1837 bis 1925), der in diesem Jahr eine Galerie in Paris eröffnete, brachten es zu immensem Reichtum. Duveen realisierte 1906 mit einem spektakulären Deal einen Profit von 4 Millionen Dollar (16 Millionen Mark). Aber nicht nur Art-Dealer der ersten Stunde machten ein Vermögen. Auch späteren Einsteigern bot der expandierende Kunstmarkt die Chance, zum Millionär aufzusteigen.

Zu diesen Erfolgsmenschen gehörte Julius Böhler (1860 bis 1934). Aus kleinsten Anfängen heraus baute er seit 1882 in München eine international tätige Kunst- und Antiquitätenhandlung auf. 1913 erreichte die Bilanzsumme der Firma fast 10 Millionen Mark, der Jahresnettogewinn lag bei 1,4 Millionen Mark. Insider schätzten Böhlers Vermögen vor dem Ersten Weltkrieg auf 6 Millionen Mark. Dazu gehörte auch eine private Kunstsammlung, die unter anderem drei Gemälde von Rembrandt sowie wertvolle mittelalterliche Skulpturen umfasste. Neben den älteren Unternehmen A. S. Drey (1854 gegründet) und L. Bernheimer (1864 gegründet) zählte die Firma Julius Böhler damals zur Spitzengruppe des Münchner Kunsthandels.

 Eine Karriere als millionenschwerer Kunsthändler war Böhler nicht in die Wiege gelegt worden. Im Gegenteil, er entstammte einer nur mäßig begüterten Handwerkerfamilie in dem Weiler Schmalenberg (Landkreis Waldshut) im südlichen Schwarzwald. Seine Vorfahren waren dort als Nagelschmiede tätig. Drahtstifte produzierte in schwerer Handarbeit schon sein Großvater Jakob. Sein Vater Valerius übernahm den Handwerksbetrieb 1840 und heiratete im selben Jahr die aus einem Nachbarort stammende Krämerstochter Maria Ursula Schmid. Die hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit verschonte das Ehepaar nicht. Von den ersten vier Kindern starben drei schon bald nach der Geburt. Sechs weitere Sprösslinge erreichten das Erwachsenenalter. Am 16. Februar 1860 schließlich erblickte Julius als jüngstes Mitglied der zehnköpfigen Familie das Licht der Welt.

Da der älteste Sohn die Schmiede übernahm, blieb für seine jüngeren Brüder nur die Abwanderung. Auch für Julius stellte sich im Alter von 13 Jahren die Frage nach der beruflichen Zukunft. Über seine Schulbildung ist nichts bekannt. Man darf aber annehmen, dass sie die üblicherweise in der Werk- und Feiertagsschule vermittelten Kenntnisse umfasste. Dort erwarb der offenbar begabte Junge solide Fähigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen sowie auch ein gewisses Maß an Allgemeinwissen. Darauf aufbauend konnte Julius sich später im Selbststudium das für seine unternehmerische Karriere erforderliche Fachwissen aneignen. Vorbild für seine berufliche Orientierung scheint maßgeblich der sechs Jahre ältere Bruder Wilhelm (1854 bis 1902) gewesen zu sein. Er nahm den Wanderhandel mit Kurzwaren auf und zog den Jüngeren alsbald mit in das Geschäft.

Die Hausiertätigkeit war ein von nachgeborenen Söhnen nicht selten ergriffenes Gewerbe. Es erforderte keine spezifische Ausbildung und nur wenig Kapital. Die feilgebotenen Kurzwaren – Bänder, Tücher, Spitzen, Garne, Zwirne, Knöpfe und dergleichen – wurden über einen Großhändler bezogen, der auch Kredit gewährte. Auf ihren Reisen führten Wilhelm und Julius die Produkte auf Traggestellen mit sich. Abnehmer war in erster Linie die Landbevölkerung, für die der Hausierkauf mangels Krämer vor Ort in vielen Gegenden damals die einzige Möglichkeit zum Erwerb entsprechender Gebrauchsartikel bot. Ihren Broterwerb betrieben die Brüder seit Mitte der 1870er-Jahre von ihrem Domizil im badischen Allensbach am Bodensee aus. Schon bald kombinierten sie den Wanderhandel mit Kurzwaren mit dem von „Altertümern“. Bei ihren Verkaufsreisen nahmen sie von ihren Kunden Antiquitäten als Tauschware entgegen, konzentrierten sich mit der Zeit stärker auf diesen Geschäftszweig und pflegten ihn dann ausschließlich.

