Unser Bayern

Am 7. November 1918 wurde Ludwig III. gestürzt. Der Ministerrat des „Volksstaates Bayern“ sicherte dem Ex-König zu, ihn in Ruhe zu lassen, wenn er umgekehrt die neue Regierungsform respektiere. (Foto: SZPhoto)

14.09.2018

„Vereinigte Staaten von Deutschland“

Der Freistaat Bayern, Kurt Eisner und der Einsatz für eine föderalistisch-demokratische Neuordnung Deutschlands

Dass die Selbstbestimmung Bayerns innerhalb des Ganzen erhalten und gesichert werden muss, stand für das Kabinett Eisner nicht erst seit der Präsentation des Regierungsprogramms am 15. November 1918 fest. Darin wurden nur jene Argumente wiederholt, die Kurt Eisner schon in der ersten, langen Nacht der Revolution gebraucht hatte. An jenem 7. November war er vor die im Landtag versammelten Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte getreten und hatte die Trias von Demokratie, Selbstregierung und Republik propagiert.

Modell der Zukunft

Über alledem schwebte das Modell des Freistaates: für Eisner das politische Modell der Zukunft schlechthin. Am Anfang stand der Aufruf An die Bevölkerung Münchens und die Proklamation des Freistaates Bayern vom 8. November. Im Namen des Rates der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte erklärte Eisner, wohin der politische Weg gehen sollte: Nicht mehr die diskreditierte Monarchie, sondern ein freier Staat sollte den künftigen politischen Rahmen setzen, also ein Gemeinwesen, in dem das bayerische Volk in freiester Selbstbestimmung die politischen Geschicke selbst in die Hand nehmen sollte.

Eisners Klarstellung schien angebracht, denn als politischer Modebegriff konnte Freistaat schon seit Jahrzehnten nicht mehr reüssieren. Die wenigsten Zeitgenossen kannten ihn und selbst Eisner hatte ihn in seinen Schriften bis dahin nie verwendet. Vielmehr sprach er stets von der Republik.

Und doch hatte der Name Freistaat eine lange Tradition. Als der württembergische Staatsrechtler Johann Jacob Moser 1731 seine ausführliche Beschreibung der Verfassung des „Teutschen Reichs“ publizierte, behandelte er auch den Schweitzerischen Frey-Staat. Noch konkreter wurde 36 Jahre später der Schweizer reformierte Pfarrer Johann Conrad Fäsi: „Der eidgenössische Freystaat stellet also eine Republik, welche aus 13 kleineren Staaten zusammengesetzt ist.“ Ganz vorne standen für Fäsi die Unabhängigkeit seines Vaterlandes vom deutschen Reich sowie der Erhalt der Freiheitsrechte seiner Bürger.

Antithese zur Monarchie

Im Lauf der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert, insbesondere im Vorfeld der Revolution von 1848/49, etablierte sich ein Verständnis im Sinn der freien Republik. So wurde der Freistaats-Begriff vor allem um und nach der Mitte des 19. Jahrhunderts als Antithese zur Monarchie verstanden. Auch der Revolutionär Eisner dachte sich den Freistaat als Nicht-Monarchie. Der Münchner Aufruf vom 8. November 1918 lief also auf nichts anderes als auf den Sturz König Ludwigs III. und seiner Dynastie hinaus.

Degradierte Einzelstaaten

Dahinter lagen jahrelange, negative Erfahrungen mit der übermächtigen preußischen Militärmonarchie unter Kaiser Wilhelm II. und ihren wittelsbachischen Statthaltern in Bayern. Noch nie war die Dominanz Preußens so hervorgetreten wie während des Ersten Weltkrieges. Ganz vorne stand die Lenkung der hochindustrialisierten und hochzentralisierten Rüstungswirtschaft durch die Berliner Kriegsämter und die Rohstoffgesellschaften. Hinzu kamen die massiven Eingriffe der dritten Obersten Heeresleitung unter Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff. Unübersehbar war die Militarisierung und Reglementierung sämtlicher Lebensbereiche, während die deutschen Einzelstaaten schrittweise zu Vollzugsinstrumenten des militärisch-industriellen Komplexes degradiert wurden.

Als in der Nacht vom 7. auf den 8. November 1918 die Revolution über Bayern hereinbrach, herrschte immer noch Krieg, und noch immer hatten die militärisch-politischen Eliten in Berlin und Spa das Sagen. Erst am 9. November resignierte der erste Kopf der Obersten Heeresleitung, Paul von Hindenburg, nachdem der Kamerad Ludendorff bereits am 26. Oktober die Pickelhaube genommen hatte. Noch am gleichen Tag begab sich Kaiser Wilhelm II. ins niederländische Exil, ehe Matthias Erzberger am 11. November 1918 die harten Bedingungen des Waffenstillstandes von Compiègne unterzeichnete. Zurück blieben die monarchischkonservativen und industriellen Eliten in den Münchner und Berliner Ministerien, dem höheren Offizierskorps, den Konzernspitzen, den Universitäten und auf den ostelbischen Rittergütern.

