Unser Bayern

„KZ 3“ lautete nüchtern eine der Apfelsorten, die Aigner im Konzentrationslager Dachau gezüchtet hat – heute kennt man die Sorte als „Korbiniansapfel“. (Foto: TUM Archiv)

23.10.2015

Pastoraler Pomologe

Über Korbinian Aigner, seine Äpfel und seinen Widerstand gegen den Nationalsozialismus

Topaz, Braeburn, Elstar und Gala kennen wir, auch Granny Smith und Golden Delicious. Recht viel mehr Namen von Apfelsorten haben wir als Durchschnittsverbraucher heutzutage nicht parat. Korbinian Aigner hingegen kannte zu seiner Zeit Hunderte von Apfelsorten. Sie hatten so klangvolle Namen wie „Schöner von Herrnhut“, „Prinz Albrecht von Preußen“ oder „Dechant Giesbergs Goldpepping“. Der vor fast 50 Jahren verstorbene Korbinian Aigner (1885 bis 1966) war ein profunder Obstbaumkenner und -züchter und hatte den Überblick über die damalige Sortenvielfalt. Im Hauptberuf war Aigner katholischer Pfarrer, zuletzt in Hohenbercha bei Freising. Aber man sagte ihm nach, er sei „mehr Pomologe als Theologe“ oder er betriebe „mehr Baumsorge als Seelsorge“. Deshalb verpasste man ihm auch den Beinamen „Apfelpfarrer“, den er allerdings gar nicht schätzte. Dass sich ein Pfarrer mit Obstbäumen auskannte, war an sich nicht ungewöhnlich. Aber Korbinian Aigner ragte aus der Reihe der Pomologen mit Theologiestudium heraus: Als Schöpfer einer außergewöhnlichen Sammlung von Apfel- und Birnenporträts, als umtriebiger Vereinsfunktionär und zugleich als ein unerschrockener Mann, der dem nationalsozialistischen Regime Widerstand leistete und deshalb über fünf Jahre seines Lebens im Konzentrationslager verbringen musste. Da ist zunächst die umfangreiche Aquarellsammlung von Äpfeln und Birnen, die der Pfarrer geschaffen hat. Zum Malen verwendete er Wasserfarben, aber auch Gouache oder Buntstifte. Er malte auf billigem Karton, manchmal nur auf die Rückseite von Aktendeckeln. Jedes seiner nur postkartengroßen Bilder versah er mit einer Nummer. Zumeist stellte er zwei Früchte dergleichen Sorte auf einem Bild dar. Einmal von oben, das andere Mal von unten gesehen, damit deutlich Form, Stiel, Kelchblätter, Farbe und Beschaffenheit der Schale zu erkennen war. Man sieht den Werken an, ob Aigner sie in früheren oder in späteren Jahren seines Lebens gemalt hat, denn die Maltechnik wurde mit den Jahren immer besser. Am Ende umfasste seine Sammlung 649 Apfel- und 289 Birnensorten. Nach seinem Tod ging sie – wie Aigner es verfügt hatte – in den Besitz des Weihenstephaner Lehrstuhls für Obstbau über und wird heute im Historischen Archiv der Technischen Universität München aufbewahrt. Aigners Bilder von Äpfeln und Birnen wurden mehrfach in Büchern publiziert. So sind sie z.B. in Willi Vottelers umfangreichem Verzeichnis der Apfel- und Birnensorten – dem Standardwerk für Obstbaumzüchter – abgedruckt. Zuletzt kam das Gesamtwerk Aigners unter dem Titel Äpfel und Birnen (über zwei Kilogramm schwer) 2013 beim Verlag Matthes & Seitz in Berlin heraus. Besondere mediale Aufmerksamkeit erhielten die Bilder im Jahr 2012, als ein Teil von ihnen auf der Dokumenta in Kassel sehen war. Die Apfelbilder auf einer internationalen Kunstausstellung? Was hätte Korbinian Aigner wohl dazu gesagt? Vielleicht den Kopf geschüttelt, denn er sah sich selbst wohl kaum als Künstler. Wenngleich ihm schon im Abiturzeugnis des Münchner Luitpoldgymnasiums zeichnerisches Talent attestiert wurde und er sich sogar mal am Knabenseminar der Abtei Scheyern als Zeichenlehrer verdingte. Seine Werke waren für Aigner in erster Linie Anschauungsmaterial, das ihm half, Sorten auseinander zu halten bzw. die Unterscheidungsmerkmale zwischen den Sorten lehranschaulich festzuhalten. Schon 1908, als er noch mitten im Theologiestudium war, hatte der Großbauernsohn in seiner Heimatgemeinde Hohenpolding (im Landkreis Erding) den ersten Obstbauverein gegründet. Er tat dies zusammen mit Franz Hausladen, dem Weber von Harting, vor allem, damit der gemeinschaftliche Kauf von Obstbäumen für die künftigen Vereinsmitglieder günstiger würde. Bei den Vereinsversammlungen erreichte Aigner das Zielpublikum, um seine schon damals beachtlichen Kenntnisse weiterzugeben. Da Bargeld knapp war, spielte die Selbstversorgung der Bevölkerung mit Obst aus dem eigenen Garten eine enorme