Unser Bayern

21.10.2011

Vom Gleißental ließ sich auch Carl Spitzweg inspirieren

Das Tal war kein Platz der Erholung, sondern ein Ort schwerster körperlicher Arbeit

Als am 24. Juni 1854 die „Königlich Bayerische Maximiliansbahn" ab München in das bayerische Oberland eröffnet wurde, da wirkte das wie ein Fanal in die neue, die technisierte Zeit. Aber es gab auch Widerstand. Viele Gewerbetreibende fürchteten die neue eiserne Konkurrenz, die dazu dienen sollte, Wirtschaftszentren miteinander zu verbinden, vor allem die Fuhrleute in den Dörfern entlang der Bahnlinie, die ihre lukrativen Aufträge für ihre Pferde- und Ochsenwagen dahinschwinden sahen. Das war um 1850, und noch war die Bahn gar nicht bei ihnen angelangt. Denn vorerst führte sie nur bis Hesselohe; da tat sich das tiefe Isartal auf, das erst mit einer kühnen Eisenkonstruktion überspannt werden musste. Deshalb dauerte es noch einmal drei Jahre, bis die Strecke von dort über Holzkirchen bis Rosenheim weitergeführt werden konnte und tatsächlich den Fuhrleuten ihr täglich Brot rationierte. Zumindest, bis sie entdeckten, dass an den Bahnhöfen neue Möglichkeiten für sie entstanden. Ganz anders als die kleinen Fuhrleute begrüßten die Münchner Bürger begeistert die neuen Aussichten auf Beweglichkeit und Komfort. Schließlich konnte man bereits von einer Verlängerung der Bahn von Rosenheim bis nach Salzburg und von dort ins sonnige Italien träumen. Bis Salzburg würde man nur noch fünf Stunden und nicht einen ganzen Tag benötigen. 1859 war es dann soweit, als der bayerische König und der österreichische Kaiser Franz Joseph diese Verbindung zwischen den beiden Städten eröffneten. Aber auch ohne diese Verlängerung schwärmten die Münchnerinnen und Münchner nun aus, um die Umgebung ihrer Stadt zu erkunden. Nach der Hesseloher Brücke hatte es freilich noch einmal ein großes Hindernis zu überwinden gegeben, das Gleißental bei Deisenhofen, das von der Bahn gequert werden sollte. Das hatten schon einmal die Römer gemacht, unter ihren beiden Feldherren Drusus und Tiberius im Jahr 15. v. Chr. Aber sie hatten das tief eingeschnittene Tal nicht überbrückt, sondern ihre Heeresstraße zur Talsohle hinunter und auf der anderen Seite wieder hinauf geführt. Nun folgte die neue technische Errungenschaft der Bahn in etwa der Verbindung Augsburg – Salzburg ebenso wie die römischen Heerscharen, um die widerspenstigen Vindelizier zu besiegen. Die Techniker der Jahre um 1850 ließen im Tal einen gewaltigen Damm aufschütten, um darauf die Schienen weiterzuführen. Doch damit die Talsohle weiter begehbar blieb, planten sie in der Mitte des Damms einen Durchlass, der auch als Fluttunnel dienen sollte, denn früher hatte der kleine Bach im Tal gewaltige Überschwemmungen verursacht. Durchschreitet man den Tunnel, steht man in dem teils mit Grasmatten, teils mit Wald bedeckten Gleißental, das hier seinen Anfang nimmt und sich etwa acht Kilometer bis zum Weiher in Deining hinzieht. Der Tunnel wurde seinerzeit vom Münchner Steinmetz Franz Hauser für 27.035 Gulden aus mächtigen Quadern von Nagelfluh zusammengefügt, den es im Tal reichlich gab und der noch heute an verschiedenen Stellen aus den Talflanken heraustritt. Ja, das ganze Gleißental ist vom Nagelfluh geprägt worden. Diese Gesteinsart ist ein Produkt aus der Zeit, als sich ein mächtiger Isargletscher von Deining aus durch die Senke grub. Auf seinem Rücken transportierte er große Massen von Geröll oder schob sie vor sich her. Dieser Deckenschotter hat sich beim Abtauen des Gletschers mit Lehm zu einer steinharten Schicht verfestigt, einer Art „Naturbeton", aus dem die größeren und kleineren rundgeschliffenen Steine wie Nagelköpfe hervorstehen, daher der Name „Nagelfluh". Die Senke, die der Gletscher schuf, hat manchmal sanft aufstrebende Talseiten, dann wieder ist sie zu einem tief eingeschnittenen Tal geworden. Dass das kleine Bauerndorf Oberhaching am Ausgang des Tals einen eigenen Bahnhof für die Maximiliansbahn im Ortsteil Deisenhofen erhielt, ist den zahlreichen „Vergnügungsreisenden" zu danken, die der mit „Lärm, Ruß, Staub oder Nebel erfüllten Großstadt" entfliehen wollten und ihr Naturparadies im nahen Gleißental fanden. Oder sie gehörten zu den vielen Besuchern der „Doktorbäuerin" Amalie Hohenester, die in Deisenhofen trotz amtlicher Verbote als Naturheilerin praktizierte. Da passte es, dass sie ihren oft korpulenten Patienten einen kräftigen Fußmarsch verschrieb, der meistens Wunder wirkte. An einem schönen Tag, wahrscheinlich im Jahr 1868, bestieg auch ein nicht mehr ganz junger Mann das Abteil der Maximiliansbahn (vermutlich dritter Klasse, denn er war sehr bescheiden). Er hatte sich für einen Ausflug ausgestattet, ganz nach dem Motto für die Wandersleute: „Da hab‘ ich den Stab genommen, da hab‘ ich das Bündel geschnürt." Nur dass er in diesem Bündel nicht nur eine Flasche Wein und etwas Essbares zur Stärkung trug, daneben hatte er sich auch noch mit einem Holzköfferchen beladen, in dem sich Pinsel, Farben und Palette befanden. Ein praktisches klappbares Stühlchen, das man leicht unter den Arm nehmen konnte, wies ihn als Maler aus, die Mitnahme eines Schirms als vorsichtigen Mann. Adrett war der Kunstfreund gekleidet, was ihn jünger erscheinen ließ, als er an Jahren zählte. Denn er legte viel Wert auf akkurate Kleidung, was bei Malern sonst nicht so üblich war. Aber er hatte ja auch eine Ausbildung zum Apotheker abgeschlossen, die ihn nun befähigte, Pflanzen so genau zu malen, als würden sie leben. Ebenso akkurat war er auch bei der Planung seiner Exkursionen; Abfahrt- und Ankunftzeiten der Bahn sowie die Preise für die Billets notierte er fein säuberlich in ein Notizbuch. Deshalb wissen wir, dass Carl Spitzweg, denn um ihn handelt es sich, einmal beschloss, das schöne Gleißental aufzusuchen. (Andrea Hirner) Lesen Sie den ganzen Beitrag in der Oktober-Ausgabe von Unser Bayern.

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