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Wichtige Adresse für die Simon-Marius-Forschung ist das Staatsarchiv Nürnberg. Dort werden viele Ausgaben des Schreibkalenders aufbewahrt, die Simon Marius einst erfolgreich anfertigte. (Foto: Dütsch)

17.01.2014

Rehabilitierter Himmelsstürmer

Vor 400 Jahren erschien Simon Marius' Hauptwerk über die Jupitermonde. Ein Plagiat!, behauptete Galileo Galilei

Der Fall mutet so modern an: Hat er abgeschrieben? Ist Simon Marius ein „Plagiator"? „Selbstverständlich!", würde Galileo Galilei vielleicht noch heute wettern. Denn er selbst, der große Astronom war es doch, der am 7. Januar 1610 zuerst die Jupitermonde entdeckt hatte! Und dass diese Monde sich nicht um die Erde drehen, sondern um den Jupiter selbst. Das hat Galileo schon gleich im Frühjahr 1610 veröffentlicht. Und dann kommt gut vier Jahre später so ein fränkischer Provinz-Astronom daher und behauptet in seinem Buch Mundus Iovialis, dass er diese Entdeckung noch früher gemacht haben will, nämlich am 29. Dezember 1609!Mundus Iovialis wird ein ganzes Jahr lang mit vielen Veranstaltungen in ganz Deutschland an den Astronomen erinnert, am 18. Februar wird bei einem Festakt „sein" Online-Portal offiziell freigeschaltet (www.simon-marius.net). Hat er, oder hat er nicht? Galileo, mit seinen Kontakten zu den Medici und zu Päpsten, der selbst eine Art Zentralgestirn am Wissenschaftshimmel war, sorgte jedenfalls dafür, dass Simon Marius (1573 bis 1625) untendurch war. Nicht, dass der Hofastronom der Fürsten von Ansbach ruiniert gewesen wäre – in seiner Heimat lebte er von seinem Metier weiterhin recht gut und geachtet. Der als Simon Mayr in Gunzenhausen geborene Hofastronom war auch noch Mathematiker und Mediziner – das wohl einfach deshalb, weil sich der kleine Fürstenhof Ansbach nicht wie in großen Residenzen üblich, für jede Disziplin einen eigenen Experten leisten konnte. In der Astronomie verdiente sich Marius noch manche Lorbeeren: Er widmete sich unter anderem der Venus, verfolgte aufmerksam die wandernden Sonnenflecken und beschrieb deren Periodizität, im Dezember 1612 sah er als erster Europäer den Andromedanebel und 1618 verfolgte er von Ende November bis Dezember den dritten und großen der drei Kometen jenes Jahres. Und das alles hielt er dann doch schriftlich fest – zeitnah. Aber was die Jupitermonde anging, verbannte ihn die internationale Wissenschaftsgeschichte vom ersten Platz. Noch 1906 hatte ihn ein Nürnberger Gymnasiallehrer in Grund und Boden verteufelt – er hatte sich an einer einschlägigen Preisfrage der Niederländischen Akademie der Wissenschaften beteiligt. Der Verriss kam den Wissenschaftlern dann doch etwas arg harsch vor, und man machte sich vorurteilsfreier an die Untersuchung von Simon Marius‘ Leistung. Weitere 100 Jahre später erfährt der Gunzenhausener vielleicht seine endgültige Rehabilitation: 400 Jahre nach Veröffentlichung seines Werkes Inzwischen ist man sich auch weitgehend einig: Marius hat Galileo nicht abgekupfert. Er entdeckte die Jupitermonde unabhängig und nahezu zeitgleich: nach eigenen Angaben einen Tag nach Galileo. Des Verwirrspiels Lösung: Marius, seinem protestantischen Dienstherrn verpflichtet, bezog sich noch auf den julianischen Kalender, Galileo dagegen auf den neuen gregorianischen. Bringt man die Zeitangaben der beiden Kontrahenten in Relation, dann entdeckte Galileo am 7. Januar 1610 und Marius am 8. Januar die Jupitermonde. Auch wenn es flugs reitende Depechenboten gab: Innerhalb eines Tages konnte Marius unmöglich von Galileos Beobachtung erfahren haben. Und dass er sich Jahre später mit fremden Federn schmückte, verwerfen Forscher auch: Sie haben inzwischen aus Marius‘ Unterlagen herausgefunden, dass der Ansbacher Astronom sogar noch viel genauere