Unser Bayern

Zäh, genügsam, wetterfest und obendrein ein stattliches Gewicht: Die halbwilden Graurinder verwiesen die einst in Bayern beheimateten Rassen auf die hinteren Ränge. Hier eine Herde im Nationalpark Hortobagy/Ungarn. (Foto: Max Direktor)

11.09.2020

Treck zur Schlachtbank

Große Ochsenherden wurden früher von Ungarn nach Bayern getrieben. Die Augsburger zahlten am meisten

Durchs Dachauer Land führt ein Radweg, der als Dachauer Oxenweg bekannt ist. Er beginnt bei Schloss Hohenkammer (Landkreis Freising), verläuft entlang der Glonn und passiert Orte wie Markt Indersdorf und Altomünster. Bei Tödtenried (Landkreis Aichach-Friedberg) geht der Weg in den Altbairischen Oxenweg über, der die Radler weiter durch das Wittelsbacher Land bis nach Augsburg leitet. Warum Oxenweg? Sind dort gelegentlich Oxen/Ochsen unterwegs? Nein, heute nicht mehr, aber zwischen 1350 und 1750 wurden auf diesen Wegen tatsächlich Ochsen getrieben. Genauer gesagt, ganze Herden ungarischer Ochsen – und zwar zur Schlachtbank nach Augsburg.

Im ausgehenden Mittelalter gab es in der ungarischen Steppe riesige Herden halbwilder Rinder. Die hellgrau gefärbten Tiere waren groß und stattlich und mit langen leierförmigen Hörnern ausgestattet. Wann die Rinder nach Ungarn gelangten, ob zusammen mit den Magyaren, den Vorfahren der Ungarn im 9. Jahrhundert aus der Ukraine, oder erst zu Beginn des 14. Jahrhunderts mit den Kumanen aus den Steppen Eurasiens, ist unbekannt. Jedenfalls vertrugen sie Hitze und kalte Winter gleichermaßen gut, gediehen auch auf mageren Standorten und lieferten am Ende ein hervorragendes Fleisch. Dabei brachten die Tiere je nach Alter und Geschlecht 350 bis 500 Kilogramm oder noch mehr auf die Waage. Zum Vergleich: Das in Bayern heimische Rindvieh damaliger Zeit wog, wenn überhaupt, gerade mal halb so viel. Hinzu kam, dass die ungarischen Steppenrinder robust genug waren, um lange Wegstrecken von 600 Kilometern oder mehr auf ihren eigenen vier Beinen zurückzulegen.

Warum also nicht die Tiere von Ungarn aus dorthin treiben, wo ihr Fleisch besonders nachgefragt war, wie zum Beispiel in den süddeutschen Städten und an die dortigen Höfe? Immerhin ist bereits 1491 in der Hofhaltungsordnung der reichen Herzöge von Bayern-Landshut nachzulesen, dass beim Fleischkauf auf Qualität zu achten und der Hof „mit gutem Fleisch“ zu versorgen sei. In der Tat wurden die Steppenrinder bald zum gefragten Exportschlager, und mit der Zeit gewann die Viehzucht in Ungarn mehr und mehr an Bedeutung. Die wichtigsten Zuchtzentren lagen dabei um Debrecen und Kecskemét.

Umschlagplatz Wien

Aufgrund ihrer Größe und ihrer Umgänglichkeit eigneten sich vor allem Ochsen, also kastrierte Stiere, für den Trieb. So stellten die ungarischen Viehzüchter regelmäßig zwischen Mai/Juni und Oktober Ochsenherden von 50 bis 150 Tieren für den Export zusammen, die – begleitet von einem Ochsenkapitän und mehreren berittenen Ochsentreibern, sogenannten Hajduken – sich auf den Weg Richtung Westen machten. Etwa drei Wochen dauerte es, bis der Tross Wien erreichte, denn die Habsburger- Stadt war eine wichtige Zwischenstation. Ab 1503 ist am Stadtrand von Wien der Ochsenmarkt „am Gries vor dem Stubentor“ belegt. Dort oder auf anderen Ochsenmärkten in Niederösterreich wurden die Rinder gegen Barzahlung an Händler verkauft. Die Viehhändler und Metzger kamen aus Ulm, Augsburg, Nürnberg, München, Regensburg und anderen süddeutschen Städten, manche gar aus Straßburg oder Venedig. Überall schätzte man das Fleisch der ungarischen Ochsen.