Bei adeligen oder bürgerlichen Haushaltsauflö-sungen sowie der Modernisierung von Pfarrkirchen kamen vielfach entsprechende Objekte in Umlauf. Auch waren im Zug von Säkularisation und Mediatisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts im süddeutschen Raum zahlreiche Kunst- und Kulturgüter sowie Einrichtungsgegenstände früherer Epochen aus aufgelösten Klöstern und Adelsschlössern unter den Hammer gekommen, weithin verschleudert und verstreut worden. Hier bot sich findigen Wanderhändlern Gelegenheit, in ländlichen oder städtischen Haushalten manche Antiquität – mittelalterliche Holzfiguren und andere Schnitzereien, Wand- und Deckenvertäfelungen, Teile von altertümlichen Waffen und Rüstungen, Bilder, Möbel, Wirtshausschilder, Zinngeräte und ähnliche Objekte – für wenig Geld zu kaufen und die Ware anschließend mit Gewinn an Zwischen- oder stationäre Händler weiter zu veräußern.

Im Juli 1879 zogen die Böhler-Brüder nach München und führten dort ihren Wanderhandel zunächst gemeinsam fort. Nach drei Jahren trennten sie sich. Mit dem ersparten Startkapital von 8000 Mark eröffnete Julius im Ok-tober 1882 nahe dem Hauptbahnhof ein kleines Ladengeschäft. Drei Monate später heiratete er die 21-jährige Maria Loibl (1862 bis 1950), eine Krämerstochter aus Niederbayern; aus der Ehe gingen drei Söhne hervor. 1882 gab es in München 20 Antiquare und 30 Antiquitätenhändler. Die bedeutendsten hatten ihren Sitz in den Prachtstraßen der Innenstadt. Im Vergleich zu diesen teils alteingesessenen Firmen war Julius Böhler ein kleines Licht. Aber der Newcomer verstand es auf Anhieb, sein Geschäft voranzubringen. Innerhalb von nur 24 Monaten verfünffachte er sein Privat- und Geschäftsvermögen auf 42 000 Mark.

Ende 1884 bezog Julius Böhler in der Maxvorstadt größere Geschäfts- und Wohnräume an der Sophienstraße zur Miete. In den fünf öffentlich zugänglichen Verkaufsräumen stapelten sich bald Hunderte von Antiquitäten und Kunstobjekten – von einfachen altertümlichen Gebrauchsgegenständen wie Türklopfern, Ofenkacheln, Butzenscheiben oder Buchschließen über historische Waffen und Rüstungsteile, Möbelstücke früherer Epochen, Skulpturen und andere kunstgewerbliche Kostbarkeiten bis hin zu orientalischen Tep-pichen und französischen Tapisserien. Nichts er-innerte mehr an die bescheidenen Anfänge des Wanderhändlers.

Der rasche Erfolg hatte mehrere Gründe. Böhler verfügte über hohen Sachverstand, den er sich über Jahre hinweg durch permanentes Selbststudium und in der praktischen Tätigkeit erarbeitet hatte und den er unermüdlich weiter perfektionierte. Zudem baute er rasch ein Netz von in- und ausländischen Bezugsquellen auf. Er kaufte Objekte von Händlern in Deutschland, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz – vor allem aber in Paris, dem Zentrum des europäischen Kunsthandels. Mit einem attraktiven Warenangebot, das bald auch Gold- und Silberarbeiten, Majoliken, Gobelins und Gemälde umfasste, verschaffte er sich einen kontinuierlich wachsenden Stamm von Abnehmerkunden – Sammler, aber auch andere Händler und Museen – zunächst vor allem in München, schon bald auch weit darüber hinaus.

Böhlers Sammlerkundschaft gehörte dem gehobenen Bildungs- und Besitzbürgertum sowie der aufstrebenden Unternehmerschaft an, die nach der Reichsgründung im Zug der Hochindustrialisierung zu Reichtum gelangte. Die Angehörigen dieser sozialen Schichten statteten ihre Wohnungen vielfach mit Kunstwerken aus. Die Motivation dazu lag im Bedürfnis nach Repräsentation, nach Demonstration wirtschaftlicher Stärke und gesellschaftlicher Abgrenzung. Der Besitz von Kunstwerken war ein Statussymbol, das seinem Inhaber ein mit kulturellem Wissen einhergehendes, besonderes Prestige verlieh. Für die Eliten des Kaiserreichs bildete das Interieur ihrer Wohnungen einen festen Bestandteil standesgemäßer Lebensführung. Für einen Kunsthändler wie Julius Böhler ergaben sich daraus enorme ökonomische Möglichkeiten ... (Richard Winkler)

Lesen Sie den vollständigen, reich bebilderten Beitrag in der Ausgabe Mai/Juni von UNSER BAYERN (Bayerische Staatszeitung Nr. 19. vom 12. Mai 2023)

Abbildung:
Die Porträtfotografie zeigt Julius Böhler um 1910. Damals war der in eher ärmlichen Verhältnissen aufgewachsene Selfmademan, der anfänglich Kurzwaren beim Herumwandern feilbot, längst zum angesehenen und schwerreichen Unternehmer im internationalen Kunsthandel aufgestiegen. (Foto: BWA)

 

 

 

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