und umfangreichere Beobachtungen zum Jupiter und seinen Monden notierte, als dies sein Kollege südlich der Alpen tat. Vielleicht haben noch weitere Astronomen damals die gleiche Entdeckung gemacht – sie lag in der Luft: Das erst kurz zuvor erfundene Teleskop enthüllte ganz neue Welten im All. Freilich war dieses einstige High-Tech-Instrument nahezu unerschwinglich. Marius hatte das Glück, dass sich sein Förderer Johannes Philipp Fuchs von Bimbach im Sommer 1609 großzügig zeigte (dafür mögen allerdings militärische Aspekte entscheidend gewesen sein). Die Planetenkonstellation Anfang Januar 1610 war äußerst günstig: Der Jupiter bewegte sich auf seiner Schleifenbahn rückwärts und gab so den Blick auf seine Monde besonders gut frei. Das Himmelsphänomen, das Galileo und Marius dabei beschrieben, lieferte den Anhängern von Copernicus neuen Zündstoff: Dieser hatte schon 100 Jahre vorher dem ptolemäischen geozentrischen Weltbild (alles dreht sich um die Erde) das heliozentrische entgegengestellt: Alle Sterne – auch die Erde – drehen sich um die Sonne. Die Jupiter-Beobachtungen von 1610 reichten allerdings noch immer nicht aus, den modernen Ansatz restlos wissenschaftlich zu beweisen (das sollte erst weitere gut 100 Jahre später unter anderem mit Newtons definierten Gesetzen gelingen) – so dass Marius seine Forschungsergebnisse einfach in die Synthese einreihen konnte, die Tycho Brahe aufgestellt hatte: Die Planeten kreisen tatsächlich um die Sonne – diese jedoch (ebenso wie der Mond) mit allem um sie herum um die Erde. „So funktioniert eben Wissenschaft", sagt Pierre Leich, „man vergisst oft, wie mühsam jede einzelne Erkenntnis erst erarbeitet sein will, und zwar von vielen Forschern, nicht nur den Stars, die dann vielleicht erst Generationen später die Summe wissenschaftlicher Ergebnisse zu Bahnbrechendem zusammenführen." Nicht nur Simon Marius‘ penibel berechnete Daten für die Bewegungen der Jupitermonde, sondern auch seine heute unlogisch erscheinenden Rückschlüsse seien „seriöse Wissenschaft gewesen", betont der Koordinator von Nürnbergs Langer Nacht der Wissenschaft. „Marius war nicht nur ‚Regionalliga-‘, sondern ‚Champions League-Spieler‘." Da mag, wie bei Simon Marius‘ „Prognostica", heute als abergläubischer Humbug abgetan werden, was an der Wende zwischen mittelalterlichem und neuzeitlichem Denken noch unbestritten wissenschaftlich war: Die „Prognostica" sind Vorhersagen auf das kommende Jahr. In ihnen steht, mit welchen Wetterphänomenen, astronomischen Konstellationen, Gefahren für die Gesundheit und politischen Ereignissen zu rechnen sei. Angefügt hat sie Simon Marius, der auch als Horoskopsteller gefragt war, Schreibkalendern, die er ab 1601 erfolgreich bei seinem Schwiegervater und Nürnberger Verleger Johann Lauer publizierte. Eine ganze Reihe dieser Gebrauchsbücher, die sich nur selten erhalten haben, weil sie nach Ablauf eines Jahres oft als „Anschürhilfe" in den Ofen wanderten, sind heute im Staatsarchiv Nürnberg zu finden – Direktor Peter Fleischmann freut sich, dass einige Jahrgänge der Marius-Kalendarien sogar ausschließlich in Nürnberg aufbewahrt werden. Das Staatsarchiv stellt die Digitalisate ins Netz – über das neue Simon Marius-Portal gelangt man zu diesen Schriften ebenso wie zu den anderen digitalisierten Arbeiten des Astronomen zum Beispiel im Bestand der Bayerischen Staatsbibliothek. (Karin Dütsch) Abbildungen:
Simon Marius erhält ein eigenes Online-Portal: Am 18. Februar wird es bei einem Festakt im Staatsarchiv Nürnberg unter  www.simon-marius.net offiziell freigeschaltet. (Foto: Archiv) Archivdirektor Peter Fleischmann zeigt gerne die seitenweise kolorierten Schreibkalender des Ansbacher Astronomen. (Foto: Pierre Leich)

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