Unser Bayern

Während der Vereinssitzung 1911 kam auch ein Epidiaskop (an der Säule) zum Einsatz, das seit 1903 durch Schenkung dem Verein gehörte und damals bayernweit der einzige dieser Apparate gewesen sein soll. Bilder ließen sich damit durch Auflicht (zum Beispiel gedruckte Abbildungen) und Durchlicht (Dias) vergrößert an die Wand projizieren. (Foto: NHG)

13.09.2019

Um die Welt und durch die Zeit

Die Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg steht im Landesverzeichnis des immateriellen Kulturerbes der UNESCO

Man mag irritiert sein, neben der Tölzer Leonhardifahrt, dem Augsburger Friedensfest, den Passionsspielen in Oberammergau und der Markttradition des Münchner Viktualienmarktes die Naturhistorische Gesellschaft in Nürnberg aufgeführt zu sehen. Tatsächlich aber hat es deren Wirken schon zu Beginn des Jahres 2018 auf die bayerische Liste des immateriellen Kulturerbes geschafft. Die Nürnberger Gesellschaft „vereinige einen aufklärerischen Vermittlungsimpetus mit einer breitenwirksamen, auf ehrenamtlicher Basis gründenden Vermittlungsarbeit“, lautete eine der Begründungen für die Aufnahme.

Ehrenamtliches Engagement

In der Tat ist die Gesellschaft mit etwa 1600 Mitgliedern und elf aktiven Abteilungen, die von der Archäologie des Auslands, Botanik, Entomologie (Insektenkunde) über Geologie, Karst- und Höhlenkunde, Pilz- und Kräuterkunde bis hin zur Völkerkunde reichen, einer der größten ehrenamtlich arbeitenden naturwissenschaftlichen Vereine Deutschlands. Wer einen Blick in das beinahe 100 Seiten starke Programmheft für das Jahr 2019 wirft, findet dort eine sehr reiche Auswahl an Vorträgen, Kursen und Exkursionen nach nah und fern. Bei den Veranstaltungen erfährt man das Neueste aus der Wissenschaft, Weiterbildung ist aber auch möglich während eines Rundgangs im Museum der Naturhistorischen Gesellschaft, das seit 2000 in der Nürnberger Norishalle untergebracht ist. Dort kommen Groß und Klein auf ihre Kosten, ob beim Kindergeburtstag, Schulausflug oder während eines einfachen Bummels durch die Räume.

In der Norishalle werden „Highlights der fränkischen Vorgeschichte“ von der Altsteinzeit bis zur Eisenzeit ebenso präsentiert wie „Petra, die antike Metropole an der Weihrauchstraße“. Dort erfährt man von Nomaden in der Sahara, bäuerlichen Kulturen in West- und Zentralafrika und von den Nivchi, einem Fischervolk in Sibirien. Im „Museo Mundial“ wird der Besucher über globale Zusammenhänge aufgeklärt, zum Beispiel darüber, was der westafrikanische Webstuhl mit Arbeitsbedingungen in Bangladesh zu tun hat. Hinzu kommen eine Reihe außergewöhnlicher Exponate, wie der erste Dinosaurierfund auf deutschem Boden, ein acht Meter großer Plateosaurus; zu sehen sind auch der größte Eisenmeteorit Deutschlands, imposante Tropfsteine, ein ausgestopfter Bär und vieles mehr.

Obendrein führt die Naturhistorische Gesellschaft archäologische Ausgrabungen in Georgien durch, betreut einen archäologischen Spielplatz in der Nürnberger Rehbergstraße, ein Freilandaquarium und -terrarium in Stein bei Nürnberg, über zehn Pilzberatungsstellen in der näheren und weiteren Umgebung, diverse Höhlen im fränkischen Raum, das Naturschutzgebiet „Külsheimer Gipshügel“ bei Bad Windsheim – um nur einige zu nennen aus dem großen Betätigungsfeld.