Rolle. So hatte der Hohenpoldinger Verein auf Anhieb 44 Mitglieder. Rasch wuchs die Mitgliederzahl auf das Doppelte an. 1911 – das war das Jahr seiner Priesterweihe – erwirkte Aigner für seinen Verein einen Staatszuschuss in Höhe von 1000 Goldmark, um in Hohenpolding einen „Mostkeller“ zu errichten. Das Gebäude – damals die erste vereinseigene Kelterei in Bayern – hat sich bis heute erhalten. Auch auf den folgenden Stationen seines beruflichen Lebens, wo er zunächst als Koadjutor, dann als Kooperator (Pfarrgehilfe) wirkte, war er vereinsmäßig aktiv. Wie beispielsweise in Haimhausen als Vorsitzender des Dachauer Bezirksobstbauverbands, in Ilmmünster ebenfalls als Vorsitzender des neugegründeten Obstbauvereins. Von 1930 bis 1933 war Aigner Vorsitzender des Oberbayerischen Kreisverbands für Obst- und Gartenbau. Dazu hatte er sich zuvor noch vom Erzbischöflichen Ordinariat die Erlaubnis einholen müssen. 1931 hatte er auch endlich eine eigene Pfarrstelle bekommen, in Sittenbach im Landkreis Dachau. Korbinian Aigner, als Mitglied der Bayerischen Volkspartei eher konservativ eingestellt, war immer politisch interessiert. Bereits 1923 soll er Hitler bei einer Versammlung in München gehört haben. Dessen Drohungen, Juden, Kommunisten und andere vernichten zu wollen, konnte Aigner nicht glauben – er hielt Hitler für angetrunken. Dann ging er noch einmal zu einer solchen Versammlung, um allerdings dasselbe irre Gedankengut zu hören. Von da an brachte Aigner stets zum Ausdruck, was er vom Nationalsozialismus hielt. „Den Hanswurst, den kann man nicht wählen“, sagte er über Hitler. So erinnerte sich der 2014 verstorbene Anton Bauer aus Jarzt, der als Kind unter Pfarrer Aigner Ministrant war. Die ablehnende Haltung sollte Aigner ab 1933, als Hitler an die Macht kam, noch schicksalhaft werden. Zunächst kam der Pfarrer mit einer Geldstrafe davon, als er sich 1934 abfällig über die SA geäußert hatte. Dann folgte 1937 die Zwangsversetzung: Aigner hatte sich im Januar 1936 geweigert, die Hakenkreuzfahne in der Kirche zu hissen und er hatte zwei Monate später das vom Kardinal Faulhaber angeordnete Kirchenglockengeläut anlässlich des „Friedenappells des Führers“ nicht durchführen lassen. Durch sein „staatsfeindliches Verhalten“ sah man den „Frieden in der Gemeinde Sittenbach erheblich gestört“. Nun kam er in die kleine Pfarrei Hohenbercha (Landkreis Freising). Dort wurde ihm im November 1939 eine Äußerung im Schulunterricht zum Verhängnis. Einen Tag nach dem gescheiterten Attentatsversuch von Georg Elser auf Hitler im Münchner Bürgerbräukeller, sagte er zu den Schülern: „Ich weiß nicht, ob das Sünde ist, was der Attentäter im Sinn hatte. Da wäre halt vielleicht eine Million Menschen gerettet worden.“ Aigner wurde angezeigt und wenige Tage später festgenommen. Er kam zunächst in Untersuchungshaft und wurde im Mai 1940 wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz zu sieben Monaten Gefängnis verurteilt. Nach Verbüßung der Strafe kam Aigner jedoch nicht frei, sondern er wurde – wie manch anderer Regimegegner – in ein Konzentrationslager eingeliefert. Zunächst nach Sachsenhausen, ab Oktober 1941 in den sogenannten Priesterblock des Konzentrationslagers Dachau. Arbeiten musste er jetzt in der „Plantage“, so nannte man das Gelände der Deutschen Versuchsanstalt für Gewürzpflanzenanbau, auf dem die Häftlinge Sklavenarbeit leisten mussten, um Heilkräuter anzubauen. Sie hatten Egge und Pflug selbst zu ziehen, dabei Schikanen und Entbehrungen zu ertragen und waren permanent in Lebensgefahr. Über diese Zeit und seine Erlebnisse im KZ hat Aigner später nur wenig berichtet. Vermutlich aber war es ein kleiner Trost für ihn, dass er in der Landwirtschaft „im weiteren Sinne“ eingesetzt war... (Petra Raschke) Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der Oktober-Ausgabe von Unser Bayern (BSZ Nr. 43 vom 23. Oktober 2016) ⇒ Info:
Das TUM-Archiv der TU München (Arcisstraße 21) wird im kommenden Jahr zum 50. Todestag Korbinian Aigners eine Ausstellung mit wissenschaftlichen Vorträgen gestalten (1. September bis 5. Oktober 2016). Aus diesem Anlass erscheint auch ein Buch über Aigner vom Direktor des TUM Archivs,
Prof. Dr. Peter J. Brenner.

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