Genau diese Kräfte hatte Eisner im Visier, als er sich nach dem 7. November an die politische Umgestaltung Bayerns machte. Kaum geringeren Argwohn weckten bei ihm die ersten Maßnahmen der seit dem 9. November amtierenden Berliner Revolutionsregierung unter Friedrich Ebert von der Mehrheitssozialdemokratie (MSPD). Der sogenannte Rat der Volksbeauftragten stand in seinen Augen für alles andere als für einen politischen Neubeginn. Zudem setzte die provisorische Reichsregierung allzu sehr auf die Kooperation mit den alten Militäreliten sowie den rigorosen Unitarismus der vergangenen Kriegsjahre. Unverkennbar war die zentralistische Handschrift der Flut von Erlassen und Gesetzen aus den Berliner Ministerien. Das zarte Pflänzchen des Föderalismus und der Demokratie drohte zu ersticken, noch ehe es sich entfaltete, ein Alarmzeichen, auf das sofort reagiert werden musste.

Preußen Paroli bieten

„Ich bin gegen den Zentralismus in der auswärtigen Politik, in der inneren Politik, in der Parteipolitik, solange ich lebe. Ich will die innere Kraft der Glieder.“ Als Eisner seinen Standpunkt am 30. November 1918 vor dem Münchner Soldatenrat erneuerte, dachte er zunächst an das künftige Verhältnis Bayerns und der übrigen Länder zu Berlin: Das neue Deutschland sollte kein Bundesstaat, sondern ein Staatenbund sein, keine Föderation, sondern eine Konföderation selbstständiger Länder. Vor allem sollte dem übermächtigen Preußen Paroli geboten werden; deshalb setzte er auf ein starkes süddeutsches Gegengewicht sowie die aktive Einbindung Deutsch-Österreichs. Eine gemeinsame, konzertierte Aktion des Südens schien das politische Gebot der Stunde, doch über alledem schwebte seine Vision der Vereinigten Staaten von Deutschland.

Erstmals formuliert im Regierungsprogramm vom 15. November 1918 lieferte es zugleich das Kontrastprogramm zu den zentralistischen Bestrebungen der Regierung Ebert. Ganz vorne stand für Eisner die Frage der künftigen Reichsverfassung sowie deren Lösung im Sinn eines Staatenbundes, einer Konföderation. Auf der Berliner Ministerpräsidentenkonferenz vom 25. November versuchte er dieses Modell ferner seinen Amtskollegen schmackhaft zu machen, allen voran den Vertretern Württembergs, Badens und Hessen-Darmstadts. Doch der Verlauf der Unterredungen verdeutlichte nur allzu sehr, wie unterschiedlich selbst die süddeutschen Kollegen in dieser Frage dachten. Wie Eisner fürchteten diese eine allzu starke Berliner Zentrale. Andererseits setzten sie auf eine handlungsfähige Reichsregierung als Gegengewicht zum massiven Druck der westlichen Siegermächte und zum erstarkenden norddeutschen Linksradikalismus. Im Übrigen dachten sie nicht daran, sich vor den Karren bayerischer Partikularinteressen spannen zu lassen. Deshalb sagten sie Ja zum Bundesstaat und Nein zum Staatenbund.

So stand Eisners Position ziemlich isoliert im politischen Raum. Und doch fehlte den Ländervertretern nicht der Wille zur politischen Kooperation. Als sich die süddeutschen Ministerpräsidenten am 27. und 28. Dezember 1918 in Stuttgart trafen, hatten sie eigentlich vor, sich über die so dringende Frage der Verbesserung der Lebensmittelversorgung des breiten Volkes zu beraten. Schließlich wurden auf Eisners Initiative die künftige Verfassung Deutschlands und der endgültige Friedensschluss auf die oberste Tagesordnung gesetzt. Um den süddeutschen Interessen gegenüber Berlin mehr Durchschlagskraft zu verleihen, warb er für die Formulierung einer gemeinsamen Resolution.

Werben für den Südbund

Die künftige Gestaltung der Einheit des Deutschen Reichs sollte durch Vertrag der Einzelstaaten zustande kommen und als erster Schritt auf diesem Weg ein Südbund formiert werden. Mit seinem Stuttgarter Resolutionsentwurf warb Eisner erneut für ein starkes süddeutsches Gegengewicht gegen Preußen, ohne sich damit bei seinen Amtskollegen durchzusetzen. Vor allem Eisners Theorie, das Deutsche Reich von 1871 bestehe nicht mehr, sondern müsse auf Initiative der süddeutschen Länder per Staatsvertrag neu begründet werden, stieß auf wenig Gegenliebe. Dafür herrschte Grundkonsens hinsichtlich der breiten Beteiligung der Länder bei den kommenden Verfassungsberatungen. Eine süddeutsche Kommission mit Sitz in Stuttgart sollte einberufen werden und im Wesentlichen drei Leitziele verfolgen: Den Neuaufbau des Reiches auf föderalistischer Grundlage, die Bildung einer handlungsfähigen Nationalversammlung sowie die baldige Herbeiführung eines endgültigen Friedenschlusses.

Während Eisners Idee der Vereinigten Staaten von Deutschland jenseits der bayerischen Grenzen auf wenig Gegenliebe stieß, konnten Teile der Münchner Ministerialbürokratie schon etwas mehr damit anfangen – vor allem der liberale Staatsrechtler und Ministerialrat Josef von Graßmann (1864 bis 1928), seit kurzem Protokollführer des Kabinetts Eisner. Nachdem Graßmann schon lange vor der Revolution für moderate politische Reformen ... (Martin Hille)

Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der Ausgabe September/Oktober von UNSER BAYERN, das der BSZ Nr. 37 vom 14. September 2018 beiliegt.

Abbildung:
Die Militarisierung Deutschlands lief auf Hochtouren – sichtbar nicht nur an der Produktion von Rüstungsgütern für den Krieg wie hier in den Munitionswerkstätten von Krupp (1917). (Foto: SZPhoto)

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