Unser Bayern

Kriegsmüde, menschlich und wirtschaftlich ausgezehrt: Das nährte auch in Bayern die Sehnsucht nach Frieden und leistete Kurt Eisners Umsturz Vorschub. (Foto: SZPhoto)

09.07.2018

Die unblutige Revolution

Bayern und der 7. November 1918: Warum Kurt Eisner der Umsturz so reibungslos gelang

Oktober 1918: Seit Monaten haben breite Volkskreise Bayerns von den ständigen Durchhalteparolen genug. Längst haben sich die anfänglichen Hoffnungen in Luft aufgelöst, dieser Krieg werde nur kurz dauern und siegreich enden wie einst 1870/71. „Bis in sechs Wochen sind wir wieder da“, hatten einst im August 1914 zehntausende ausrückender Ehemänner und Söhne ihren Frauen und Müttern zugerufen. Doch es sollte alles ganz anders kommen. Rasch eskalierte der improvisierte Krieg zu einem industrialisierten Krieg von apokalyptischen Ausmaßen mit Millionen von toten und verstümmelten  Frontkämpfern sowie hunderttausenden Hunger- und Seuchenopfern in der Heimat.

Ernährungspolitisch war der Erste Weltkrieg bereits 1916 verloren. Nichts wirkte demoralisierender auf die Menschen als der Hunger, der sich im Lauf des Katastrophenwinters 1916/17 von der Heimat bis zur Front vorarbeitete. Als am 6. März 1917 zehntausende hungernde Frauen durch die Straßen im fernen Petersburg zogen und „Brot, Brot“ und noch einmal „Brot“ schrien, ahnten nur die wenigsten von ihnen, dass bereits neun Tage später der Sturz des Zarenregimes folgen sollte. Die russische Februarrevolution schlug Wellen bis nach Bayern – und auch dort wagten sich auffällig viele Frauen auf die Straßen. Am heftigsten entlud sich der Unmut über das monatelange Frieren und Hungern in Nürnberg. Unüberhörbar war auch dort der Ruf nach Brot und Kartoffeln sowie nach einer raschen Kriegsbeendigung, ehe die Demonstrationen und Krawalle am 12. und 13. März 1917 ihren Höhepunkt erreichten.

Angst vor neuem Hungerwinter

Im Spätsommer und Herbst 1918 spitzte sich die Lage erneut zu. Die Bevölkerung befürchte nichts mehr als „einen fünften Kriegswinter mit zunehmenden Einschränkungen und Entbehrungen“, berichtete das Ingolstädter Festungskommandant am 19. September. Vor allem die „Stimmung der Arbeiter sei auf dem absoluten Tiefpunkt angelangt“, hatte wenige Tage zuvor das Generalkommando III in Nürnberg gemeldet und verwies in einem Atemzug auf die katastrophale Lebensmittelversorgung.

So blieb die Unterernährung weiterhin ein Politikum allererster Ordnung. Auch die allgemeine Forderung nach dem Achtstundentag führten die militärischen Berichterstatter in erster Linie auf die andauernden Ernährungsschwierigkeiten zurück. Massive Einschränkungen der physischen Leistungsfähigkeit seien die Folge, die Arbeiter daher kaum mehr in der Lage, länger zu arbeiten.

Umso erlösender wirkte auf die Massen das Zauberwort vom Frieden, die Aussicht auf eine baldige Heimkehr der kämpfenden Söhne und Ehemänner, die Aussicht auf ein baldiges Ende von Not, Entbehrung und ewigem Schlange stehen. Doch so groß der Leidensdruck der Städter auch war, so wenig unterschied sich ihre Friedenssehnsucht von der der Landbevölkerung. Obwohl die Fleischtöpfe bei den mittleren und größeren Bauern weiterhin gefüllt blieben und Frieren im Winter für diese ein Fremdwort blieb, sehnten sie nichts anderes herbei als die Rückkehr zu den angeblich so guten alten Zeiten vor 1914.

Vor allem die Klagen über den Arbeitskräftemangel, das System der Zwangsbewirtschaftung und die zahllosen Höchstpreisverordnungen der staatlichen und kommunalen Stellen nahmen in diesen Kreisen kein Ende. Zusätzlichen Unmut erregten die regelmäßigen Kontrollen der Getreidevorräte, die angeblich viel zu niedrigen Preisvorgaben sowie die korrupten Praktiken der Kriegsgesellschaften bei der Zuteilung von Rohstoffen und Düngemitteln. Die größte Erbitterung jedoch erregte das (...)

Aufspaltung der Sozialdemokraten

Zumindest für einen Mann stand seit Monaten fest, dass die längst diskreditierte Militärmonarchie weder den ersehnten Frieden noch die erhoffte Demokratisierung bringen könne: Kurt Eisner. Als einer der führenden Köpfe der bayerischen Sozialdemokratie hatte er sich im April 1917 von seinen alten Genossen getrennt und der neu gegründeten, pazifistisch orientierten Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) angeschlossen. Seitdem war die SPD gespalten, eben in die USPD und in die sogenannten Mehrheitssozialdemokraten (MSPD), die trotz aller Kritik weiterhin loyal zum Kriegskurs der Reichsleitung hielten.