Naturverbundene Gründerväter

Dass die Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg einmal derartig vielfältig, breit aufgestellt und „ausgezeichnet“ werden würde, hätten sich die drei Gründerväter wohl kaum träumen lassen, als sie im Oktober 1801 zusammentrafen, um ihre Gesellschaft aus der Taufe zu heben. Die drei Gründer, das waren der Lehrer Johann Wolf (1765 bis 1824), der Kupferstecher Jakob Sturm (1771 bis 1848) und der Arzt Johann Karl Osterhausen (1765 bis 1839), alle drei in oder bei Nürnberg geboren, sehr naturverbunden und bereit, ihr Wissen an andere weiterzugeben.

Der Gärtnerssohn Johann Wolf hatte seit 1792 eine Lehrerstelle an der Büchnerschen Lehr- und Erziehungsanstalt in Nürnberg inne, wo er unter anderem Naturgeschichte unterrichtete. Gleichzeitig machte er sich als Ornithologe/Vogelkundler einen Namen und veröffentlichte eine Vielzahl von Schriften zur Vogelkunde und anderen naturkundlichen Themen. Ab 1799 brachte er beispielsweise die Naturgeschichte der Vögel Deutschlands heraus. Das war ein Prachtwerk mit wunderbaren Abbildungen, von dem allerdings nur wenige Hefte in geringer Stückzahl erscheinen sollten. Nürnberg war damals ein Zentrum der naturhistorischen Illustration in Deutschland, und das Kupferstecher-Handwerk war dort zu größter Blüte gelangt.

Naturbegeisterter Kupferstecher

Da ist es nicht verwunderlich, dass der zweite im Bunde der Gründerväter der Naturhistorischen Gesellschaft ein Kupferstecher war. Schon als 16-Jähriger bekam Jakob Sturm die Gelegenheit sich zu profilieren, als er in Vertretung für seinen Vater Insekten in Kupfer stechen sollte. Seine Auftraggeber waren Johann Christian von Schreber und Georg Wolfgang Panzer, beide beflissene Naturforscher. Schreber und Panzer waren von Sturms Kupferstichen begeistert. Umgekehrt weckten die beiden älteren in dem jungen Mann das Interesse für die Natur, allen voran für Insekten, und Sturm fing an, seine eigene Insektensammlung anzulegen. Die erbeuteten Exemplare hielt er in Zeichnungen beziehungsweise auf Kupferplatten fest. Schon bald kam das erste Buch über sein „Insecten-Cabinet“ heraus. Weil sich die Sammlung ständig erweiterte, sollten nach und nach Neuauflagen des Bandes erscheinen. Weitere Werke zur Flora und Fauna folgten, jeweils mit „höchst naturgetreuen und sorgfältigst kolorierten“ Abbildungen, so beispielsweise ab 1796 Deutschlands Flora in Abbildungen nach der Natur und Beschreibungen.

Der dritte im Bunde der Gründerväter war weder Lehrer noch Kupferstecher, sondern Arzt: der aus Artelshofen bei Nürnberg stammende Johann Karl Osterhausen. Der Pfarrerssohn praktizierte seit Abschluss seines Medizinstudiums am Heumarkt und war außerdem Physikus am Nürnberger Armen- und Waisenhaus. Gleichzeitig betätigte sich Osterhausen aber auch schriftstellerisch und sah sich in der Pflicht, als wissenschaftlich ausgebildeter Arzt „Volksaufklärung“ zu betreiben.

Treffen im Privaten

Johann Wolf hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt, dass man eine Gesellschaft errichten sollte, um sich über naturwissenschaftliche Themen auszutauschen. Sie sollte „aus hiesigen Ärzten, Forstmännern und anderen Freunden der Naturgeschichte“ bestehen. Zustande kam der Plan aber erst, als Johann Karl Osterhausen die Initiative ergriff und seine beiden Bekannten Johann Wolf und Jakob Sturm im Oktober 1801 bei sich versammelte. Von da an fand sich ein kleiner Kreis von begeisterten Naturliebhabern in regelmäßigen Zeitabständen reihum in den Privathäusern der Mitglieder zusammen, um sich durch Vorträge und Besprechungen gegenseitige Belehrung in naturgeschichtlichen Fragen zu geben.