Obendrein lieferten die Ochsen nach ihrer Schlachtung Häute, Därme, Horn und dergleichen – damals sehr gefragte Rohstoffe. Besonders wichtig war das Rinderfett, das reichlich anfiel und das man in Schmelzhütten weiterverarbeitete. Das so erhaltene Unschlitt (von mittelhochdeutsch „unslit“ für Talg) brauchte man für Öllampen, und es diente zur Herstellung von Kerzen, Seifen und Schmiermitteln. Um den Handel mit dem wertvollen Produkt zu regeln, wurden in den Städten sogar eigene Behörden eingerichtet, wie zum Beispiel das Unschlittamt in Nürnberg.

Der weite Weg lohnte sich

Unter den Händlern herrschte große Konkurrenz. Als besonders erfolgreich im Ankauf von Ochsen erwiesen sich im 16. Jahrhundert die Ochsenhändler und Metzger, die aus Augsburg angereist waren. Ihre Beutel waren prall gefüllt, denn häufig hatten sie von der Reichsstadt Vorschüsse erhalten, damit sie sich mit Tieren eindecken konnten. Damit sicherte sich die Stadt schon im Vorfeld das Unschlitt. Einzelne Augsburger Metzger hatten sich zu Metzgergesellschaften zusammengeschlossen und waren dadurch finanzkräftig. Manche waren von den großen Augsburger Handelsgesellschaften finanziert, die in Wien ihre Niederlassungen unterhielten und großes Interesse hatten, dass mit den Ochsen genügend Fleisch und Rohwaren nach Augsburg gelangten. Weil die Nachfrage nach Ochsen in Augsburg sehr hoch war, spekulierte man dort nach ihrer Ankunft auf hohe Preise, sodass der Ochsenhandel trotz der weiten Transportwege ein lukratives Geschäft war.

Braten für die Reichen

Im 16. Jahrhundert war die freie Reichsstadt Augsburg mit ihren mindestens 30 000 Einwohnern eine der größten Städte im süddeutschen Raum. Der Grundbedarf an Fleisch für die tägliche Ernährung, für Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen konnte aus der Umgebung nicht gedeckt werden, denn die Bauern um Augsburg herum betrieben nur wenig Viehhaltung. Auf ihren Feldern wuchs Flachs, den man für die Textilherstellung benötigte; ansonsten wurde hauptsächlich Getreide angebaut.

Der durchschnittliche Rindfleischkonsum in Augsburg wird je nach Quelle zwischen 40 und 100 Kilogramm Rindfleisch pro Kopf und Jahr (bei 210 Fleischtagen) angegeben, wobei es sicherlich eine große Zahl armer Leute gab, die sich gar kein Fleisch leisten konnten. Zum Vergleich: Heute beträgt der Durchschnittsverbrauch in Deutschland 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr, davon etwa zehn Kilogramm Rindfleisch. Eine Person konsumierte umso mehr Rindfleisch, je höher ihre soziale Stellung war. Und in Augsburg war die Oberschicht mit den dort ansässigen reichen Kaufmannsfamilien überaus stark entwickelt. Zudem fanden in der Stadt regelmäßig Reichstage statt.

Dann wuchs die zu versorgende Bevölkerung nochmals um 8000 bis 10 000 Menschen, darunter weltliche und geistliche Fürsten sowie Abgeordnete anderer Reichsstädte mit ihrer Entourage, die vermutlich alle gern Fleisch speisten. So fand zwischen dem 3. Juli und dem 20. September 1582 in Augsburg der erste Reichstag unter Kaiser Rudolf II. statt, der durch die veranstalteten Prozessionen und Festlichkeiten besonders prächtig ausfallen sollte. Mit welchen Fleischbergen bei festlichen Anlässen zu rechnen war, belegt beispielsweise eine Anordnung von Herzog Albrecht V. von Bayern aus dem Jahre 1568 an die Münchner Metzger, für die bevorstehende Hochzeit seines Sohnes Wilhelm mit Renata von Lothringen „700 guete hungerische oxen“ zu besorgen. Eine Ahnung von der vielfältigen Verwendung der Ochsen in der Küche gibt uns Marx Rumpolts Kochbuch aus dem Jahr 1581, das 83 Rezepte für Ochsengerichte auflistet... (Petra Raschke)

Lesen Sie den vollständigen, reich bebilderten Beitrag in der Ausgabe September/Oktober von UNSER BAYERN, die der BSZ Nr. 37 vom 11. September 2020 beiliegt.

Abbildung: Tausende Ochsen kamen einst auf den Augsburger Markt. (Foto: SuStB Augsburg, Graph 17/6, Blatt 10)

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