Erst am 14. Oktober 1918 wegen seiner maßgeblichen Beteiligung am deutschlandweiten Januarstreik aus der Untersuchungshaft entlassen, begann Eisner sogleich die Fäden für den Umsturz zu ziehen. Vor allem bei seinen regelmäßigen Auftritten in den Münchner Bierkellern bekam er zu spüren, wie sehr die Zeit für ihn arbeitete. Nur ein sofortiger Friedenschluss, so die allgemeine Überzeugung,  könne das Schlimmste von Bayern noch abwenden.

Dass der Weg dorthin nur über einen Monarchiesturz führen könne, schien selbst aus der Warte des katholisch-konservativen Landvolks kaum mehr vermeidbar. Schon seit längerem wurde König Ludwig III. wegen seiner annexionistischen Kriegsziele und seiner strikten Loyalität zu Kaiser Wilhelm II. als Friedenshindernis angesehen. In der Folge verlor mit der Person Ludwigs III. auch die Institution der Monarchie an Nimbus und Strahlkraft. Immer deutlicher zeichnete sich die Götterdämmerung der Wittelsbacherdynastie ab, ja Anfang November 1918 sprach ein geheimer Stimmungsbericht des Stellvertretenden Generalkommandos III unverblümt von einer offenen Absage des Volkes an das Kaisertum und die Monarchie.

Und doch konnte der Umsturz nur über einen vorherigen Schulterschluss zwischen Stadt und Land gelingen. Bayern war zwar nicht Russland, doch lehrte das Beispiel der Februarrevolution von 1917, dass in einem Agrarstaat ohne die Mitwirkung der Bauern keine Revolution zu machen war. Die bayerischen Bauern und Arbeiter müssten sich der Regierung bemächtigen, um den Krieg von bayerischen Gebieten fernzuhalten, betonte Eisner nochmals am 30. Oktober.

Werben um Agrarfunktionäre

Doch zunächst galt es die Gefahr eines Lieferstreiks zu bannen. Um die Lebensmittelversorgung der Metropole zu sichern, warb Eisner schon seit Wochen um die Gunst der führenden Agrarfunktionäre. Ganz vorne standen die Gebrüder Ludwig und Karl Gandorfer, der eine USPD-Sympathisant, der andere ein Spitzenvertreter des radikalen Flügels des Bayerischen Bauernbundes. Am dritten November 1918 ging Eisners Strategie auf: Nach einem Besuch im niederbayerischen Pfaffenberg (...)

Am Morgen des 6. Novembers riefen zahlreiche Plakate im Namen Eisners und Auers zur Teilnahme an der Friedenskundgebung auf. Von Revolution war nicht die Rede, obschon diese seit Tagen atmosphärisch präsent war. Gefühls-Radikalismus lag in der Luft, nachdem die Münchner Neuesten Nachrichten am 5. November erstmals von schweren Matrosenunruhen an der deutschen Ost- und Nordseeküste berichtet hatten. Kurz zuvor hatten rund 1000 Matrosen auf dem Weg vom österreichisch-ungarischen Adriahafen Pola nach Wilhelmshaven Zwischenstation in München gemacht. Viele von ihnen waren dabei, als am Nachmittag des 7. Novembers, einem milden und sonnigen Spätherbsttag, die Friedensdemonstration auf der Theresienwiese begann.

Es war keine alltägliche Kundgebung. Auf den Gesichtern lag Spannung, man wusste: Heute geschieht Entscheidendes, erinnerte sich Eisner Vertrauter Felix Fechenbach wenige Monate später. Und doch lief alles ganz friedlich ab. Nach dem programmgemäßen Reigen der Ansprachen sowie den obligatorischen Resolutionen für den Abschluss eines sofortigen Waffenstillstandes und eine fundamentale Demokratisierung des Staatswesens bewegten sich die Züge von MSPD und USPD in zwei verschiedene Richtungen: Zum einen nach Osten, zum Friedensengel hoch über dem Isarufer, zum anderen nach Norden, in Richtung Kasernen. Genau dorthin marschierte auch die rasch anschwellende Gefolgschaft Eisners und seiner Freunde. Nach der Überquerung der Donnersberger Brücke teilte man sich in zwei Züge, bevor eine Serie von Spontanaktionen folgte, die jeweils ähnlichen Handlungsmustern folgten: Zunächst stürmte ein kleiner Trupp das Kasernengebäude und verkündete die Revolution, während draußen vor den Toren die Menge wartete. Anschließend wurde ein Fenster geöffnet und die rote Fahne gehisst sowie der Frieden und die Republik proklamiert. Echte Gegenwehr regte sich fast nirgendwo.