Bei den Treffen wurden Pflanzen, Tiere und Minerale mitgebracht und gemeinsam bestimmt. Die lokale Tier- und Pflanzenwelt zu studieren, war ein Anliegen, und man nahm sich vor, ein Naturalienkabinett aller im Umkreis von drei Stunden anzutreffenden „Naturprodukte“ anzulegen. Ab 1813 musste für die Aufbewahrung der Naturalien und für die Sitzungen ein Zimmer angemietet werden. Später wurde das Vereinszimmer in das neu errichtete Haus von Osterhausen verlegt. Die Gesellschaft blieb ein kleiner Männerkreis.

Mit der Zeit gab es zunehmend Probleme, die regelmäßigen Treffen aufrechtzuerhalten, vor allem nach dem Tod von Johann Wolf 1824. Ab 1831 wurden die Sitzungen auf vier pro Jahr reduziert, ab 1836 stellte die Gesellschaft ihre Tätigkeit ganz ein. 1839 verstarb auch Osterhausen, so dass von den Gründungsvätern nur noch Jakob Sturm am Leben war. Dessen beide Söhne Friedrich (1805 bis 1862) und Johann Wilhelm (1808 bis 1865) traten in die Fußstapfen des Vaters als Kupferstecher, Naturforscher und Sammler. Aus dem vom Vater in jungen Jahren begonnenen „Insecten- Cabinet“ war inzwischen eine riesige Sammlung geworden, die ihresgleichen zu suchen hatte. Neben Zehntausenden von Insekten, Schneckenhäusern, Pflanzenpräparaten umfasste sie auch eine außerordentlich schöne Vogelsammlung, die auf Betreiben des älteren Sohnes Friedrich angelegt worden war und ständig erweitert wurde.

Der Pfarrer rüttelt wach

1846 kam es durch die Initiative von Johann Wolfgang Hilpert, dem zweiten Pfarrer von Sankt Lorenz in Nürnberg, zum Wiederaufleben der Naturhistorischen Gesellschaft. Die „Gesellschaft möge sich von ihrem Schlaf wieder erheben“, forderte Hilpert – und er hatte Erfolg. Tatsächlich fanden sich wieder regelmäßig Naturliebhaber ein, um „das Studium der Naturgeschichte [zu] fördern und den Sinn dafür in weiteren Kreisen [zu] verbreiten“. Die Sitzungen wurden zunächst im Lorenzer Pfarrhof abgehalten und standen bis 1848 noch unter dem Präsidium von Jakob Sturm.

Wie früher wurden die Treffen durch „Vorlagen“ der Mitglieder gestaltet: Herr von Forster brachte botanische Raritäten aus seinem Garten mit, die Brüder Sturm zeigten den „Balg des Argusfasans“ oder andere Seltenheiten aus ihrer Sammlung, Herr Haecker demonstrierte ein astronomisches Instrument aus dem „gelobten“ Land und Herr von Bibra führte chemische Experimente vor. Um sich mit anderen naturwissenschaftlichen Vereinen besser austauschen zu können, setzte man bald auf die Herausgabe einer Zeitschrift. Der erste Band der Abhandlungen der Gesellschaft erschien 1852. Doch das Publizieren kostete Geld, was an anderer Stelle fehlte. Zum Beispiel, um den Ausbau der eigenen Sammlung voranzutreiben und damit das „dem Verein fernstehende“ Publikum besser zu erreichen. Denn nach wie vor war der Kreis der Naturliebhaber überschaubar. 1852 hatte die Gesellschaft gerade mal 24 ordentliche Mitglieder und war dem

entsprechend knapp bei Kasse. So hatte sie auch Ende der 1860er-Jahre nicht die finanziellen Mittel, die einzigartige Sammlung der Familie Sturm zu erwerben, die nach dem Tod der Brüder Sturm zum Verkauf stand, und musste zusehen, wie diese nach München abwanderte.

Erst ab den 1880er-Jahren begann die Naturhistorische Gesellschaft aufzublühen. Ab Januar 1885 wurde auch Frauen der Eintritt in die Gesellschaft erlaubt, damit war der Männerzirkel endgültig passé. Die Zahl der Mitglieder stieg deutlich an, von 119 im Jahr 1881 auf 407 im Jahr 1891.

