Unser Bayern

1839 verlieh Papst Gregor XVI. Karl von Seinsheim höchstpersönlich den Christus-Orden, die höchstepäpstliche Auszeichnung für Laien. (Foto: Claudius Stein)

10.09.2021

Spöttisches über Divan-Gelage

In Schloss Sünching ist ein „Türkisches Archiv“ aufgetaucht: Original-Pocci-Zeichnungen über eine Männergesellschaft

Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts etablierten sich in München die Gesellschaften „Altengland“, der „Zwanglosen“ und „Zu den drei Schilden“. In clubartiger Atmosphäre trafen sich dort Adelige und Beamte, Wissenschaftler und Künstler. Auch Franz Graf von Pocci verkehrte dort (siehe vorstehenden Artikel „Der Kasperlgraf als Pasquillant“). Poccis Begabung als Zeichner, Dichter und Komponist verdankten die Mitglieder das „Privileg“, in umfangreichen, meist zu Alben vereinigten Dokumentationen satirisch verewigt zu werden. In Karikaturen hielt er nicht nur Episoden aus dem gesellschaftlichen, sondern auch aus dem privaten Leben seiner Kollegen fest, sich selbst eingeschlossen. Poccis Spott war immer treffend, aber niemals verletzend.

Angesichts Pocci‘s Ideenreichtum ist es nicht verwunderlich, wenn ab und an Neufunde auftauchen. Bei Ordnungsarbeiten in der Oberen Bibliothek von Schloss Sünching zwischen Regensburg und Straubing ist beispielsweise jüngst ein Album aufgetaucht, das „Türkisches Archiv“ betitelt ist.Darin finden sich lauter Karikaturen – eigenhändige Arbeiten von Pocci. Nachdem Schloss Sünching die Hauptbesitzung der Grafen Seinsheim war, liegt ein Zusammenhang mit dieser Familie nahe, zumal sowohl der Minister Karl von Seinsheim (1784 bis 1864) als auch sein Bruder, der Kunstmaler August (1789 bis 1869), auf fast allen Zeichnungen auftauchen. Klarheit verschafft ein beiliegender Brief aus dem Jahr 1907 von Poccis Tochter Maria an Amélie von Seinsheim, Großnichte des Ministers. Der Karikaturenband befand sich im Besitz Amélie von Seinsheims, die ihn an Maria von Pocci auslieh mit der Bitte, die Dargestellten zu identifizieren. Später gelangte das Album ins Sünchinger Familienschloss. Die Karikaturen sind nicht nur durch Maria von Pocci identifiziert, sondern bereits zeitgenössisch datiert: offensichtlich von Pocci selbst, der auch kurze Beschreibungen anbrachte, die freilich aus der Distanz von fast 200 Jahren nicht immer leicht zu deuten sind.

In chronologischer Hinsicht lassen sich zwei Schichten feststellen: einmal eine Reihe kleinformatiger Zeichnungen von Personen des öffentlichen Lebens seit 1830, die das gesamte Jahrzehnt abdeckt. Dann sind seit 1836, verstärkt aber in den 1840er-Jahren, zahlreiche „türkische“ Themen festzustellen. Die jüngste Karikatur stammt von 1854. Beide Schichten sind aufgrund der teilweise identischen Mitgliederstruktur der Vereinigungen miteinander verschränkt: So wird Karl von Seinsheim sowohl im Rahmen von türkischen Sujets vorgeführt als auch in comicartigen Serien, die aus Anlass von Reisen nach Ettal (1830) und Oberammergau (1840) entstanden.

Der Titel „Türkisches Archiv“ ist so zu verstehen, dass es sich bei diesem Album um einen Speicher des Wissens um die Taten der Mitglieder – oder, um in Poccis Worten zu reden, der „Versammlung des Divans“ – handelt. Nun waren türkische Themen seit dem 18. Jahrhundert in Europa sehr beliebt – man denke nur an den Erfolg von Mozarts Singspiel Die Entführung aus dem Serail. Im „Türkischen Archiv“ erfuhren sie freilich eine ironische Brechung und satirische Übersteigerung, wenn etwa treue Katholiken in orientalischen Gewändern sich dem Genuss von Alkohol hingeben (was das Hauptziel dieser Herrenrunde gewesen zu sein scheint).

Haupt des Divans war Karl von Seinsheim alias Harun ar-Raschid. Dieser Kalif (809 gestorben), der auch diplomatische Beziehungen zu Kaiser Karl dem Großen unterhielt, taucht immer wieder in der Geschichtensammlung Tausendundeine Nacht auf. Während er aber in der westlichen Welt märchenhaft erinnert wird, hat man noch in der heutigen muslimischen Welt wegen seiner Brutalität und seines Lebenswandels ein kritisches Bild von ihm. Der hochgebildete und kunstsinnige Aristokrat Seinsheim, der nach außen als liebenswürdiglebenslustiger Weltmann auftrat, galt als streng konservativer Parteigänger seines Jugendfreundes König Ludwig I. In ihm verbanden sich – in einer für den Konservativismus im Vorfeld der Revolution vom März 1848 beispielhaft verdichteten Form – traditionelle aristokratische Anschauungen mit einem tiefreligiösen Grundverständnis von Gesellschaft und Politik und mit einer restaurativen, bisweilen reaktionären Haltung als Standespolitiker und Finanzminister. Es sei der heutigen Leserschaft überlassen, selbst Parallelen zwischen den beiden Gestalten zu ziehen.

Selbstverständlich gab sich die „Versammlung des Divans“ eine Ämterstruktur. So tat Pocci wie im richtigen Leben seinen Dienst als Zeremonienmeister, Franz Graf von Paumgarten, der Generaladjutant des Königs, fungierte als Reisemarschall. Daneben lassen sich ein Säckelmeister, ein Hofansager und ein Trommelschläger nachweisen. Weitere prominente Mitglieder waren der Kriegsminister Anton Freiherr von Gumppenberg oder der bereits genannte August von Seinsheim, selbst ein begabter Maler und Zeichner, in jungen Jahren für den Malteser-Orden vorgesehen und deshalb immer nur „der Maltheser Ritter“ genannt und als solcher dargestellt. Beiläufig erfährt man ... (Claudius Stein)

Lesen Sie den vollständigen, reich bebilderten Beitrag in UNSER BAYERN, Ausgabe September/Oktober 2021 in der BSZ Nr. 36 vom 10. September 2021

Abbildungen (von oben):
Pocci verstand es meisterhaft, burleske Auftritte, sei es zu Lande oder zu Wasser, zeichnerisch vor Augen zu
führen. „Wie das türkische Schiff im Hafen einlauft. Der Maltheser [August Karl von Seinsheim] wirft den Anker
aus. Der Pascha der Angelegenheiten [Anton von Gumppenberg] des Krieges sitzt mit brennender Lunte auf der
Canone“, liest man in der handschriftlichen Notiz. Ziel der Seefahrt ist ein leuchtender Maßkrug auf weiß-blauem
Grenzpfahl (1841). (Foto: Claudius Stein)

Den Mittelpunkt des „Divans“ bildete Karl August von Seinsheim, denn er taucht in fast allen Karikaturen auf, sei
es als enthusiastischer Klavierspieler zu einer Zeit, als die Nachbarn in der Wohnung über ihm schon längst schlafen
wollten (1841), oder sei es beim Verrichten eines wichtigen Geschäfts (1837). (Fotos: Claudius Stein)

 

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