(...)

Hauptquartier im Mathäserbräu

Noch am Abend des 7. Novembers setzte die Rätebildung ein, im Mathäserbräu, dem künftigen Hauptquartier der Revolutionäre. Nach der Rückkehr vom Kasernensturm wählte man nach russischem Vorbild in zwei getrennten Versammlungen jeweils einen Soldatenrat und einen Arbeiterrat, der als Revolutionärer Arbeiterrat bis in das Frühjahr 1919 hinein eine politische Schlüsselrolle spielen sollte. Zur Wahrung von Ruhe und Ordnung wurden sogleich motorisierte Soldatenpatrouillen aufgestellt, die neben polizeilichen Aufgaben Wachdienste übernehmen sollten.

Währenddessen machte sich Eisner mit 60 seiner Getreuen auf den Weg zum rund ein Kilometer entfernten Landtagsgebäude in der Prannerstraße, um sich Zugang zum Plenarsaal zu verschaffen.

(...)

So schlug am frühen Morgen des 8. November 1918 die Geburtsstunde des neuen Bayern. Und doch hatten die Revolutionäre die Situation solange nicht fest im Griff, solange der Machtanspruch des neuen Ministerpräsidenten nicht vollständig durchgesetzt werden konnte.

Auch das Verhalten von Eisners Widersacher Erhard Auer war zunächst alles andere als eindeutig, nachdem dieser offenbar noch in der Nacht zuvor den Innenminister gedrängt hatte, die Erhebung niederzuschlagen. Als sich am folgenden Morgen der Erfolg der Aktion abzeichnete, wechselte Auer die Strategie und sprang auf den Wagen der Revolution. Zusammen mit seinen Kollegen Johannes Timm und Albert Roßhaupter regte er die Bildung einer gemeinsamen Regierung an. Eine Verhandlungsdelegation wurde gebildet, die sich anschließend zu Eisner in den Plenarsaal des Landtags begab und ihre Bereitschaft zur Kooperation signalisierte.

Bereits am Nachmittag desselben Tages stand die neue Regierung. Von den acht Ressorts erhielt die MSPD allein vier, während die USPD die Ministerien des Äußeren (Eisner) und für Soziale Fürsorge (Hans Unterleitner) übernahm.

Zugleich füllte sich das politische Vakuum, das sich unmittelbar nach dem Umsturz geöffnet hatte. Der politische Rückenwind für das junge Revolutionsregime wurde stärker, vielleicht auch deswegen, weil nach Außen alles beinahe wie ein normaler Regierungswechsel aussah. Auch der zurückgetretene Eisner-Vorgänger Dandl verhielt sich sehr kooperativ.

Nicht zu vergessen König Ludwig III. Am 12. November entband er seine Beamten und Soldaten vom Treueid und stellte ihnen die Weiterarbeit unter den gegebenen Verhältnissen frei. Nach Lesart des führenden Verfassungsrechtlers Robert Piloty kam dies einer faktischen Abdankung gleich, eine Lesart, der sich das Kabinett Eisner sogleich anschloss. Sang- und klanglos verabschiedete sich die Wittelsbacherdynastie, nachdem sie 738 Jahre die Geschicke Bayerns gelenkt hatte.

Was waren die Gründe für den reibungslosen und unblutigen Verlauf des Umsturzes? Da war zunächst (...) (Martin Hille)

Abbildungen:
Auch die Münchner gingen für den Frieden demonstrierend im Oktober 1918 auf die Straße. (Foto: BSB Bildarchiv)
Großauflauf der Arbeiter und Soldaten auf der Münchner Theresienwiese am 7. Oktober 1918 zur Friedensdemonstration. (Foto: BSB Bildarchiv)

Lesen Sie den vollständigen, reich bebilderten Beitrag in der Juli/August-Ausgabe von UNSER BAYERN, die der BSZ Nr. 27 vom 6. Juli 2018 beilag.

Weitere Themen der Ausgabe:

• Schwabings Skandalgräfin. Viele Liebhaber, immer pleite: Franziska zu Reventlow scherte sich nicht um Konventionen und lebte sich als Bohèmienne aus
• Tierische Narretei. Vom Schwanenteich zum modernen Zoo: Der Straubinger Zoo feiert sein 80-jähriges Bestehen
• Gefiederte Exoten. Über Bayerns Begeisterung im 19. Jahrhundert für Papageien und anderes nichtheimisches Federvieh
• Spannendes aus der Scherbenkiste. Was ein Lampenschirm in der Hofglasmalerei Gustav van Treeck über den Umgang mit Fragmenten alter Glasmalerei verrät
• In Freud und Leid. Geschichts-Kompendium und Love-Story: Die Hauschronik der Herzogin Alexandrine von Sachsen-Coburg und Gotha
• Wundervolle Entpuppung. Restauratorinnen haben eine Marienskulptur „entkleidet“ und ihr somit ihre ursprüngliche Würde zurückgegeben

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