Zuschüsse von Stadt und Kreis

Eine Rolle für den Aufschwung spielte sicherlich das eigene Anwesen in der Schildgasse 12, das „Haus zur Blume“, das 1884 „durch Schenkungen und Zeichnung unverzinslicher Schuldscheine“ erworben werden konnte. Nun hatte man endlich Platz, um die Sammlung zu erweitern und ein richtiges naturhistorisches Museum zu schaffen. Hilfreich war dabei, dass die Stadt Nürnberg und der Kreis (Bezirk) Mittelfranken von 1886 an alljährlich Zuschüsse gaben. Die im Fundus vorhandenen Mineralien bekamen Zuwachs, Mitglieder spendeten Schmetterlingssammlungen oder Herbare mit getrockneten Pflanzen aus der Umgebung, hinzu kamen prähistorische Funde aus den Grabungen im Nürnberger Umland, die nun ausgestellt wurden. Bald zogen weitere Exponate ein: zwei Höhlenbär- Skelette, der Schädel eines Nilpferds, eine Wildkatze, ein Braunbär aus Finnland usw. Fortan rückten Lehrer mit ihren Schulklassen an, um das „Haus der Blume“ zu besuchen. Auch die regelmäßig stattfindenden Wochensitzungen der Gesellschaft wurden publikumswirksamer.

Die Vorträge, Referate und Vorführungen zogen mehr und mehr Leute an. Darin ging es um den Besuch bei der Pariser Weltausstellung oder um den Bericht einer Reise zu einem medizinischen Kongress in Moskau, ein anderes Mal wurden Chrysanthemen ausgestellt oder selten blühende Kakteen und Sukkulenten gezeigt. Als äußerst wertvoll für die Vorträge erwies sich ein Epidiaskop, ein Projektionsgerät für Bilder, das man 1903 von Kommerzienrat Berolzheimer als Geschenk erhielt, seinerzeit das einzige Gerät dieser Art in Bayern.

Wie die Mitgliederzahlen wuchs auch die Sammlung kontinuierlich, so dass schon nach wenigen Jahren die Säle im „Haus der Blume“ zu eng und zu klein wurden. 1911 konnte die Raumnot beendet und dank der Großzügigkeit von Kommerzienrat Berolzheimer ein größeres Vereinshaus, das Luitpoldhaus, im Zentrum von Nürnberg bezogen werden. Das Luitpoldhaus sollte die Naturhistorische Gesellschaft und ihre Sammlungen trotz schwerer Beschädigungen im Zweiten Weltkrieg und nachfolgendem Wiederaufbau viele Jahrzehnte lang beherbergen.

Untergliedert in Sektionen

Organisatorisch war die Naturhistorische Gesellschaft beim Einzug in das Luitpoldhaus längst nicht mehr nur ein einfach strukturierter Verein, sondern bestand aus einer Hauptgesellschaft und einer Reihe von Sektionen. Schon seit 1882 war es möglich, dass sich einzelne Gesellschaftsmitglieder – es mussten mindestens sechs sein – zu wissenschaftlichen Sektionen zusammenschließen konnten, um ausgewählte Themen vertieft zu bearbeiten. Als erste Sektion wurde 1882 die Sektion für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte gegründet, die sich zunächst mit den vorgeschichtlichen Funden in der Umgebung Nürnbergs befasste und ab 1883 archäologische Grabungen bei Altdorf durchführte. Weitere Sektionsgründungen folgten.

Manche Sektionen wie die naturphilosophische oder die physikalisch-meteorologische bestanden nur für kurze Zeit und wurden wieder aufgelöst, weil das Interesse der Mitglieder abgeflaut war. So erging es beispielsweise der Sektion für Bakteriologie/ Histologie, die ab 1890 im Gefolge von Robert Kochs Entdeckungen entstanden war. Sie hatte hauptsächlich Ärzte als Mitglieder, die sich in die Technik des Mikroskopierens einführen lassen wollten. Als das abgehakt war, fehlten die technischen Möglichkeiten, um mit dem schnellen Fortschritt in der Forschung mitzuhalten, und die Sektion wurde bereits 1894 wieder aufgelöst. In anderen Fällen lief es erfolgreicher. In den 1920er-Jahren wurde beispielsweise ... (Petra Raschke)

Lesen Sie den vollständigen, reich bebilderten Beitrag in der Ausgabe September/Oktober von UNSER BAYERN (BSZ Nr. 37 vom 13. September 2019)

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